„Kinder im Spannungsfeld häuslicher Gewalt“, lautete das Thema des Koki-Netzwerktreffens am vergangenen Mittwoch im Diözesanhaus Vierzehnheiligen. Die Koordinierende Kinderschutzstelle (KoKi – Netzwerk frühe Kindheit) des Landkreises Lichtenfels hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Netzwerk aller Professionen aufzubauen und zu pflegen, die werdende Eltern und Eltern mit Kindern von 0 bis drei Jahren beraten und begleiten. Stefan Hahn, Sachgebietsleiter im Jugendamt, und die Koki-Verantwortliche Carmen Fischer leiteten das Treffen ein.
Rund 100 Mitarbeiter der Jugendämter, Hebammen, Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen, auch aus den benachbarten Landkreisen, verfolgten gespannt den Vortrag von Susanne Prinz, Diplompädagogin aus Oberhausen. „Im Kinderschutz sind wir noch nicht auf Augenhöhe“, kritisierte die selbstständige Fortbildungsreferentin.
Dialog mit allen Verantwortlichen
Der Dialog mit allen Verantwortlichen gerate aus dem Blick. „Nur die Erwachsenen reden, wenn etwas passiert“, stellte sie fest. „Die Kinder müssen mit einbezogen werden“, so ihre Forderung und „die Beteiligung aller Betroffenen ist wichtig“. Und viele wüssten überhaupt nicht welche gravierenden Auswirkungen häusliche Gewalt auf Kinder hätten, war ihr Resümee.
„Bei uns zu Hause ist die Hölle los! – Kinder im Spannungsfeldhäuslicher Gewalt“, lautete das Referat von Susanne Prinz. Ein Zeichentrickfilm verdeutlichte ein Fallbeispiel aus der Praxis. Ein kleines Kind wird Zeuge wie der brutale Vater in der Wohnung wütet, den Tisch umschmeißt und sogar das Aquarium mit den geliebten Goldfischen zu Boden wirft.
Das Kind wird in das Kinderzimmer eingesperrt, hört aber deutlich die Auseinandersetzung der Eltern, die mit dem tätlichen Angriff auf die Mutter endet. Nach dem die Horrorszene beendete ist kommt der Vater zur Besinnung und bittet die Mutter um Vergebung. Sie nimmt die Entschuldigung an. Aber für das Kind bleibt der Vater ein Ungeheuer.
Rund 25 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen hätten Formen körperlicher oder sexueller Gewalt oder beides durch aktuelle oder frühere Beziehungspartnerinnen oder -partner erlebt, so die Referentin. Bei den befragten türkischen Migrantinnen lägen die Zahlen noch höher. Hier geben 38 Prozent der Frauen türkischer Herkunft an, Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner erlebt zu haben. In fast zwei Dritteln der Fälle ist schwerste Gewalt gegen Frauen mit einem erhöhten Alkoholkonsum des Täters verbunden.
Gewalt in der Beziehung
Frauen unter 35 Jahren werden häufiger und stärker misshandelt, wenn beide Partner in einer schwierigen sozialen Lage sind, weil beide entweder über kein Einkommen, keine reguläre Erwerbsarbeit oder über keine Schul- und Berufsausbildung verfügen. 60 Prozent, die über die letzte gewaltbelastete Paarbeziehung bei einer Befragung berichteten, gaben an, in dieser Paarbeziehung auch mit Kindern zusammengelebt zu haben. Sieben Prozent der Befragten gaben an, die Kinder hätten die Situationen gehört, und 50 Prozent, sie hätten sie gesehen.
Frauen über 45 Jahre sind vor allem dann von Gewalt betroffen, wenn sie über eine höhere Bildung verfügen oder wenn sie bei Bildung, Beruf und Einkommen dem Partner gleichwertig oder überlegen sind u. damit traditionelle Geschlechterrollen in Frage stellen. Nach einer Studie des Familienministeriums hätte etwa jede zweite Frau mit Behinderung erlebt sexualisierte Gewalt in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene erlebt. Damit sind behinderte Frauen zwei bis dreimal so häufig von sexualisierter Gewalt betroffen wie der weibliche Bevölkerungsdurchschnitt.
Fast doppelt so häufig wie nicht-behinderte Frauen erfahren Frauen mit Behinderungen körperliche und psychische Gewalt im Erwachsenenalter, aber auch bereits in ihrer Kindheit.
Von den Männern, die befragt wurden, erlebten 25 Prozent mindestens einen Akt körperlicher Aggression – darunter überwiegend leichte aber auch schwere Formen der Gewalt – durch eine Beziehungspartnerin. Dabei wurden fünf Prozent verletzt und fünf Prozent hatten Angst vor einer Verletzung.
Kinder sind häufig auf sich alleine gestellt, da Eltern von ihren Konflikten und Problemen absorbiert sind. Sie haben Sorge um die jüngeren Geschwister; sie erleben häufig existenzielle Bedrohungen, haben Angst, dass Vater und Mutter sterben könnten. Die Mutter ohne sie weggeht, Selbstmord begeht, wenn sie sich trennt, vom Vater umgebracht wird oder dass der Vater die Mutter, die Kinder und sich selbst tötet. „Kinder sind isoliert, stehen unter Druck, dass Familiengeheimnis vor anderen zu wahren“, stellte die Diplompädagogin fest.
„Alles, was wir früh erleben und tun, alles was wir häufig wiederholen, bildet die stabilsten neuronalen Netze in unserem Gehirn, die unser Denken, Fühlen und Handeln steuern“, unterstrich Susanne Prinz. Das kindliche Gehirn werde in sehr unterschiedlichen Entwicklungsphasen geschädigt, je nachdem, welche Form von Gewalt das Kind in welchem Alter erfahre. Traumatisch bedingte Gehirnveränderungen hätten langfristige Auswirkungen.
Prävention wichtig
Befunde aus Studien zeigten auf, dass der Schutz von Kindern vor körperlichen und sexuellen Übergriffen eine zentrale Maßnahme auch für die Prävention von Gewalt gegen Frauen im Erwachsenenleben darstelle.
„Jugendämter müssen täterorientierte Interventionsstrategien entwickeln und
Rückmeldungen an die Polizei geben“, forderte Susanne Prinz. Wichtig sei es, in Kooperationsbündnissen mitzuarbeiten und sich zur Auswirkung von Gewalt in Paarbeziehungen auf die Kinder fortzubilden. Die Diskussion der Definition von „Kindeswohl“ und „Gefährdung“ müsse unbedingt geführt werden.
Die Kinderschutzstelle Die Kinderschutzstelle am Landratsamt berät über Möglichkeiten der Unterstützung, begleitet bei Bedarf zu „schwierigen“ Terminen, vermittelt auf Wunsch wichtige Unterstützer und findet eine gemeinsame Lösung, damit die Zeit mit dem Kind gut gemeistert werden kann. Ansprechpartnerinnen sind Carmen Fischer, Tel. (09571) 18306, oder Jasmin Morgenroth, Tel. (09571) 18373, im Erdgeschoss des Landratsamtes Zimmer E 59. Beide unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht.