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LICHTENFELS/COBURG: Gericht:"Er wollte so gern noch 60 werden"

LICHTENFELS/COBURG

Gericht:"Er wollte so gern noch 60 werden"

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    Zur Zahlung von 90 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz ist das Klinikum Lichtenfels verurteilt worden.
    Zur Zahlung von 90 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz ist das Klinikum Lichtenfels verurteilt worden. Foto: Sascha Ott

    Hans G. ist tot. Schon seit März 2015. Aber er hätte vielleicht nicht so früh sterben müssen, mit gerade mal 59 Jahren. „Er wollte so gern noch 60 werden“, sagt seine Witwe. Die Diagnose lautete am Ende Bauchspeicheldrüsenkrebs. Als das im Henneberg-Klinikum in Hildburghausen erkannt wurde, hatte Hans G. keine Chance auf Heilung mehr.

    Die war womöglich im Frühjahr 2014 im Klinikum Lichtenfels vertan worden. Dort war G. als Patient aufgenommen worden, weil ein Radiologe auf dem Bild eines Computertomografen ein Problem an der Bauchspeicheldrüse gesehen hatte. Ein Karzinom sei nicht auszuschließen, so hatte es der Radiologe noch gesagt.

    „In Hildburghausen haben sie uns damals gefragt: Warum seid ihr nicht nach Coburg?“, sagt die Witwe. Im Klinikum Coburg gibt es ein Pankreaszentrum, spezialisiert auf Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse. Im Lichtenfelser Klinikum indes tippten die Ärzte nicht auf Krebs, sondern auf eine Autoimmunpankreatitis, also eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse aufgrund einer Fehlfunktion des Immunsystems. Die körpereigenen Abwehrzellen greifen dann Körpergewebe an – in diesem Fall das der Bauchspeicheldrüse (Pankreas).

    Entsprechend wurde Hans-Dieter G. dort behandelt. Zwischen zwei Aufenthalten im Regiomed-Klinikum wurde er nach Kutzenberg eingewiesen, um dort Lymphknoten entnehmen zu lassen. Krebsgewebe wurde dabei nicht gefunden. Auch eine Punktion am Lichtenfelser Klinikum blieb ohne Befund. Am Ende wurde G. entlassen mit der Empfehlung, eine Cortison-Therapie zu beginnen und sich nach sechs Monaten wieder vorzustellen. Cortison wird bei Erkrankungen des Immunsystems häufig verabreicht.

    Zu spät erkannt

    Im August 2014 wurden G.s Beschwerden so schlimm, dass er das Klinikum in Hildburghausen aufsuchte, nahe seinem Wohnort. Dort wurde dann der Krebs diagnostiziert, aber eine Behandlung war nicht mehr möglich. G. erhielt lediglich Medikamente zur Schmerzlinderung. Im März 2015 erlag er der Krankheit.

    Nun wurde seine Geschichte vor der Zivilkammer des Landgerichts Coburg wieder aufgerollt. Seine Witwe hatte auf Schmerzensgeld und Schadenersatz geklagt: Wäre der Krebs rechtzeitig diagnostiziert worden, hätte ihr Mann eine Überlebenschance gehabt, sagt sie.

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    Das bestätigte Gutachter Professor Robert Grützmann. Der Chefarzt der Chirurgie am Uniklinikum Erlangen hatte sein Gutachten im Auftrag der Kammer vor dem Verhandlungstermin fertiggestellt; es lag allen Beteiligten schriftlich vor. „Grobe Behandlungsfehler“ wirft Grützmann dem Klinikum Lichtenfels vor. Für Juristen eine wichtige Feststellung: Wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt, kehrt sich die Beweislast um. Nicht die Witwe muss beweisen, dass ihr Mann noch leben könnte, sondern die Klinik muss beweisen, dass er auch bei korrekter Behandlung nicht überlebt hätte.

    „Ich hätte bei diesem Befund sofort operiert.“

    Professor Robert Grützmann, Chefarzt der Chirurgie am Uniklinikum Erlangen

    Die Überlebensraten sind bei Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht hoch. „25 Prozent der Patienten leben noch fünf Jahre“, sagte Professor Grützmann vor Gericht. Aber weitaus höher sei die Zahl derjenigen, die vielleicht weniger als fünf, aber doch einige Jahre länger leben, weil sie rechtzeitig behandelt wurden. „Ich hätte bei diesem Befund sofort operiert.“ Auf jeden Fall sei es in Lichtenfels versäumt worden, weitere Diagnostik zu betreiben. Grützmann stellte in seinem Gutachten auch fest, dass es im April 2014 noch keine Hinweise auf Metastasen gab. Somit wäre seinen Worten nach eine Operation und Chemotherapie noch möglich gewesen.

    Weitere Verhandlungstermine vermieden

    Vor der Zivilkammer des Landgerichts ging es am Dienstag denn auch nur noch um die Höhe von Schadenersatz und Schmerzensgeld. Rund 160 000 Euro hatte die Witwe insgesamt gefordert, die Kammer unter Vorsitz von Richter Philipp Karr schlug 88 000 Euro vor, am Ende bot Anwalt Matthias Engelhardt 90 000 Euro, und die Witwe nahm an.

    Vorsitzender Richter Karr hatte ihr dazu geraten. Hätte die Kammer ein Urteil fällen müssen, hätte es weitere Verhandlungstermine gegeben. Die Witwe hätte vielleicht mehr Geld erhalten, aber zum Bespiel auch nachweisen müssen, dass sie nach der Beerdigung ihres Mannes aus psychischen Gründen nicht arbeiten konnte. Sie hatte ihren Job aufgegeben, um ihren Mann zu pflegen. „Ich habe ihn nicht aus den Händen gegeben.“

    Inzwischen arbeitet sie wieder, sie hat erneut geheiratet und lebt mit ihrem Mann an der Nordsee. „Das hätte ich nicht getan, wenn ich raffgierig wäre.“ Mehr Geld mache nicht unbedingt glücklicher, sagt Richter Karr. „Glück muss man sich suchen“, antwortet sie und schaut zu ihrem Mann im Zuschauerraum.

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