Seit 1931 existiert der Friseursalon Wendler in der Bamberger Straße. Hubert Wendler führt ihn in der dritten Generation – bis zu diesem Samstag. Dann wird er ihn zuschließen, schweren Herzens. Aber es geht nicht anders. Damit endet eine Ära.
Es ist eine Geschichte, wie sie so ähnlich viele Handwerker in Deutschland erzählen können. Eigentlich möchte Hubert Wendler seinen Betrieb samt Inneneinrichtung und Kundenstamm übergeben. Seine eigenen Kinder haben andere Berufe ergriffen. Deshalb hat er vor drei Jahren angefangen, nach einem Nachfolger zu suchen. Da ist er 59 Jahre alt, hat also genügend Vorlauf. Und es scheint sich auch eine Lösung anzubahnen: Eine seiner Mitarbeiterinnen meldet Interesse an. Aber sie macht einen Rückzieher. „An jemanden von meinem Personal hätte ich meine Einrichtung sogar verschenkt“, sagt Wendler. „Aber niemand hat den Schritt gewagt.“
Keiner will sich mehr selbstständig machen
Zwei weitere Interessenten, die allerdings nicht vom Fach sind, springen wieder ab. Die Handwerkskammer stellt Wendlers Angebot auf ihr Internetportal – keine Resonanz. Drei Annoncen schaltet der Friseurmeister im Obermain-Tagblatt – nichts tut sich. „Ich habe das recherchiert: Zehntausende Handwerksbetriebe suchen bundesweit in Deutschland einen Nachfolger. Tausende Friseure wollen ihren Betrieb abgeben, aber keiner sucht einen“, fasst Wendler die Situation zusammen. Da haben auch die in Aussicht gestellte gute Miete und die günstig erhältliche Einrichtung nicht gezogen.
62 Jahre alt ist der Unternehmer mittlerweile. Normalerweise hätte er sich noch drei, vier Jahre Zeit gelassen. Aber im vergangenen halben Jahr haben ihm gesundheitliche Probleme schwer zu schaffen gemacht. Er hat sich zurückgekämpft, aber arbeiten kann er nicht mehr. Da es jetzt auch möglich war, die Geschäftsräume fristgerecht zu kündigen, hat sich Wendler dazu durchgerungen.
Ein Familienbetrieb in dritter Generation
Wenn er am Samstag die Türe hinter sich zusperrt, schließt er auch mit einem großen Teil seines Lebens ab. Den Friseursalon Wendler haben seine Großeltern Georg und Martha Wendler 1931 gegründet. Sein Vater Eugen ist früh verstorben – da war er selbst gerade mal elf Jahre alt. Seine Mutter absolvierte dann die Gesellenprüfung und hielt zusammen mit seinem Großvater die Stellung, bis er übernehmen konnte. Hubert Wendler ging 1972 bis 75 in die Lehre, dann arbeitete er als Geselle bei seinem Großvater. 1980 übergab der ihm das Geschäft. Er hält inne. „Vor genau 40 Jahren habe ich meine Meisterprüfung abgelegt.“
Ein anderer Beruf – nein, das wäre wohl nicht in Frage gekommen. „Ich bin damit aufgewachsen“, erklärt er, bereut das aber auch nicht. „Ich war mit meinem Beruf immer ganz glücklich.“ Seine Kunden kommen zum Teil schon seit Jahrzehnten. Sie kennen sich auch untereinander. „Ich hab mir oft gedacht, da geht's zu wie am Stammtisch einer Wirtschaft“, sagt Wendler und lächelt. Es werden Witze erzählt, die Atmosphäre ist locker. Das wird den Kunden sicher fehlen. „Ja“, stimmt der Friseur zu. „Und mir auch.“
Er denkt zurück an frühere Zeiten, als er noch acht Gesellen und zwei Lehrlinge beschäftigen konnte. Damals, als allein die Striwa 700 Mitarbeiter beschäftigte. Dazu kamen das Bahnbetriebswerk, das Zollamt, Knorr, Friedrich & Co. – Unternehmen, die ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor für die Geschäfte in der Bamberger Straße waren. „Die Lehrlinge aus der Striwa haben Waschkörbe voll Leberkäsbrötla von der ,Wallachei‘ oder vom ,Preußischen Hof‘ geholt“, erinnert sich Wendler. Die Gaststätten hatten damals noch eigene Metzgereien und boten auch einen Mittagstisch an.
In der Mittagspause mal schnell die Haare schneiden lassen
Er selbst profitierte von den Beschäftigten, die nicht in Lichtenfels wohnten, aber in der Mittagspause oder nach Schichtende bei ihm vorbeischauten. Und von den Hotelgästen beim „Preußischen Hof“, die nicht nur dann zu ihm kamen, wenn sie ihren Rasierapparat vergessen hatten. Vertreter, die regelmäßig nebenan übernachteten, waren alle ein, zwei Monate bei ihm. Aber auch Urlaubsgäste gehörten zu den wiederkehrenden Kunden.
Als die großen Unternehmen in der Bamberger Straße schlossen, machte sich das entsprechend auch im Friseursalon bemerkbar. „Aber ich musste niemand entlassen“, erinnert sich Hubert Wendler. Es arbeiteten hauptsächlich Frauen für ihn, da regelte sich das durch Heirat und Wegzug oder Familiengründung sozusagen von selbst.
Bis zum Schluss hatte er genug Kunden, um davon leben und vier Mitarbeiterinnen bezahlen zu können. Den Kunden sagt er Danke für ihre Treue. Um seine Mitarbeiterinnen muss er sich keine Sorgen machen: Sie sind alle bereits versorgt. Die Friseuse, die alle nur unter ihrem Vornamen Sandra kennen, will ihre Kunden – hauptsächlich Herren – gern zu ihrer neuen Arbeitsstelle mitnehmen. „Das ist auch in meinem Sinne“, sagt der 62-Jährige. „Ich würde mich freuen, wenn meine Mitarbeiterin Erfolg hat und die Kunden dort weiter betreut werden.“ Sandras neue Chefin will das auch noch im Anzeigenteil des Obermain-Tagblatts bekannt geben.
„Diese Entscheidung zu treffen, dass ich aufhöre, war für mich nervlich und seelisch sehr strapaziös.“
Hubert Wendler, Friseurmeister
Für ihn selbst steht im vorgezogenen Ruhestand jetzt zuallererst eines auf der Agenda: wieder ganz gesund werden. „Diese Entscheidung zu treffen, dass ich aufhöre, war für mich nervlich und seelisch sehr strapaziös“, bekennt er. Jetzt will er erst mal zur Ruhe kommen. Dann, so hofft er, hat er gute Chancen, wieder so fit zu werden, dass er seinen Ruhestand auch genießen kann.