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LICHTENFELS: Das Krisenjahr 1923 in der Region

LICHTENFELS

Das Krisenjahr 1923 in der Region

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    Obwohl in den 1920-er-Jahren die Motorisierung durchaus schon begonnen hatte, waren die traditionellen Fuhrwerke immer noch in der Stadt zu sehen.
    Obwohl in den 1920-er-Jahren die Motorisierung durchaus schon begonnen hatte, waren die traditionellen Fuhrwerke immer noch in der Stadt zu sehen. Foto: Repro: Hößel

    Das neue Jahr 2023 ist nun schon einige Wochen alt. Was es aber bringen wird, ist nicht abzusehen – viele Menschen werden von Zukunftsängsten geplagt. Dafür gibt es auch Gründe genug: ständig steigende Preise, unsichere Energieversorgung, ein Krieg, von dem niemand weiß, welche Eskalation er noch erleben wird, soziale Spannungen in der Gesellschaft, die sich auch in einem Anwachsen radikalen politischen Denkens äußern, die drohende Klimakatastrophe …

    Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Sind diese Konstellationen aber tatsächlich so neu, oder gab es früher schon Situationen, die sich ähnlich gezeigt haben?

    Werfen wir dafür einen Blick zurück in das Jahr 1923 vor genau 100 Jahren. Dass die damalige Weimarer Republik mehr Krisenjahre als ruhige hatte, ist allgemein bekannt. Ihr turbulentes Ende von 1929 bis zur Machtübernahme Adolf Hitlers war gekennzeichnet durch die Weltwirtschaftskrise, extreme gesellschaftliche Unruhen und einer zunehmenden Radikalisierung des politischen Lebens.

    Nicht besser hatten sich die Anfangsjahre der Republik gestaltet. Die Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs, Geldentwertung, Kämpfe zwischen den politischen Extremen, Versorgungsnöte, psychische Belastungen und Vieles mehr machten den Alltag oft zu einem ständigen Kampf.

    Radikale Gruppen und Aktionen auch in Lichtenfels

    Auch in Lichtenfels war das nicht anders. Schon 1922 hatten sich die radikalen Gruppierungen der Zeit positioniert und ihre Stellung ausgebaut. Damals existierten in Lichtenfels, in Hochstadt-Marktzeuln, in Roth und in Burgkunstadt Ortsgruppen des „Republikanischen Schutzbundes“, initiiert von dem Arbeiter-Sekretär Dennstädt aus Bamberg.

    Diese Gruppen verstanden sich als Selbstschutz-Verbände der SPD-nahen Arbeiterschaft, wie es sie auch schon in den Jahren zuvor gegeben hatte. In Thüringen und Sachsen hatten solche Gruppen schon seit 1920 immer wieder bewaffnete Konflikte mit rechtstehenden Freikorps oder gar regulären staatlichen Truppen ausgefochten.

    Die bayerische Regierung stand diesen Verbänden sehr kritisch gegenüber und war eher geneigt, die rechtsradikalen Kräfte zu fördern, wovon zunächst die Nationalsozialisten profitieren konnten. Ungestört durften sie ihre Sonnwendfeier abhalten und im Anschluss am 1. Juli auf dem Lichtenfelser Schützenanger eine Propaganda-Veranstaltung abhalten.

    Angst vor Handgreiflichkeiten zwischen linken und rechten Kräften

    Allerdings bestand das Bezirksamt darauf, dass nur die gemeldete Rednerin und der gemeldete Redner, Andrea Ellendt und Professor Bohneberg, sprechen durften. Die Teilnahme diverser Sicherheitsabteilungen in Uniform war verboten. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Angst, es könnte zu handgreiflichen Konflikten zwischen den linken und rechten Kräften kommen, sehr groß war.

    Gleichsam als Gegenbewegung entstanden im Sommer 1923 in Schney eine Sektion der KPD und in Burgkunstadt eine Arbeiterwehr. Auch die Obrigkeit sah die Gefahr von linken Unruhen oder gar Umsturzversuchen wachsen und organisierte im Rahmen der „Polizeilichen Nothilfe Bayern“ im Bezirk Lichtenfels 480 Mann als Hilfspolizei. Dabei griff man zur Rekrutierung der Männer auf die Organisation „Bayern und Reich“ zurück, deren Leitung in Lichtenfels der Tierarzt Dr. Alias in Händen hatte.

    Diese Organisation gehörte allerdings zum rechten Spektrum und sah es als ihr Ziel an, die bayerische Monarchie wieder zu errichten, Mitglieder konnten nur ausgewiesene „Arier“ werden. Somit waren diese Hilfspolizisten nicht unbedingt geeignet, die Situation zu entschärfen. Auch die NSDAP zeigte sich Anfang des Jahres 1923 bereits stark, war es ihr doch immerhin gelungen schon im April eine Hundertschaft SA zusammen zu bringen.

    Nazis ohne eigene Partei

    Mit dem gescheiterten Hitler-Putsch vom 8./9. November 1923, der ja ein zeitweiliges Verbot der NSDAP nach sich zog, wurde die Situation keineswegs entspannter. Die Anhänger Hitlers traten nun eben „Bayern und Reich“ bei oder der neu gegründeten Organisation „DAP e.V., Bund aller arbeitenden Stände“. Organisiert im „Völkischen Bund in Bayern“ konnten diese Vereinigungen bei der Reichstagswahl 1924 28 Prozent der Stimmen gewinnen.

    Die Entwicklung im rechten Lager ist seitdem für einige Jahre durch interne Streitigkeiten bestimmt. So kam es 1924 zu Abspaltungen wie dem „Kreisverband Oberfranken der nationalsozialistischen Freiheitspartei“ und des „Heimat- und Königbundes“. Vielleicht war diese Zersplitterung auch mit dafür verantwortlich, dass die NSDAP bei ihrer Wiedergründung 1925 zunächst nur sehr zaghaft Zulauf bekam.

    1929: Saalschlacht zwischen Nazis und Sozialdemokraten in Schney

    Erst mit der erneuten Wirtschaftskrise des Jahres 1929 begann der kometenhafte Aufstieg der Partei Adolf Hitlers. Hatte man 1923 ernsthafte, gewalttätige Auseinandersetzungen noch vermeiden können, so kam es am 30. September 1929 anlässlich eines Auftritts Hans Schemms, Gauleiter für Oberfranken, in Schney zu einer Saalschlacht zwischen den Nationalsozialisten und den dortigen Sozialdemokraten.

    Inflation und ihre Folgen

    Diese sich zuspitzende politische Situation erhielt weitere Brisanz durch die dramatische Wirtschaftslage. Vor allem die rasante Inflation und die damit verbundene Teuerung waren ein Problem, das sich täglich vergrößerte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Am 1. Juni wurde das Bürgermeister-Gehalt auf 100.000 Mark festgelegt, zwei Wochen später schon sollte er das Doppelte erhalten.

    Da das Geld nahezu stündlich an Wert verlor, kam man auf andere Berechnungsideen. So wurde die Nachtsteuer für die Lokale am Bierpreis festgemacht. Prinzipiell war eine Pauschale im Wert von 30 Litern Bier zu bezahlen, dazu kam für die erste Stunde noch einmal der Gegenwert eines Liters. Für die zweite Stunde der von zwei Litern usw.

    Stadt Lichtenfels lässt Notgeld drucken

    Schon bald musste die Stadt Notgeld drucken lassen, deren Wert bis zu zehn Billionen reichte. Einige Firmen wie die Hourdeaux-Bergmann AG gaben eigenes Notgeld aus, das natürlich nur für den internen Gebrauch Geltung haben konnte. Erst die Einführung der Rentenmark im November beendete die galoppierende Inflation und schuf eine Normalisierung der Verhältnisse.

    Versorgungsnöte und Hilfsversuche

    Noch größere Sorge bereitete die Versorgungskrise. Im Sommer 1923 wurde vom Bezirksamt gemeldet, dass die Ernährungslage so kritisch sei, dass bereits die Spätkartoffeln aus den Äckern gerissen würden. Es sei dringend anzuraten, eine Brotzulage für den Kreis zu gewähren.

    Herbst und einbrechender Winter verschärften die Lage noch einmal. In einem Stimmungsbericht heißt es lapidar: „Brot wird ungeheuer teuer, Kartoffeln überhaupt keine mehr zu haben.“

    Einige Firmen versuchten sich durch einen Wechsel des Standorts zu retten. So siedelte die 1920 von Martin Kalischak in Lichtenfels gegründete Elektrotechnische Fabrik „Elektra“ 1923 nach Berlin um. Der Jude Kalischak hatte übrigens bereits damals massive Problem mit den Nationalsozialisten, nachdem er dem „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“, der, 1922 gegründet, sich noch im selben Jahr mit der NSDAP vereinigt, damit gedroht hatte, deren Versammlungen mit Hilfe des Fußballvereins zu sprengen.

    Gründung der Mühlen AG und des Vereins „Humanität“

    Dennoch gab es auch in diesen Monaten durchaus Anstrengungen, die Lage zu verbessern, wofür zum Beispiel die Gründung der Mühlen-AG im Mai des Jahres spricht. Hier entstand ein Handel, der wohl vor allem die prekäre Ernährungslage zum Ausgangspunkt hatte. Die Liste ihrer Gründer zeigt schon, dass man durchaus an Größeres gedacht hatte. Beteiligt waren die Marktzeulner Müller Leonhard und Georg Partheymüller, der Coburger Staatsbank-Kasssierer Matthäus Partheymüller, der Besitzer der Lichtenfelser Kunstmühle und des Elektrizitätswerks, Max Hanitzsch sowie der Kaufmann Franz Gutmann.

    Die Inflation hatte auch zur Folge, dass die Lichtenfelser Wohltätigkeitsstiftungen wie das Elisabethen-Krankenhaus und die Dechant-Unreinsche Stiftung ihren Kapitalbesitz verloren und damit ihren Aufgaben nicht mehr nachgehen konnten. Um zumindest die Versorgung der Kranken weiterhin sicherzustellen, regte Pfarrer Kaiser die Gründung eines Hospitalvereins an, der dann auch im Januar 1924 als Verein „Humanität“ gegründet wurde.

    Neues Jahr, neues Glück

    Eine wirkliche Entspannung kam erst im Laufe des Jahres 1924. Mit der Währungsreform verbesserte sich auch die Versorgungslage, Waren, die bisher gehortet wurden, da ja beim Verkauf kein echter Gegenwert zu erwarten war, standen nun wieder zur Verfügung. Läden und Schaufenster füllten sich über Nacht.

    Für wenige Jahre kehrte nun eine Phase der Ruhe in Lichtenfels ein, die sich durch eine rege Tätigkeit in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens auszeichnete. Im wirtschaftlichen Bereich zeigten sich vielversprechende Neuansätze, wie zum Beispiel die Gründung der Gewerbe- und Landwirtschaftsbank zur Kreditvergabe an den Mittelstand.

    Auch im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich tat sich einiges. 1925 wurden das städtische Flussbad am äußeren Mühlbach eröffnet und die Jugendherberge im Stadtgraben errichtet. Zwei Jahre später hatte das heute noch stattfindende Kinderfest seine Premiere.

    Jedes historische Konstellation ist einmalig!

    1923 und 2023 – auch wenn sich wohl schon jetzt durchaus Parallelen zeigen, kann man doch vor allem eines aus der Geschichte lernen, sie wiederholt sich nie. Jede historische Konstellation ist einmalig, hat andere Voraussetzungen und folgt anderen Geschehenslinien. Letztlich sind es die handelnden Menschen, ihre Absichten und ihre Willenskraft, die Geschichte gestalten.

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