Dann steht er da. In seiner ganzen Pracht. Eine Patina überzieht ihn. Sicherlich, nach all den Jahrzehnten ist das kein Wunder. Die Schrammen im Lack, verzeihbar. Die betagte Dame des Hauses lächelt huldvoll, als sie den Deckel über den Tasten aufklappt. Die Sonne blinzelt durch milchiges Glas herein. Draußen, vor dem verwitterten englischen Herrenhaus, holt sich die Natur einen einst gepflegten Park zurück. Hier im Zimmer steht der Pharonenflügel auf Eichenparkett. Ein Instrument, das als verschollen galt, von dem nur Skizzen erzählen. Ein Schatz, der Millionen in britischen Pfund und Euro wiegt. Doch viel wichtiger ist der Klang, die Hand über die Elfenbeintasten streichen zu lassen.
Der Pharaonenflügel ist eine Legende. Ein Traum, der reisende Klavierhändler begleitet. Ein bisschen wie eine Indiana-Jones-Saga für Männer und Frauen auf der Suche nach wertvollen Instrumenten. Es ist nicht anzunehmen, dass Rolf Müller jemals die beschriebene Fantasieszene erleben wird. Dabei sucht er durchaus auch in England nach Schätzen. Nach wunderschönen Flügeln und Klavieren, von Meisterhand oft vor über 100 Jahren gebaut. Steinways, Bechsteins und Bösendorfers. Instrumente, die ihren beeindruckenden Klang verbergen. Verstimmt, von Jahrzehnten gezeichnet, aber im Inneren voll einzigartiger Seele.
Auf der Suche in England
In England ist der Markt gut. „Kaum in einem anderen Land wurde einst so viel in edle Instrumente investiert“, sagt Müller. So kommt es, dass Flügel nach über 100 Jahren wieder in das Land zurückkehren, in dem sie einst gebaut wurden. Bei der Suche hilft längst ganz schnöde die Internet-Rechereche. Aber auch gute Beziehungen und der tadellose Namen eines Klavierhändlers. Seit 20 Jahren besteht das Geschäft in Neuensorg.
Rolf Müller bringt die Tasteninstrumente an den Obermain, baut sie dort mit seinem Team in der Werkstatt neu auf. Gibt ihnen ihren Klang zurück. „Jedes Instrument ist einzigartig, hat seinen unverwechselbaren Klang, sein eigenes Temperament“, sagt der Klavierhändler aus Neuensorg und blickt stolz in den Verkaufsraum. Dort reihen sich die Klaviere und Flügel aneinander, glänzen um die Wette. Es sind nicht immer unbedingt idyllische Szenen, wie beim „Pharaonenflügel“ beschrieben. Manchmal wirkt der Schatz wie eine ausgeplünderte leere Kiste, allem Wertvollem beraubt. Rolf Müller lässt sich da nicht täuschen. In Hamburg, zum Beispiel, stößt er auf einen Bechstein aus dem Jahr 1900.
„Was für ein wunderschönes Instrument. Allein die Intarsien des Instruments haben mich beeindruckt“, sagt der 65-Jährige. Die Geschichte des Flügels klingt dagegen leidvoll. Er steht in einem Gymnasium. Jahrzehntelang erträgt er unbeholfene Schülerhände. Das edle Instrument verkommt zum Arbeitstier, zum musikalischen Packesel. Bis es endgültig verstummt. „Es war völlig zerhackt“, sagt der gelernte Klavierbauer.
Jetzt steht der Bechstein wie neu auf dem glänzen Marmorboden im Showroom. Die 120 Jahre sieht man ihm nicht an. Aber man merkt, es wird dem Klavierhändler nicht leicht fallen, ihn zu verkaufen. Seine Hände fliegen über die Tasten. Der Klang ist atemberaubend. 38 000 Euro kostet das Instrument. Dafür gibt es einen Mittelklassewagen mit hochwertigem Soundsystem. Denkt sich zumindest der Laie.
Künstler als Kunden
„Das gebrauchte Instrument ist oft gut um die Hälfte billiger als ein vergleichbares Neuinstrument. Dabei kann der Klang oft einzigartiger und besser sein“, erklärt der Klavierbauer. Denn bis vor dem Zweiten Weltkrieg leisteten sich die namhaften Flügel- und Klavierhersteller Holzlager, in denen das Material oft fast ein Menschenleben lang „reifte“, bevor es verbaut wurde. „Fast alles ging im Krieg in Flammen auf. Nur das Steinway-Lager in Hamburg blieb verschont. Vermutlich, weil die Firma auch in den USA beheimatet ist“, meint der 65-Jährige. So gab es schon kurz nach Kriegsende wieder Steinway-Flügel aus der Hamburger Produktion.
Und wer kauft die Instrumente heute? „Unter anderem Künstler natürlich“, sagt Müller. Seine Kontakte konnte er übrigens auch für die Klassik-Open-Airs auf dem Lichtenfelser Marktplatz nutzen, um die Musiker für einen Auftritt in der Korbstadt zu gewinnen. Zuletzt bei Alexander Yakovlev, der sich für das Konzert einen Flügel bei dem Neuensorger Klavierhaus aussuchte. „Den haben wir, wie im Vorjahr, natürlich auch gerne kostenlos für das Benefizkonzert zur Verfügung gestellt“, so der Klavierbauer.
Aber es kann auch der musikbegeisterte Amerikaner sein, der eigens für den Instrumentenkauf aus Übersee anreist. Oder die Hoteliersfamilie mit den beiden Kindern. „Die Ältere hat auf dem Flügel gespielt, die Jüngere saß darunter und hat gesungen. Das Bild werde ich nie vergessen“, lacht Ehefrau Birgit Müller, die für das Marketing des Unternehmens verantwortlich ist.
„Arbeitstier“ im Wohnzimmer
Rolf Müller wäre fast selber Pianist geworden. Das Spiel ist seine Leidenschaft. Doch zuhause im Wohnzimmer steht eher bescheiden ein Instrument von Yamaha. „Ein exzellentes Arbeitstier“, meint der 65-Jährige. Auch musikalisch geht er so seine Wege, die bei aller Liebe zur Klassik eher mal in poppig-rockige Gefilde steuern. Selbst mit den „Stimmengebern“ und Studiomusikern von „Milli Vanilli“ arbeitete er zusammen. Zum Glück sind seine Instrumente echter als die tanzenden Playback-Götter der 1980-er Jahre. Aber das ist eine andere Geschichte.