Wort zur Besinnung
Als Kind war es für mich eine wichtige Woche. Meine Eltern, mein Bruder und ich verbrachten diese Woche damals bei meinem Onkel und meiner Tante im Pfarrhaus eines oberfränkischen Dorfes. Es war eine besondere Woche. Alles in dieser Woche war konzentriert, auf das, was da kommen sollte.
Erwartungsvoll blickten wir Kinder dabei sicher schon auf den Ostersonntag, aber die Zeit davor war auch für mich als Kind Zeit der Anspannung. Wir erlebten bewusst den Jubel beim Einzug in Jerusalem, dann die Fußwaschung, die Einsamkeit im Garten Gethsemane und letztlich die Kreuzigung, bis es endlich Ostern werden konnte. Das Leben änderte sich schrittweise, und letztlich kam der Osterjubel aus der Stille des Karfreitags. Es veränderte sich etwas, auch in mir. Vielleicht spürte ich damals etwas davon, dass Jesus seinen Einzug hielt in Jerusalem, indem er auf einem Esel in die Stadt ritt. Er, der König der Könige, auf einem Esel. Das war weder bequem noch stattlich, weder würdig noch erhaben – heute sagt man, absolut uncool.
Doch das Volk, viele Menschen jubelten ihm trotzdem zu. Vielleicht gerade weil es so war, wie es war!?! Unwürdig für den Sohn Gottes und doch gerade darin bestand seine Größe und Liebe.
Vielleicht war es das, was ich als Kind spürte. Bei Jesus, das heißt mit Jesus gibt es andere Maßstäbe als in unseren Tagen und in unserem Leben. Wer ist der Höchste, der Größte, wer ist der Dienstvorgesetzte, wer diejenige, der das Sagen hat. Wir fragen nach Macht und danach, wer die Möglichkeiten hat, etwas durchzusetzen. Es werden Unterschiede gemacht zwischen Seelsorger und Dienstgeber, zwischen Konfliktlösungen und Sachlichkeit, zwischen Macht und Ohnmacht.
Doch gerade weil Jesus auf einem Esel in die Hauptstadt einritt, machte er deutlich, dass er andere Maßstäbe hat als diese Welt. In der Karwoche wird uns gezeigt, wohin unsere weltlichen Maßstäbe uns führen. Sie führen erbarmungslos ans Kreuz. Sie töten jene, die nicht auf ihre Schwäche bestehen, sondern zur Liebe und Barmherzigkeit stehen.
Die Karwoche wieder einmal bewusst zu erleben, nicht mit unseren weltlichen Vorstellungen von Größe, sondern mit der Sichtweise Jesu – quasi vom Esel aus, das könnte helfen, dass wir am Ostersonntag nicht nur den Feiertag genießen, sondern wirklich das Leben feiern können, weil wir zu den alten Maßstäben Liebe, Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit, neu den Weg gefunden haben.
Jesus hat sich nicht überhöht, sondern den Menschen in die Augen geblickt, ungeachtet von Nationalität, Kultur und Religion.
Anne Salzbrenner,
evangelische Pfarrerin,
Lichtenfels