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LICHTENFELS: Vor 200 Jahren nahm der Kartoffelanbau zu

LICHTENFELS

Vor 200 Jahren nahm der Kartoffelanbau zu

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    Kartoffelernte in den 1970-er Jahren - mit Kartoffel–Roder und Pferdegespann.
    Kartoffelernte in den 1970-er Jahren - mit Kartoffel–Roder und Pferdegespann. Foto: Fotos: Andreas Motschmann

    Seit der Hungersnot in den Jahren 1816 und 1817 hatte der Kartoffelanbau am Obermain erheblich zugenommen und um 1850 die Anbaufläche des Weizens erreicht.

    In Pilgramsreuth ging's los

    170 Jahre früher, im Jahr 1647, wurde die Kartoffel in Pilgramsreuth bei Hof an der Saale von dem Bauern Hans Rogler erstmals in Deutschland feldmäßig angepflanzt. Am Ende des 17. Jahrhunderts (1694) waren - wie aus den Protokollen über Zehntstreitereien hervorgeht - bereits auf mehr als 500 Feldern Kartoffeln in diesem Dorf angebaut. Die Ernte war ein großer Erfolg. Es wurden mehr als 500 Zentner Kartoffeln in dem 400 Einwohner zählenden Dorf geerntet.

    Rogler soll während des 30-Jährigen Krieges die ersten Saatkartoffeln, von einem holländischen Soldaten in Roßbach, einem Ort im Grenzgebiet Sudetenland und Böhmen, bei einem Verwandtenbesuch erhalten und in Oberfranken eingeführt haben.

    Ursprung in Peru und Bolivien

    In Europa waren Kartoffeln bis zum 16. Jahrhundert völlig unbekannt. Die Kartoffel stammt aus Peru und Bolivien. Deshalb wird die gemeinsame Grenze um das Gebiet des Titikaka-Sees als das „Gen-Zentrum“ der Kartoffel bezeichnet. Die ältesten bekannten Spuren schätzt man auf 13 000 Jahre zurück.

    „Die Dinger riechen nicht und schmecken nicht und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen.“

    Im ersten Jahrtausend nach Christus wurden in diesen südamerikanischen Ländern die Kartoffel systematisch gezüchtet. Sie war so wichtig, weil Weizen und Mais in den Hochlagen der Anden in 4 000 Meter Höhe nicht gediehen. Für die Inkas war daher die Kartoffel das Hauptnahrungsmittel. Ohne diese Knolle hätten sie ihr Reich und ihre Kultur nie aufbauen können.

    Spanische Seefahrer brachten 1565 die ersten Knollen von ihren Reisen nach Südamerika mit. Acosta berichtete 1590, die Indigenas der Anden würden die Kartoffel essen wie die Europäer das Brot. Der erste Anbau war zunächst auf den Kanarischen Inseln und in Südspanien.

    Von „Hexenpflanze“ zur Hauptnahrung

    In Deutschland wurden sie 1588 erstmals erwähnt. Die Leute gaben der Kartoffel zunächst den Namen Grübling. Doch stießen die neuen Knollen auf Ablehnung. Bei den meisten bekannten Pflanzen gingen die essbaren Früchte aus den Blüten hervor. Auch die Kartoffel hatte oberirdische Früchte. Deren Genuss aber rief Bauchschmerzen, Schweißausbrüche und Atemnot hervor. Wurzelgemüse wie Rüben, Radieschen und Zwiebeln hingegen hatten einen zweifelhaften Ruf. Eine unterirdische braune Knolle, die man vor dem Verzehr auch noch kochen musste, galt da erst recht als dubios und wurde deswegen auch als „Hexenpflanze“ bezeichnet.

    Erst über 100 Jahre nach dem Anbau in Pilgramsreuth wurden die Knollen in Deutschland verstärkt angebaut. Ein entscheidender Auslöser für den Anbau waren im 18. Jahrhundert die schweren Hungersnöte im Jahre 1749 und 1770/72. Als im Jahr 1740 Friedrich II. König wurde, herrschte gerade wieder ein Hungerwinter. Die Dreifelderwirtschaft, die nach Winter- und Sommergetreide stets eine Brache brauchte, war sehr krisenanfällig.

    Friedrichs ständige Kriegszüge verschärften das Problem noch. Der König ließ Kartoffeln verteilen, zunächst als Geschenke, versehen mit einer Pflanzanweisung. Von ihrem Geschmack waren die Bauern anfangs nicht begeistert. „Die Dinger riechen nicht und schmecken nicht und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen“, berichtete Joachim Nettelbeck, der eine öffentliche Kartoffelvorführung miterlebte. Ein Runderlass vom 24. März 1756 verordnete dann den Kartoffelanbau. Bei Zuwiderhandlung drohten Geldstrafen. Trotzdem lief das Programm nur allmählich an.

    Dreimal in der Woche gab es Klößtage

    1890 aß ein Deutscher durchschnittlich ein Kilo Kartoffeln am Tag. Auch nach den beiden Weltkriegen war die Kartoffel oft das einzige Hauptnahrungsmittel und dies war auf dem Speiseplan, besonders im ländlichen Raum noch lange zu spüren. So kann ich mich, der Autor dieser Zeilen, noch erinnern, dass es in den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, dreimal in der Woche die sogenannten Klößtage gab. Die „grüna Klües“, eine Mischung von rohen und gekochten Kartoffelteig, gab es grundsätzlich am Sonntag und nochmals am Dienstag und Donnerstag. Oft wurden am Montag die übrigen Klöße klein geschnitten und in der Pfanne mit Fett angebraten und so verwertet.

    Früher mühevolle Handarbeit

    Über Generationen lief die Ernte in mühevoller Handarbeit ab. Die Kartoffel erforderte schon beim Pflanzen, Häufeln, Hacken bis hin zur Ernte einen hohen Arbeitsaufwand. Wenn sich das Kartoffelkraut gelb oder braun färbte, dann war Zeit für die Ernte.

    „Kartoffelferien“

    1910 hatte man errechnet, dass eine Arbeitskraft am Tag 0,3 Tagwerk graben und auflesen kann. Die ganze Familie, Verwandte und Nachbarn waren mit eingespannt. Meine Eltern bekamen noch als Schulkinder „Kartoffelferien“ und mussten statt zur Schule wochenlang die Kartoffel auflesen.

    Dies war nicht immer leicht, vor allem bei Regenwetter oder wenn der Nachtfrost zu früh kam und die Frucht geschädigt war. So musste auch ich noch als Schuljunge erst am Nachmittag mit meinen Geschwistern, Eltern und Nachbarn die Kartoffeln mühevoll von der oft nassen Scholle heraus holen und in den Körben nach Größen sortieren.

    „Örbfl lesen aufm Agger“

    Der Verwendungszweck der geernteten Kartoffeln war klar geregelt: „Von den großen wurden Klöße gekocht, die kleinen bekamen die Säu und die mittleren dienten als Samen.“ Erst wenn abends die Säcke im Keller ausgeleert waren ging es in der nächsten Schicht an die Hausaufgaben. Mit der Einführung vom Kartoffel-Roder, der zunächst von Kühen, Ochsen, Pferden und später vom Traktor gezogen wurde, fiel die Spitzhacke weg und die Arbeit wurde spürbar erleichtert.

    Erst in den vergangenen vier Jahrzehnten kam mehr Technik dazu, und die vollautomatischen Erntemaschinen erledigen die einst mühevolle Arbeit. So hatte sich der Arbeitsaufwand im Kartoffelanbau deutlich gesenkt.

    Hier nur 40 Sorten

    Angebaut wird in Deutschland aktuell von etwa 30 000 Bauern und Unternehmen auf zirka 235 500 Hektar Land. Ein Drittel dieser Betriebe befinden sich in Bayern. Mit einer Jahresproduktion von knapp zehn Millionen Tonnen gehört Deutschland immer noch zu den weltweit wichtigsten Anbauländern von Kartoffeln. Europaweit werden um die 4000 verschiedene Kartoffelsorten angebaut. Bei uns kommen nur 40 Sorten, also ein Bruchteil zum Einsatz.

    Vor einigen Jahrzehnten konnten wir von Mitte September bis Anfang Oktober viele Menschen auf den Kartoffelfeldern am Obermain sehen. Aber in diesen Tagen finden wir nur noch vereinzelt den einen oder anderen Landwirt bei der Ernte auf seinem Acker.

    Nach wie vor ist die Kartoffel eines der Hauptnahrungsmittel in den Ursprungsländern Bolivien und Peru. Hier gibt es die weltweit größte Vielfalt mit vielen hundert Sorten in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, die in fast ebenso vielen Varianten zubereitet werden.

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