Mein Geist soll süß, aber auch ein bisschen „spooky“ sein. Deswegen treffe ich mich am Sonntagmittag mit Adam in der Stadthalle. Hier findet die fünfte Lichtenfelser Tattoo-Convention statt. Über 20 Künstler sind vor Ort, ins Leben gerufen haben die Convention die Coburger V2 Freunde und die Motorrad-Section Hof.
Ich habe einen Termin mit dem Studio von Niké ausgemacht, die mich an ihren Mann Adam vermittelt hat. Weil der gern und gut „Minimal Style“ sticht. Noch ist eine Stunde Zeit. Noch ist wenig los in der Stadthalle. Die Tätowierer sitzen etwas gelangweilt in ihren Ständen. Über das Wochenende hinweg rechne man mit bis zu 1500 Besuchern, erklärt Albi von den V2 Freunden, der hier seine Harleys ausstellt.
„Da spricht man nicht drüber. Man kriegt einen Kleinwagen dafür.“
Dirk zu den Kosten all seiner Tattoos
Albi passt perfekt ins Ensemble mit seinem Look: ein großer, bärtiger Kerl mit Schraubstock-Händedruck, kariertes Flanellhemd. „Viele kommen nicht unbedingt, um sich hier tätowieren zu lassen, sondern wegen des ganzen Lifestyles“, sagt er.
Deshalb hat er ein Bühnenprogramm zusammengestellt. Im halbstündigen Wechsel schwingt sich entweder Mary, Poledancerin aus Nürnberg, um die Stange oder hangelt sich das Duo Ingravido akrobatisch an einem Gerüst entlang.
Und während ich dann bei Adam sitze, der meinen rechten Unterarm mit einem Wegwerfrasierer von den Haaren befreit, läuft hinter meinem Rücken der Spielmannszug des TV 1894 Coburg-Neuses vorbei. Ufftata! In einer solchen Atmosphäre hat auch Adam noch nicht tätowiert. Er grinst schelmisch und macht sich ans Werk.
Der gebürtige Ungar arbeitet seit zwei Jahren im Studio seiner Frau Niké in Hof. Niké hatte vorher schon eines in der Heimat. Es fällt Adam ein bisschen schwer, auf Deutsch zu erklären, warum er Tätowierer geworden ist: „Es ist ein freies Leben“, sagt er, „gute Atomsphäre.“ Das erste Motiv, das er gestochen hat, war Tinker Bell, eine kleine Fee hinter das Ohr einer Kundin.
Gelernt hat er das Handwerk von seiner Frau. „Zuerst zeichnet man viel, dann tätowiert man auf Schweinehaut, dann auf mir selbst.“ Er zieht das Hosenbein hoch, an der Wade trägt Adam einen Stern und einen Schriftzug – beides selbst gemacht.
Und es tut doch weh
Viele Menschen, die tätowiert sind, sagen, es tue ja überhaupt nicht weh. Das entspricht nicht der Wahrheit. Andere sagen, der Schmerz lasse sich gar nicht so wirklich beschreiben. Auch das stimmt nicht. Es fühlt sich an, als würde einem jemand mit einer Nadel die Haut aufreißen. Denn das ist ziemlich genau das, was passiert. Und jedes Mal, wenn ich mir ein neues Tattoo stechen lasse, denke ich: Warum eigentlich? Und schon am nächsten Tag plant man das nächste.
So geht es den meisten. Nicht so Dirk, Dirk kennt keinen Schmerz. Er hat sich gegenüber am Stand von Nephalim-Tattoo aus Coburg niedergelassen. Dirk liegt auf dem Rücken und streckt den rechten Arm von sich. Thomas bearbeitet dessen Innenseite. Wie viele Tattoos er am Körper trägt, weiß Dirk nicht mehr. Rücken und Arme sind quasi voll. Wie viel Geld er für den Körperschmuck ausgegeben hat, mag er nicht verraten: „Da spricht man nicht drüber. Man kriegt einen Kleinwagen dafür.“
Portrait des verstorbenen Hundes
Heute bekommt er ein Portrait seines verstorbenen Hundes unter die Haut. Ein ungewöhnlich bedeutsames und großes Tattoo für eine Messe, aber Dirk war schon öfter bei Thomas. Man kennt und vertraut sich. Seit 23 Jahren verschönert Dirk seinen Körper auf diese Art. Wobei, verschönern natürlich immer relativ ist. Sein erstes Tattoo war ein schwarzer Panther auf der Brust. „Der sieht jetzt allerdings aus wie“, er überlegt, „ein Klumpen.“ Dirk lacht: „Muss halt mal ausgebessert werden.“
Gegen 14 Uhr, ich trage bereits einen kleinen Geist, knisternd eingewickelt in Frischhaltefolie auf dem Arm, füllt sich die Stadthalle. Viele schwere Männer, viele Wollmützen, Bärte, Kahlköpfe, Motorradstiefel. Aber nicht nur Biker, auch sehr normale Menschen, jung wie alt, schlendern durch die Gänge. Die Künstler sind jetzt im Dauereinsatz.
Mary zirkuliert um die Stange
Wenngleich manche ein wenig marktschreierisch daherkommen, kann man sich hier auch einfach mal inspirieren lassen. Und dann vor die Bühne spazieren, wo Mary wie wild um die Stange zirkuliert.
Alessandro vom Bamberger Studio „Zur Sonne“ beugt sich derweil über einen Fuß von Andrea. Eine gute halbe Stunde später trägt sie dort ein Perlenkettchen. So etwas hatte sie im Internet gesehen, das gefiel ihr. Es ist Andreas zweites Tattoo. Für das Bamberger Studio hat sie sich spontan auf der Messe entschieden, Zufall, aber jetzt lächelt sie ganz zufrieden.
Dadurch, dass Alessandro mit kleinen Pünktchen gearbeitet habe, sei es nicht ganz so schmerzhaft gewesen. Aber es tut schon weh, klar. „Ich habe immer gedacht“, sagt Andrea, „wenn ich ein Kind zur Welt gebracht habe, dann halte ich auch ein Tattoo aus.“ Und, was ist schlimmer? „Kind kriegen.“ Keine weiteren Fragen.
An jedem der beiden Messeabende werden Pokale vergeben. Für die besten Arbeiten in unterschiedlichen Kategorien. Kessy aus Berlin hat schon zwei auf ihrem Tisch stehen, erster Platz „Best of Colour“ und dritter Platz „Best of Day“. Es ist die zweite Convention, an der sie teilnimmt. Seit acht Jahren arbeitet die gelernte Floristin als Tätowiererin. „Ich habe schon immer gerne gezeichnet, und tätowieren hatte ich irgendwie im Gefühl.“
„Jedes Tattoo ist individuell. Und jeder Mensch ist individuell. Man trägt für immer ein Bild auf der Haut, das etwas bedeutet.“
Markus aus Coburg zu seinem Clownsgesicht-Tattoo
Zuerst mussten Freunde unter ihre Nadel. Das erste Motiv: Auch ein Panther. Dirk kennt sie aber nicht. „Der war sogar recht groß“, erinnert sich Kessy. Und, gelungen? „Ja, relativ gut. Aber über die alten Sachen wollen wir lieber nicht sprechen.“ Gerade arbeitet sie an einem grimmigen Clownsgesicht. Das kommt auf den Oberarm von Markus aus Coburg.
„Es ist nicht immer alles so, wie es sein soll. Das drückt das für mich aus“, sagt Markus mit dem halbfertigen Clown auf dem Arm. Erst einmal eine Pause. Das Motiv hat Kessy für ihn entworfen. „Jedes Tattoo ist individuell“, sagt Markus, „und jeder Mensch ist individuell. Man trägt für immer ein Bild auf der Haut, das etwas bedeutet.“ Wahrscheinlich wird auch für ihn nach dem vierten nicht Schluss sein.
Für die Tätowierer bedeutet die Messe netzwerken mit den Kollegen und ein gutes Geschäft. Davon zeugt das stete Surren der Nadeln, das nun die Luft erfüllt. Messepreise sind tendenziell ein wenig höher als Studiopreise. Alle Künstler sind mit großer Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit am Werk. Stümper scheinen keine dabei zu sein, kein Streit, keine enttäuschten Gesichter. Über all der Selbstverständlichkeit droht eines nämlich ein wenig in Vergessenheit zu geraten: Ob Geist, Clown, Hund oder Panther – all die Kunden verlassen die Lichtenfelser Stadthalle mit einem Bild, das sie nie wieder loswerden.