Ist das schon der Frühjahrsputz oder sind alle plötzlich vom Ordnungswahn befallen? Seit die Japanerin Marie Kondo in einer Netflix-Serie zeigt, wie man in den eigenen vier Wänden ausmistet, scheint ein kollektiver Hang zum Aufräumen um sich zu greifen. Putzen und Entrümpeln scheint plötzlich sexy zu sein, wie die Verkaufszahlen ihrer Bücher zeigen. Einfacher soll das Leben werden, wenn man sich von überflüssigem Plunder trennt, den Kleiderschrank oder den Keller ausmistet. Sogar hier im Landkreis gab's schon Vorträge, wie man sein Leben dadurch verbesssern könne.
Das erinnert mich an meine Oma. „Ordnung ist das halbe Leben“, meinte sie öfter, angesichts unseres kindlichen Durcheinanders. Was habe ich den Spruch gehasst! Und sie hat uns trotz der Unordnung geliebt.
Auch wenn ich aus dem Alter raus bin, türmen sich auf meinem Schreibtisch häufig Berge von alten Zeitungen oder Notizen – von den Schubladen ganz zu schweigen. Doch das erdigt sich von selbst – ganz ohne Aufräum-Beraterin: Spätestens, wenn ich etwas suche, trage ich die Berge halt ab. Nur mein Chef ist da anderer Meinung. Vermutlich ein Fan der Japanerin.
Auch dass mein Kleiderschrank ziemlich voll ist, stört mich erst dann, wenn für die neue Jacke kein Platz mehr ist. Dann sortiere ich halt eine alte aus. Aber frühestens dann. Das gleiche gilt für den Dachboden, auch wenn meine Frau da anderer Meinung ist. Den kann man abschließen und dann vergesse ich das Durcheinander. Außerdem wär's ja schade um die Schätze, die dort ruhen.
Ins Grübeln kam ich allerdings, als unser Jüngster, der sonst nicht durch übertriebenen Ordnungssinn auffällt, sich ein Buch über Minimalismus als Lebensstil kaufte – auch so eine Art Aufräum-Ratgeber. Als ich kurz darauf die Wanduhr in der Küche aufzog – eine hübsche aber unpraktische Hinterlassenschaft von Oma – und er meinte, die wolle er mal erben, war ich wieder beruhigt. Schließlich gilt auch beim Minimalismus und Aufräumen: Weniger ist mehr.