Markus Häggberg schreibt augenzwinkernd ein Corona-Tagebuch. Derzeit aus dem Nachbarland Polen. Heute geht es um ein Familiengeheimnis und einen Golfplatz.
„Liebes Corona-Tagebuch, es gibt Verwandte, die geben einem Rätsel auf. Nicht nur, dass man sie nie zu Gesicht bekommt, wenn man bei sich selbst daheim ist (das ist nicht mehr als verständlich). Man bekommt sie auch dann nicht zu Gesicht, wenn man bei ihnen daheim ist. Es ist der fünfte Tag in Kattowitz und als ich meinen Onkel zu seinem 80. Geburtstag besuchen fuhr und durch die Hofeinfahrt trat, da sah ich im ersten Stockwerk seines Hauses eine ältere Dame mit grauem Haar hinter den Gardinen stehen.
Ich sah sie nur von hinten, weshalb ich nicht mit Gewissheit sagen konnte, ob es sich um meine Tante oder ein Schlossgespenst handelte. Aber mein Gefühl sagte mir, dass wir miteinander verwandt sind. Ich rechnete damit, dass sie gleich zur Begrüßung auftauchen würde, aber sie tauchte nirgendwohin. Ich bekam sie nicht zu Gesicht. Anderntags auch nicht und auch nicht am zweiten oder dritten Tag.
„Du wirst sie auch nicht zu Gesicht bekommen“, sagte mir mein Onkel am vierten Tag, als wir abendlich auf der Veranda saßen. Ich fragte ihn, ob er mir die Geschichte dazu erzählen wolle, und er tat es. So durfte ich erfahren, dass mein Onkel und seine Frau in jüngeren Jahren beim Golfplatz wohnten, gute Gegend, beste Lage, Schickimicki. Aber da mein Onkel kein Golf spielte und sich für das Golfen auch nicht interessierte, plante er eines Tages woanders ein Haus zu bauen und mit Sack und Pack umzuziehen.
Meine Tante aber wollte nicht vom Golfplatz wegziehen, weil gute Gegend, beste Lage, Schickimicki. Mit dem Golfsport selbst verbinde sie gar nichts, weder spiele sie Golf noch kenne sie die Regeln, erklärte mir mein Onkel. Sie habe ihm einfach nicht verziehen, dass er mit ihr von dort wegzog und nun lebe man parallel zueinander, und wenn man sich begegnet, dann grüßt man höflich.
Ich wollte wissen, ob sich das mal je wieder einrenken wird und mein Onkel sagte mir, dass das gut möglich sei,. Schließlich dauert dieser Zustand ja erst sechs Jahre an und man sei bald im verflixten siebenten Jahr.“