Um ein Ereignis, das den Fußballsport in Deutschland für immer und ewig geprägt hat, ging es bei einem interessanten Online-Vortrag, zu dem das Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) eingeladen hatte. Es ging um das „Wunder von Bern“, den sensationellen Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 durch die deutsche Nationalmannschaft mit einem 3:2-Erfolg gegen das damals als unbesiegbar geltende Nationalteam Ungarns.
Der Vortrag darüber von Kunsthistoriker und Fußballjournalist Robert Schäfer war nicht von der Euphorie des Geschehnisses geprägt. Auch der fränkischen Aspekt des Ereignisses und manches Hintergrundgeschehen standen im Mittelpunkt des Referats.
„Wir kamen wie Sieger auf den Platz und hatten damit schon verloren. Dann führten wir noch 2:0 und wurden noch gedankenloser.“
Gyula Lorant, ungarischer Mittelläufer
Nach dem Zweiten Weltkrieg war den deutschen Kickern die Teilnahme an der WM 1950 in Brasilien noch verwehrt worden. Erst am 22. November 1950 kam es zur Rückkehr auf die Internationale Bühne. Vor 115 000 Zuschauern wurde die Schweiz in Stuttgart mit 1:0 besiegt. In dieser Mannschaft stand schon ein späterer Weltmeister mit dem aus Nürnberg stammenden Max Morlock. Er war ein filigraner, torgefährlicher und leistungsstarker Spieler, der seinen 1. FC Nürnberg nie verließ.
Einige Kicker aus Franken im deutschen Kader
Erster Kapitän der Nationalelf von 1950 war der vom FC Schweinfurt kommende Andreas Kupfer. Das Trio Horst Schade, Herbert „Ertl“ Erhardt und Charlie May von der SpVgg Fürth sowie Richard Ottinger stammten ebenfalls aus Franken. Trainer Sepp Herberger war in den folgenden Jahren eher auf Fußballer aus dem Süden Deutschlands fixiert. Wegen Formschwäche dieser Spieler waren die Ambitionen Richtung Weltmeisterschaft 1954 sehr niedrig. Die Qualifikation gegen das Saarland und Norwegen verlief tatsächlich sehr holperig, aber immerhin erfolgreich.
Es gilt bis heute noch als einer der größten taktischen Winkelzüge im Fußballsport, dass Sepp Herberger im Vorrundenspiel gegen die als beste Mannschaft der Welt geltenden Ungarn nicht seine beste Elf aufs Feld schickte und hoch mit 3:8 verlor. Ein, wie sich später herausstellen sollte, erfolgreicher Bluff.
Gegen die Türkei setzte man sich mit 4:1 durch und im nötigen Entscheidungsspiel gegen die Türken sogar noch deutlicher mit 7:2. Gegen die „Ballkünstler vom Balkan“ aus Jugoslawien gewann die Herberger-Truppe das defensiv geprägte Viertelfinale glücklich mit 2:0. Beim 6:1 im Halbfinale gegen Österreich erwischte die deutsche Mannschaft einen Sahnetag, was man von österreichischen Keeper Walter Zemann nicht gerade sagen konnte.
Deutschland stand damit überraschend im Endspiel und erneut dem haushohen Favoriten aus Ungarn gegenüber. Ein Team, das selbst die Engländer in deren Wembley-Stadion bezwungen hatte. Man könnte sagen, die Ungarn waren die Popstars des Fußballs in der damaligen Zeit.
Am Tag des Finales war einem sonnigen Morgen am Nachmittag Regen gefolgt. Ein Wetter ganz nach dem Geschmack von Kapitän Fritz Walter. Ein Wetter, das für den genialen Spieler ebenso ein Vorteil war wie für das Schuhwerk der Deutschen. Denn die aus Herzogenaurach stammenden Brüder Adolf (Adi) und Rudolf Dassler hatten leichtes Schuhwerk entwickelt. So wurde nach dem Finale gesagt, dass die Fußballschuhe der Ungarn bei diesem Regenwetter doppelt so schwer gewesen seien. Besonders die weiterentwickelten Schraubstollen stellten sich als Vorteil für die deutsche Elf heraus.

Weitere Umstände begünstigten den sensationellen 3:2-Sieg der Deutschen nach schnellem 0:2-Rückstand. Die Ungarn hatten keinen leichten Weg ins Finale. Ihr Kapitän Ferenc Puskás war wegen immer währender Tretereien gegen ihn im Endspiel nicht topfit. Auch gab es auch Sicht der Ungarn nicht nachvollziehbare Schiedsrichterentscheidungen und war das Glück eher den Deutschen hold.
Auch kamen später Fragen auf. Ferenc Puskás hatte den Finalgegner des Dopings beschuldigt. Ein Indiz für Injektionen war eine Gelbsuchterkrankung diverser Spieler der deutschen Weltmeister-Mannschaft. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Spieler durch eine Gruppeninjektion infizierten. Da es damals noch keine Einwegspritzen gab, wurde den Fußballern vermutlich durch ein und dieselbe Spritze eine Vitamin-C-Lösungen injiziert. Es gibt bis heute Gerüchte, dass es sich auch um das Aufputschmittel Pervitin gehandelt haben könnte. Dies war zu dieser Zeit aber nicht verboten, und Dopingkontrollen gab es noch lange nicht.
Den ungarischen Verlierern wird sogar Folter angedroht
In Ungarn, deren Mannschaft zum ersten Mal nach viereinhalb Jahren wieder ein Spiel verloren hatte, kam es bereits kurz nach dem Spiel zu Ausschreitungen. Bis heute gilt die Niederlage als Beginn des Volksaufstandes 1956. Einigen Spielern, die mit deutschen Autos aus der Schweiz heimkehrten, wurde Folter angedroht und ihnen unterstellt, sie hätten sich kaufen lassen. Torwart Gyula Grosics hat man das Siegtor der Deutschen niemals ganz verziehen, und Trainer Gusztáv Sebes sieht man in Ungarn noch heute als einen der Hauptschuldigen der Niederlage an.

Wahrscheinlich aber trifft der ungarische Mittelläufer und spätere Trainer von Bayern München, Gyula Lorant, den Nagel auf den Kopf mit seiner Aussage: „Wir kamen wie Sieger auf den Platz und hatten damit schon verloren. Dann führten wir noch 2:0 und wurden noch gedankenloser.“ Herbergers Bluff wirkte.
Etliche „Helden von Bern“ auf deutscher Seite hatten mit dem plötzlichen Ruhm zu kämpfen. Werner Kohlmeyer verfiel wie Helmut Rahn dem Alkohol und verprasste sein ganzes Geld durch seine Sucht. Er landete auf der Straße und musste sogar seine WM-Medaille verkaufen. Ottmar Walter hatte ebenso Alkoholprobleme und überlebte einen Suizidversuch. Der von Radioreporters Herbert Zimmermann als „Fußballgott“ betitelte Torwart Toni Turek verstarb schon 1973 an einem Schlaganfall. Sepp Herberger und Fritz Walter hingegen wurden Volkshelden.
Fritz Walter rettet den VfL Neustadt vor dem Abstieg
Dass Fritz Walter in der Saison 1959/1960 als Trainer den fränkischen VfL Neustadt bei Coburg vor dem Abstieg aus der 2. Amateurliga rettete, ist in der ganzen Betrachtung eher eine Randnotiz. Für das Selbstwertgefühl des jungen Nachkriegsdeutschlands war der Gewinn dieser Fußball-WM jedoch sehr wichtig. Das Gefühl man war wieder wer schlug sich auch auf das Konsumverhalten durch.