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Sport öffnet Türen für Inklusion im Landkreis Lichtenfels

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Sport öffnet Türen für Inklusion im Landkreis Lichtenfels

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    Tor! Von Jessica Freitag können auch die anderen Spielerinnen etwas lernen!
    Tor! Von Jessica Freitag können auch die anderen Spielerinnen etwas lernen! Foto: Stephan Pfadenhauer

    Redwitz/Marktzeuln/Lichtenfel s

    Rund 30 Frauen dribbeln über den Platz, passen sich den Ball an diesem Sommerabend zu, genießen den Trainingsauftakt beim FC Redwitz. Alles ganz normal! Ja, und vielleicht sogar noch etwas mehr. Unter ihnen ist Jessica Freitag, der man ihre leichte körperliche Behinderung weder äußerlich ansieht noch in den meisten Szenen auf dem Platz anmerkt.

    „Eine Traum-Spielerin“

    Julian Stark möchte keine Sonderbehandlung in den Reihen des TSV Marktzeuln wegen seiner Nervenschädigung.
    Julian Stark möchte keine Sonderbehandlung in den Reihen des TSV Marktzeuln wegen seiner Nervenschädigung. Foto: Alexander Grobe

    „Für jeden Trainer eine Traum-Spielerin“, betont Trainer Marco Patzelt. Statt darüber zu reden, worauf er beim Training und in Spielen deshalb Rücksicht nehmen muss, hebt er das hervor, was andere von ihr lernen können: „Bei ihr gibt es kein ,Ich kann nicht mehr, heute habe ich keine Lust'<. Jessica hat eine starke Kondition und einen unbändigen Willen, zu gewinnen.“

    Und das schon ziemlich lange: Fußball spiele sie schon immer gerne. In ihrem 13. Lebensjahr ist sie von einem Burgkunstadter Verein nach Redwitz gewechselt. „Schon damals war Jessica einfach mittendrin. Ich denke, gerade junge Menschen machen sich da weniger Gedanken, wie man jetzt mit dem Handicap umgeht, den Menschen begegnet. Sie machen einfach“, erinnert sich der Spielleiter Stephan Pfadenhauer.

    Sie halfen beim Getränkeausschank während des Ragnarök-Festivals: Uwe Zöcklein (re.) und weitere von den HPZ-Börschla. Über die Unterstützung hat sich das FCL-Helferteam, hier vertreten durch Diana Nüßel (Mitte) und Bernd Jakob , natürlich sehr gefreut.
    Sie halfen beim Getränkeausschank während des Ragnarök-Festivals: Uwe Zöcklein (re.) und weitere von den HPZ-Börschla. Über die Unterstützung hat sich das FCL-Helferteam, hier vertreten durch Diana Nüßel (Mitte) und Bernd Jakob , natürlich sehr gefreut. Foto: FCL

    Weitere Vereinsfunktionäre und er sind „belohnt“ worden: Sie hatten sich damals aktiv auf die Suche nach Spielerinnen aus dem Landkreis für ihre Damenmannschaft gemacht. Seitdem habe sich Jessica stark weiterentwickelt, so der Trainer. Allein in der vergangenen Saison habe sie als Kapitänin der zweiten Mannschaft acht Tore erzielt. Auch in der ersten Mannschaft hilft sie aus, wenn sie gebraucht wird.

    Einsatz statt Extra-Wurst

    Sicherlich beobachtet Marco Patzelt, dass die junge Frau im Training etwa Koordinationsübungen etwas langsamer ausführen muss. „Manchmal klappen die Übungen nicht so, wie ich das will,“ weißt sie selbst. Selten dagegen muss sie Spiele oder Trainingseinheiten wegen Muskelproblemen unterbrechen. Hierfür erhält sie regelmäßig Physiotherapie-Einheiten im Alltag.

    Jessica Freitag ist eine wertvolle Unterstützung für die Damen des FC Redwitz an der Rodach.
    Jessica Freitag ist eine wertvolle Unterstützung für die Damen des FC Redwitz an der Rodach. Foto: Corinna Tübel

    Auch, dass die Emotionen bei Jessica manchmal etwas stärker ausfallen. sei möglich. Von „himmelhochjauchzend bis stark betrübt“, sagt Stephan Pfadenhauer lächelnd. „Aber das kann bei den anderen Damen und eigentlich allen Fußballern auch vorkommen.“

    Vielleicht verbindet dies das Team auch: Jessica fühlt sich im Verein sehr wohl. Bei den Mannschaftsfeiern, Vereinsjubiläen oder anderen Festen ist sie immer „mittendrin“. Vom Kuchenbacken bis zum Spendensammeln übernimmt sie gerne Aufgaben. Hilfe, auch in Form von Fahrdiensten, erhält sie dabei von ihrer Großmutter.

    „Eine Extra-Wurst“ möchte Jessica aber nicht, betont sie. Vielmehr können Mitspielerinnen von ihr auch lernen: „Sie denkt nicht nach, sie macht einfach, zum Beispiel beim Elfmeter-Schießen“, so Stephan Pfadenhauer.

    Fingerspitzen-Gefühl nötig

    Immer mittendrin: Jessica Freitag jubelt mit ihrem Team. Die Meisterschaft ist fix!
    Immer mittendrin: Jessica Freitag jubelt mit ihrem Team. Die Meisterschaft ist fix! Foto: Stephan Pfadenhauer

    Noch im Jugendbereich des FC Lichtenfels nehmen zwei Kinder mit leichten körperlichen und geistigen Einschränkungen am regulären Trainingsbetrieb teil. „Hier heißt es für die Trainer, die Grenzen der Kinder richtig einzuschätzen und ein Gleichgewicht zu finden. Sprich: Wie gelingt es, diese Kids so einzubinden, dass sie zum einen nicht überfordert sind, und dass aber zum anderen der Rest des Teams nicht zu stark ausgebremst wird, so dass alle Spaß am Sport haben?“, verrät 1. Vorsitzender Thomas Neckermann.

    Etwa könne vorkommen, dass komplexere Übungen für die betreffenden Kinder geistig zu anstrengend seien und entweder eine Alternativübung ausgeführt oder eine Pause angeboten werde. Auch im sportlichen Wettbewerb sei es nicht immer einfach für die Trainer einzuschätzen, wie viel sie den Kindern zumuten können, weil mit zunehmendem Alter die Reaktions- und Spielgeschwindigkeit zunimmt. „Hier ist dann entsprechendes Fingerspitzengefühl gefragt.“

    Von klein auf Umgang gelernt

    Die eigenen Fähigkeiten und Grenzen zu kennen, obliegt Julian Stark heute selbst: Der 22-Jährige spielt seit rund 18 Jahren Fußball in den Reihen des TSV Marktzeuln. Er hat eine Nervenschädigung, die ihm von der Schulter bis in den Rücken reicht. Deshalb kann er seinen rechten Arm nicht voll bewegen. Das hindert ihn zwar an Einwürfen im Spiel oder bestimmten Kraftübungen im Trainingszirkel, ansonsten aber wenig. Er ersetzt dann in Absprache mit dem Trainer die Übungen durch andere.

    „Auch in Zweikämpfe versuche ich dann eben nicht mit der rechten Seite zu gehen. Weil ich es nicht anders kenne, ist es für mich normal“, verrät er. Und so geht es seinen Mannschaftskollegen wohl auch mit seinem Handicap: „Die meisten hier auf dem Dorf kennen sich von klein auf, wir stehen geschlossen hinter jedem“. Diskriminierungen von Gegenspielern habe er zum Glück bisher selten erlebt. Jedoch sind Offenheit und auch eine gehörige Portion Selbstironie für wichtig. „Und auch keine Sonderbehandlung: Ich werde genauso behandelt wie meine Mannschaftskollegen, das ist besser als bevorzugt! Dann könnten anderswo vielleicht eher böse Stimmen aufkommen.“

    „Beim Sport sind oft Alter, Schicht oder Behinderung nebensächlich.“

    Besondere Vorteile kann man auch den beiden Schwimmern nicht verschaffen – selbst, wenn man wollte. Das „kühle Nass“ behandelt alle gleich, so auch Stefan und Florian. Beide leben in Wohngruppen des Heilpädagogischen Zentrums Lichtenfels und nehmen seit vielen Jahren am Schwimmtraining der DLRG Lichtenfels teil. Beide haben die Technik schon im Kindesalter erlernt.

    Die beiden Schwimmer Stefan und Florian auf dem Weg zum Training mit der DLRG.
    Die beiden Schwimmer Stefan und Florian auf dem Weg zum Training mit der DLRG. Foto: Christian Heinz

    Einmal in der Woche laufen die beiden Männer mit geistiger Behinderung, aber hohem Selbstständigkeitsgrad gemeinsam den kurzen Weg zum Merania-Hallenbad, setzen sich Ziele oder freuen sich schlichtweg auf den Abend. „39 Bahnen, ohne Pause, schaffe ich schon“, erzählt Florian. Oft stehen Trainer und andere Mitglieder am Beckenrand und schauen dem Treiben im Wasser zu. „Das motiviert!“.

    Immer wieder geben die Trainer Hilfestellungen, die die beiden Männer sehr gut annehmen, betonen Verantwortliche von der DLRG. Die Wasserrettungsorganisation freut sich stets über neue Mitglieder – mit oder ohne Handicap. Gewisse körperliche Voraussetzungen seien jedoch für das Schwimmtraining notwendig.

    Voll integriert

    Doch auch in der Gemeinschaft sind Florian und Stefan voll integriert: ob das beim gemeinsamen Zerlegen und Herrichten des DLRG-Busses sichtbar wird, im Rahmen der vielen Feste oder nach jedem Training. „Man traut ihnen oft nicht so viel zu. Und wir werden oft eines Besseren belehrt“, so Vorsitzender Hans Fritzmann.

    Gerade der Sport eigne sich besonders für solche „Aha“-Erlebnisse und echte Inklusion, weiß auch Katharina Schütz, Mitarbeiterin im HPZ Lichtenfels: „Jeder hat das Recht in die Gemeinschaft zu integriert werden. Beim Sport sind oft Alter, Schicht oder Behinderung nebensächlich.“

    Das sieht auch Rainhard Tropschug so. Im Landkreis Lichtenfels wurde er besonders mit der Inklusionsmannschaft „Heiner´s Traumelf“ bekannt. In ihr spielen seit vielen Jahren Menschen mit und ohne Handycap, vom F-Jugend-Spieler bis zum Senior, vom „Baiersdorfer Urgestein“ bis hin zu Menschen ukrainischer Herkunft.

    Das Konzept ist eine Erfolgsgeschichte. Seit mehr als zehn Jahren verbindet die Menschen die gemeinsame Leidenschaft für Sport. Da werden scheinbare Grenzen ganz natürlich überwunden. Und hinterher fragt man sich: „Warum hat es sie gegeben?“

    Rainhard Tropschug erinnert sich beispielsweise an ein Trainingscamp einer Fußballschule in Baiersdorf. Ein 35-Jähriger Mann und ein sechsjähriges Kind sollten zusammen Übungen ausführen. „Wie soll das gehen?“, habe der Erwachsene gefragt. Am Ende der Einheit stellt er fest: „Es war super.“

    Erfolgsgeheimnisse

    Das Erfolgsgeheimnis sind wohl eine Spur Offenheit und Rücksicht. Dabei sind nicht nur die Menschen ohne Handicap angesprochen. „Menschen mit Behinderung haben ein unglaubliches Gespür für ihr Gegenüber, für Emotionen und Zugänge.“ Deshalb findet das Training von Heiner´s Traumelf oft in ganz regulärem Rahmen statt – stets an das Niveau der Teilnehmenden angepasst. Geduldig wiederholen die Trainer oft die Übungen. Immer im Fokus: Spaß am Fußball und ganz viel Gemeinschaft. „Da geht es auch darum Hemmungen abzubauen. Fußball eignet sich bestens dafür: Fast jeder kann es spielen, dabei kommt man ins Gespräch.“

    Wertvolle Fans

    Und dann sind da ja noch die Fans: Mit den „HPZ Börschla“ vom Heilpädagogischen Zentrum hat der FC Lichtenfels seit rund sieben Jahren einen treuen Fanclub, der die Herrenmannschaften bei den Heimspielen oder anderen Events, wie dem Ragnarök-Festival, tatkräftig unterstützt, beispielsweise beim Getränke-Ausschank. Auch der persönliche Kontakt zu den Spielern und Trainern wird großgeschrieben: So kommt es auch mal vor, dass nach einem Sieg eine Ehrenrunde mit der Mannschaft auf dem Spielfeld gelaufen wird.

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