Wort zur Besinnung
In den ersten Tagen eines neuen Jahres bewegen mich wie viele andere viele Fragen. Fragen an gestern: Was habe ich erlebt? Was hat mich mit Stolz und Freude und Dankbarkeit erfüllt? Was ist mir im Leben wertvoll und wichtig? Habe ich mir dafür genügend Zeit genommen? Nein? Warum nicht? Wem und was bin ich besonders dankbar? Was möchte ich mitnehmen und allezeit in meiner Erinnerung bewahren? Wovon war ich am meisten enttäuscht? Und was würde ich am liebsten zurücklassen und für immer vergessen? Habe ich eigentlich genug gelebt, genug geliebt?
Fragen an heute: Fühle ich mich gesund an Leib und Seele? Sitze ich jetzt hier ruhig und zufrieden? Bin ich mit mir und meiner Lebenssituation im Reinen? Habe ich Streit mit jemandem? Fühle ich Schuld und schlechtes Gewissen? Was macht mir gerade Sorge und Angst? Würde ich jetzt gerne ein ganz anderer sein und wer und wie?
Fragen an Morgen: Wohin gehe ich? Was will ich bewahren privat und beruflich? Was will ich verändern? Was will ich gerne erleben? Wofür will ich mir mehr oder wirklich Zeit nehmen? Welcher Fehler soll mir nicht mehr passieren? Wovon will ich mich trennen, Abschied nehmen? Was will ich mir oder einem anderen und wem Gutes tun? Was wünsche ich mir sehnlichst und ganz konkret für das Jahr 2020? Was hält und was trägt mich dabei?
Fragen tief in uns. Fragen, die wir immer wieder stellen. Fragen, die wir nicht verhindern oder verdrängen können. Fragen, manchmal schmerzlich und bitter oder die auch vergeblich auf Antwort warten.
Mich selbst begleitet wie viele andere Menschen, seien sie evangelisch, katholisch oder ohne oder anderen Bekenntnisses ein Gedicht, ein Lied, das in diesen Tagen 75 Jahre alt wird. Ein Lied tiefster Ehrlichkeit, Offenheit, Verbundenheit, Hoffnung, Zuversicht und Vertrauens. Der Pfarrer und Theologe Dietrich Bonhoeffer hat es verfasst in den Weihnachtstagen 1944 im Gestapo-Gefängnis in Berlin für seine Verlobte Maria von Wedemeyer; sein letzter erhaltener theologischer Text vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg.
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Ein Lied und Gebet für alle Tage des Jahres, für viele schöne und schmerzliche, für traurige und frohe Momente. Ein Text, den es lohnt bei sich zu haben, auswendig gelernt oder inwendig im Herzen getragen. Ein Begleiter durchs Leben und alle Tage. Erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns, bei Dir und mir.
Pfarrer Matthias Hagen,
Bad Staffelstein