Der in Bamberg geborene Andreas Thamm hat als Praktikant und freier Mitarbeiter seine ersten journalistischen Erfahrungen beim Obermain-Tagblatt gemacht. Mittlerweile lebt der 31-Jährige in Nürnberg und hat sich als Schriftsteller einen Namen gemacht: Nachdem er 2020 den bayerischen Kunstförderpreis und ein Literaturstipendium des Freistaats erhalten hat, folgte nun der Nürnberger Kulturpreis. Anlass, mal nachzufragen, wie man als Schriftsteller, Veranstalter und Suppenkoch durch die Pandemie kommt.
„Mein Name ist Andreas Thamm und ich bin Schriftsteller. Ich bin Autor. Ich schreibe Bücher. So ist das besser. Schriftsteller sind immer die anderen. Es wird mir immer schwer fallen, mich da dazu zu zählen und mich nicht mehr wie ein Hochstapler zu fühlen, der jeden Moment enttarnt werden könnte. Da muss nur eine oder einer kommen und mit dem Finger auf mich zeigen: Der da ist ein Scharlatan! Und schon wäre es vorbei.
Mehr Input in der großen Stadt als in der beschaulichen Heimat
Vor etwa zweieinhalb Jahren bin ich von Bamberg nach Nürnberg gezogen. Wegen Job und wegen Beziehung, aber auch, um in der großen Stadt mehr Input zu bekommen als in der auf Dauer doch recht engen, beschaulichen Heimat. Mehr Programm. Konzerte, Theater, Kunst, so etwas wie eine Literaturszene. Und ich wollte Teil davon werden.
(Auch das gehört vielleicht zum Wesen, sage ich mir dann, des Scharlatans: Dass es ihm gelingt, mit schierer Hyperaktivität davon abzulenken, dass er doch eigentlich gar nix kann.)
Veranstaltungen mit Text, Musik – und Suppe
Ich hatte ziemlich genau ein Jahr, in dem sich ziemlich viel von dem, was ich mir erhofft hatte, auch erfüllte. Zusammen mit einem guten Freund, ein Kontrabassist, gründete ich die SuppKultur. Wir organisieren Veranstaltungen mit Text, Musik und Suppe und wollen mit jeder neuen Ausgabe versuchen, die Formate Lesung und Konzert ein bisschen anders, ein bisschen weniger langweilig zu denken.
Wir veranstalteten meist für wenig Leute (besser hört es sich an, wenn man schreibt: für ein kleines Publikum), aber das war okay, weil wir an manchen Abenden das Gefühl hatten, künstlerisch etwas zu erreichen, weil es uns gelang, Menschen etwas vorzusetzen, das sie so zuvor noch nie und nirgendwo erlebt hatten. Und weil diese Stadt uns ihre Bühnen zur Verfügung stellte – und Fördergelder, die wir in Form von Gagen an Kollegen und Kolleginnen weiter verteilen konnten, was uns umso mehr das Gefühl gab, so etwas wie einen wertvollen Beitrag zu leisten. Nürnberg machte es mir leicht, ich kam an.
Als das im März 2020 mit der Pandemie losging, da traf mich das, ich muss es zugeben, nicht schwer. Zuerst fand ich das spannend. Ständig hing ich vor dem Fernseher und verfolgte schaudernd, wie das Virus über die Welt kroch.
Die neue Langsamkeit kann man auch genießen
Dann genoss ich die neue Langsamkeit, machte tägliche Spaziergänge mit meiner Freundin, wir entdeckten die Stadt neu, eine Stadt, die in einen friedlichen Schlummer gefallen war. Und alles Hässliche, alles Laute hatte aufgehört. Von schlimmen Verläufen im persönlichen Umfeld blieb ich, Gott sei Dank, verschont.

Ich arbeite selbst in einer kleinen Redaktion, weshalb ich nicht das Schicksal meiner selbstständigen Kolleginnen und Kollegen teilte, deren Jahreskalkulation plötzlich auf Null zusammenschnurrte, die sich durch die Bürokratie der Hilfsprogramme wühlten und monatelang auf Gelder warteten, die sie dann ängstlich verwalteten, jeder Zeit damit rechnend, es könnte ihnen alles wieder weggenommen werden.
Podcast und Videoformate statt Lesungen vor Publikum
Auch ich hatte Angst, klar, Angst um meinen Arbeitgeber, der mich ins Homeoffice und in die Kurzarbeit schickte, um einfach irgendwie überleben zu können. Am Ende des Tages aber war ich privilegiert. Und heimlich genoss ich den neuen Zustand der Welt.
Es kommt einem lange her vor, länger, als es ist tatsächlich her ist. Dieser März, April, Mai 2020. Die SuppKultur nahm einen Podcast auf (es blieb bei einer Folge, na ja) und produzierte Videoformate. Ich las plötzlich ins Kameraauge, immer häufiger, und war nervöser dabei als vor einem echten Publikum.
Der Lockdown hilft, die Deadline einzuhalten
Im Sommer nahte die Deadline für mein zweites Jugendbuch, ein Buch, das ich innerhalb eines Jahres schreiben musste (die Programmplanung der Verlage erzeugt manchmal solche Zwänge), was ohne den Lockdown, ohne die hundertprozentige Abwesenheit eines ablenkenden Freizeitangebots vielleicht gar nicht machbar gewesen wäre. Ich setzte mich hin und schrieb, jeden Tag, ich entdeckte meine Disziplin wieder und die Liebe zu dieser Arbeit.
Die Veranstaltungsreihe, die nie stattgefunden hat
Und wir planten bald wieder. Irgendwie hatte man zu dieser Zeit wohl immer noch das Gefühl, so schlimm würde es schon nicht werden. Vor 14 Jahren hatte ich mit meiner Schwester, die Redakteurin dieser Zeitung ist, ein Theaterstück in Nürnberg besucht, nicht im Staatstheater, sondern in einem kleinen Privattheater in einem verwunschenen Hinterhof im Künstlerviertel Gostenhof.
Dieser Theaterbesuch und vor allem der Ort, das Gostner Hoftheater, sind mir immer in besonderer, ehrfürchtiger Erinnerung geblieben. Im Juli 2020 machten mein Kollege und ich ein Selfie vor der Efeufassade des Gostner. Wir stehen ganz stolz auf diesem Bild, ich vor allem, und wir verwendeten es als Ankündigung: Ab September würden wir hier eine monatliche Veranstaltung der SuppKultur auf die Bühne bringen!
Damit hatte ich etwas erreicht, was zwar nicht die Miete zahlt, aber von unschätzbarer Bedeutung für mich ist. Ich konnte ein gewichtiges Argument vorbringen gegen die enervierende Hochstapler-These. Wenn das Gostner mit mir, mit uns zusammenarbeiten will …
Warum diese ganze Lockdown- Sache auch ihre guten Seiten hat
Die Pointe dieser Geschichte ist klar: Unsere groß angekündigte Veranstaltungsreihe hat bis heute nicht stattgefunden. Wir haben abgesagt, wir haben verschoben, wir haben gehofft und den Wellengang der Pandemie beobachtet. Wir haben neue Termine vereinbart und immer schon halb zynisch gelächelt: Na, ob das was wird. Es wurde nix.
Das ist nur ein kleiner Splitter in diesem Geschehen und gar nicht schlimm im Vergleich zu allem, aber es macht vielleicht deutlich, was um uns herum noch alles nie geschehen ist. Und was sich da aufgestaut hat bei den Kreativen, die durchgehalten haben und immer noch in ihrem Beruf sind.
In diesem Herbst starten wir einen neuen Anlauf. Auch wenn für mich, ich bin dann Papa, in diesem Herbst ganz andere Dinge Priorität haben werden. Diese ganze Lockdown-Sache, ich muss das zugeben, ich kann das nicht verleugnen, sie hatte auch ihre verdammt guten Seiten.