2008, für Christopher Nemmert war das das Jahr der Hoffnung. Gerade mal 22 Jahre alt eröffnete er seine Damen-Boutique in der Badgasse. „Das war eine wirklich gute Zeit“, sagt er heute. Erzählt, dass das Konzept gepasst hat. Selbst Kunden aus Kronach und Coburg kamen in seine gehobene Damen-Boutique. Dann fing der Kundenstamm an zu bröckeln. Schleichend, aber spürbar. Die schnelle Autobahnverbindung nach Coburg brachte nicht mehr Kundschaft in das schicke Geschäft. „Im Gegenteil, so manche Coburgerin ist gleich auf der Autobahn geblieben und an Lichtenfels vorbeigefahren. Mit Bamberg als Ziel“, meint der junge Geschäftsbesitzer.
Eigentlich Lichtenfels-Fan
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Christopher Nemmert ist ein ausgesprochener Lichtenfels-Fan und nicht unbedingt ein negativ denkender Mensch. „Es ist ein wunderschönes Städtchen, darum habe ich hier mein Geschäft eröffnet“, meint der junge Mann. Trotzdem, mit einem Wort kann er für sich die Kreisstadt nicht mehr in Verbindung bringen: Zukunft.
In der Innenstadt hat sich in den vergangenen fünf Jahren viel verändert. Leider kaum zum Guten. Ein Schaufenster-Bummel beim abendlichen Flanieren ist zu einer traurigen Angelegenheit geworden. Es bietet ungewollte Einblicke in die Tristesse der Leerstands. Hinter Glas gähnt dunkles Nichts. In Lichtenfels scheint das wahr geworden zu sein, vor dem Gutachten schon in den 1990-er Jahren warnten und warnten und warnten: Die Innenstadt verödet. Ein 27-Jähriger Geschäftsmann wie Nemmert sieht da eine Abwärtsspirale, die sich dreht. Macht ein Geschäft zu, fehlt ein weiter Magnet, der Kunden in das Herz der Stadt zwischen den beiden Stadttoren und der Eisenbahnunterführung lockt. Darunter leiden die bestehenden Geschäfte. Ein Dominoeffekt hat längt eingesetzt. Nemmert sieht nicht, dass sich das in naher Zukunft ändert. Jetzt will er sein Glück in einer Metropole suchen. Lichtenfels wird in absehbarer Zeit ein weiteres hochwertiges Geschäft verlieren.
So wie die Schreibwarenabteilung des traditionellen Familienunternehmens H.O. Schulze (das OT berichtete). Auch andere Geschäfte kündigen ihren Rückzug an: Beispielsweise wird der C&A-Kidsstore wohl dicht machen. Was das Obermain-Tagblatt als Gerücht erfahren hat, bestätigt die Presseabteilung des Unternehmen. Ohne Zeitpunkt und Gründe zu nennen. Und seit einem Jahr steht mitten am Säumarkt bereits die ehemalige zweistöckige Müller-Filiale, die ins Fachmarktzentrum umgezogen ist, leer. Ein schwerer Verlust für die Innenstadt-Frequenz. Gleiches gilt für Anrainer–Läden am Marktplatz...
38 Leerstände im Herzen der Stadt
City-Manager Werner Schiffgen hat den Leerstand aufgenommen. 38 Fälle im Herzen der Stadt, davon die meisten gewerbliche Objekte. Das schmerzt. In seinem Büro legt Schiffgen eine Liste mit Filialisten vor, die er gerne in das Zentrum bringen würde. Bekannten Namen werden genannt. Von einem „Ein-Euro-Laden, einem Biomarkt und einem Spielwarenverkäufer spricht er öfters. Aber auch davon, dass nicht das Fachmarktzentrum die Innenstadt „kannibalisiert“ habe. Oft würden die Verkaufsflächen und Anordnungen schlicht nicht den standardisierten Anforderungen der Konzerne entsprechen.
„Ich freue mich über jeden Inhaber geführten Laden.“
Werner Schiffgen City-Manager
Dann nicht lieber Existenzgründer mit eignen Ideen, statt der immer gleichen Filialisten? Existenzgründer sind laut Schiffgen Mangelware. „Ich freue mich über jeden Inhaber geführten Laden“, sagt der City-Manager. Doch da wäre es auch wichtig, dass Immobilien-Eigentümer Start Ups unterstützen. „Da könnte einem Existenzgründer zum Beispiel für einen Zeitraum die Miete erlassen werden“, so der City-Manager.
Schiffgen versucht zu koordinieren. Er berichtet davon, dass er die Besitzer der 38 Objekte angeschrieben habe. Mit einem spärlichen Rücklauf von drei Antworten. Dabei wäre ein gezieltes und koordiniertes Leerstandsmanagement eine logische Schlussfolgerung. Doch so manche Erbengemeinschaft, weiß Schiffgen zu berichten, hat kaum noch einen Bezug zu Lichtenfels. In Zukunft soll auch eine Katasterübersicht der Leerstände ins Internet gestellt werden, um mögliche Investoren zu informieren. „Denn Lichtenfels ist gut aufgestellt, hat viel zu bieten. Aber mehr Koordination und Schulterschluss alter Beteiligten, City–Management, Immobilienbesitzer, Makler, Aktionsgemeinschaft Treffpunkt und Einzelhandelsverband, sind dringend notwendig“.
Koordinieren, an einem Strang ziehen. Das hält auch Roberto Bauer für wichtig. Auch wenn er weniger einen neuen Ein-Euro-Laden als Ziel der Geschäftsweltbelebung sieht: „Und erst recht keine neues Sonnenstudio.“ Der Vorsitzende der Lichtenfelser Einzelhändler betreibt ein Herren-Bekleidungsgeschäft in und am Unteren Stadttor. Der richtige Branchenmix vor dem Tor seines Geschäfts, der ist für ihn wichtig. „Es gibt bereits seit Jahren immer neue Studien der CIMA und von Universitäten, die uns einen Weg aufweisen. Doch sie müssen endlich umgesetzt werden“, sagt Bauer. Der Einzelhändler sieht die Zukunft der Innenstadt mit aufgestellten Fachgeschäften und einer lebendigen Gastronomie. „Die gezielte Förderung der Ansiedlung von jungen Geschäftsleuten mit Ideen, das wäre wichtig. Und dass sich Lichtenfels als deutsche Korbstadt auch in der Innenstadt widerspiegelt“, meint Bauer. Den „Flechtgerüsten“ am Güterbahnhof gewinnt er wenig ab. Einem Café mit Flechtbereich, Korbladen und authentischer Deko dafür schon deutlich mehr. Das FMZ habe der Innestadt geschadet, sagt Roberto Bauer: „Aber jetzt steht es, und es gilt nun das Beste für alle Beteiligten daraus zu machen. Der Fehler geschah, als damals das FMZ ohne eine parallele Stärkung der Innenstadt umgesetzt wurde.“
„Besser kommunizieren“
Bauer will den Leerstand nicht schönreden. „Aber wir brauchen uns auch nicht zu verstecken. Lichtenfels hat als Kreisstadt viel zu bieten: Ämter, Praxen, Fachgeschäfte: Aber das muss einfach besser kommuniziert werden.“ Der Einzelhandelsvorsitzende spricht das Thema Parkplätze an: „Die sind doch wirklich gut vorhanden. Aber mit der bestehenden Ausschilderung für Auswärtige nur schwer zu finden.“ Roberto Bauer setzt auf die Zukunft: „Das neue Stadtoberhaupt wird viel zu tun haben.“ Bis heute fehle laut Einzelhandelschef ein schlüssiges Konzept für die Innenstadtbelebung. Und der Geschäftsmann fordert einen Citymanager, der ganztags für Lichtenfels da ist: „Die bisherige Teilzeitstelle ist einfach nicht ausreichend.“