Ein schönes Beispiel für eine gelungene Integration ist die Geschichte von Kidst Tesfaye-Yihun, eine 48-jährige Äthiopierin, die schon elf Jahre in Lichtenfels lebt. Sie hat ein bewegtes Leben hinter sich, ein Leben voller Gewalt, mit viel Schmerzen und Sorgen.
Kidst floh nicht wie Hunderttausend andere Menschen aus ihrem Heimatland, weil sie Hunger leiden musste, kein sauberes Wasser hatte oder keine Wohnung. Nein, häusliche Gewalt brachte sie dazu. Hals über Kopf das Land zu verlassen, obwohl sie dort zwei kleine Söhne hatte, die ihre Mama so dringend gebraucht hätten.
Als sie 2012 aus Äthiopien wegmusste, arbeitete sie als Zimmermädchen in einem Hotel in Addis Abeba. Nach mehreren gefährlichen Verletzungen, die ihr damaliger Ehemann ihr zufügte, suchte sie nach einer Möglichkeit, aus seiner Reichweite zu kommen. Sie kam in Verbindung mit einem „Kontaktmann“, der ihr (falsche?) Papiere besorgte, damit sie nach Frankfurt fliegen konnte. Diese Papiere wurden ihr hier am Flughafen wieder weggenommen. Andere hatte sie nicht, denn innerhalb Äthiopiens hatte sie nie einen Pass gebraucht.
Schwieriger Start in Deutschland
Damit begann ihr neues Leben als Geflüchtete in Deutschland, dessen Sprache, Gebräuche und Gewohnheiten für sie allesamt Neuland waren. Kidst erinnert sich, dass sie zuerst mit anderen Frauen in einem Kleinbus ins Auffanglager nach Gießen gebracht wurde. Da war sie nur wenige Tage, dann ging es nach Zirndorf. Im Transferbus, der sie dorthin brachte, lernte sie die Äthiopierinnen Hanna, Tigist und Meti kennen, die später mit ihr nach Lichtenfels kamen.

Während der ersten drei Jahre wohnten die vier in einem Zimmer im ehemaligen Bergschloss, ein Gebäude, das auch 2012 schon ziemlich vernachlässigt war. Kidst erinnert sich an die schlechten sanitären Verhältnisse. Es wohnten auch andere Geflüchtete im Haus, darunter junge Männer, die die Frauen öfters belästigten.
Der Anfang war also schwer, es gab viele Probleme. Und emotional muss es auch sehr hart gewesen sein: das Gefühl, ihre Kinder im Stich gelassen zu haben und keine Ahnung zu haben, wann sie ihre kleinen Söhne wieder in die Arme schließen könnte – das waren Sorgen, die sie kaum zur Ruhe kommen ließen.
Schrittweise geht es aufwärts
Eine neue Phase fing an, als das City-Hotel am Bahnhof für Geflüchtete hergerichtet wurde und die vier Äthiopierinnen ordentliche Zimmer mit einem gemeinsamen Badezimmer erhielten. Das war 2015, als so viele Menschen nach Deutschland flüchteten.
Während dieser Zeit erteilten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der „Aktiven Bürger“ einige Male in der Woche Sprachunterricht. Die vier jungen Äthiopierinnen tasteten sich so Schritt für Schritt an die für sie neue deutsche Sprache heran. Kidst bemühte sich sehr. Später besuchte sie selber eine Sprachenschule, um ihre Kenntnisse zu verbessern.
Endlich arbeiten dürfen
So wie auch alle anderen Geflüchteten durfte Kidst in den ersten Jahren hier nicht arbeiten. Dabei hätte sie ihre Tage gerne mit sinnvollen Tätigkeiten gefüllt. Schließlich erteilte ihr das Landratsamt die Arbeitsgenehmigung. Da sie in ihrem Heimatland schon als Zimmermädchen gearbeitet hatte, bewarb sie sich mit Unterstützung der „Aktiven Bürger“ im Korbstadt-Krone Hotel. Die Chefin war sofort bereit, es mit Kidst zu versuchen.
Schon bald wurde sie auch als Küchenhilfe eingesetzt. Mit Hilfe von Fotos auf ihrem Handy übte Kidst, welche Salate sie sich merken musste, um sie abends für die Gäste im Restaurant zubereiten zu können. Bei der Arbeit in der Hotelküche lernte sie Werner kennen. Der Koch führte Kidst in ihre neue Tätigkeit ein. Es entwickelte sich eine schöne Freundschaft. Kidst integrierte sich gut in das Serviceteam des Korbstadthotels, nahm an Ausflügen und Kollegentreffen teil und fühlte sich wohl.
Wenn man zu äthiopischen Festen eingeladen wird, trifft man sich an herrlichen Buffets mit vielen Spezialitäten aus der Heimat. Nach einem solchen Fest entstand die Idee, einen äthiopischen Kochabend anzubieten. Dazu wurde die Schulküche in Vierzehnheiligen den Köchinnen zur Verfügung gestellt. Das Angebot wurde gut angenommen; ein zweiter Kochabend folgte.
Weitere Schritte zur Integration
Schließlich erhielt Kidst die Genehmigung, aus dem Zimmer im City-Hotel auszuziehen und eine eigene Wohnung zu beziehen. Sie verdiente ihr eigenes Geld, war unabhängig und konnte nun ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen.
Während die Jahre vergingen, vertiefte sich die Freundschaft zu ihrem Kollegen Werner. Heute sind die beiden ein Paar und schmieden sogar Hochzeitspläne. Kidsts gewalttätiger Mann ist inzwischen verstorben, sie ist frei. Um das aber nachzuweisen und um wieder Kontakt zu ihren Söhnen aufzubauen, reiste sie voriges Jahr mit einem „vorläufigen Pass“ zurück nach Äthiopien. Nie hat sie die Hoffnung aufgegeben, dass ihre Jungs irgendwann zu ihr nach Lichtenfels kommen dürfen. Natnael ist 16, Eyuel 13 Jahre alt. Auffällig ist, dass in beiden Kindernamen die Silbe „el“ eingebaut ist, eine alttestamentliche Bezeichnung für Gott. Kidst gehört der äthiopisch-orthodoxen Kirche an.
Um zu beweisen, dass sie sich hier integrieren will und eine wertvolle Mitbürgerin sein kann, hat Kidst auch ehrenamtlich gearbeitet. Fürs Rote Kreuz in der Kleiderkammer, im Kindergarten und in der Sporthalle der Berufsschule, als die ukrainischen Flüchtlinge hier eintrafen.
Und das Neueste ist: Kidst und Werner haben gemeinsam die Gastronomie im Merania-Hallenbad übernommen. Dort bewirten sie die Gäste mit viel Fachkompetenz. Da kann man nur viel Erfolg und viele nette und freundliche Gäste wünschen!
Trotz aller Widerstände
Trotz aller Widerstände ist Kidst in Deutschland und auch in Lichtenfels angekommen. Viele haben ihr dabei geholfen. Der Hausverwalter des City-Hotels, Frau Kreier vom Hotel „Krone“, die Kollegen und Kolleginnen, die „Aktiven Bürger“. Aber die schwerste Arbeit hat Kidst selber geleistet: Sie hat sich immer wieder aufgemacht, trotz Hindernissen, Ängsten und Sorgen, hier ihr Leben zu leben. Was für ein Glück, dass sie dabei Werner an ihrer Seite hat. Die „Aktiven Bürger“ wünschen den beiden ein glückliches gemeinsames Leben.
Und am Ende steht die Hoffnung, dass Kidst schon bald mit ihren Söhnen Natnael und Eyuel, die ihre Mama so lange entbehren mussten, in Lichtenfels ein neues Familienleben aufbauen kann. Viel Glück dazu!