„Pling.“ Eine neue Nachricht erscheint auf dem Sperrbildschirm meines Smartphones. Das Mittagessen ist vergessen. Aufgeregt greife ich danach, mein Blick fixiert sich auf den aufblinkenden Bildschirm. Ist es das Wohnungsangebot, auf das ich schon so lange warte? Habe ich den Platz im Studentenwohnheim doch?
„Ein von dir kontaktiertes Angebot wurde vom Anbieter deaktiviert“, lautet die Nachricht und scheint mir fast schadenfroh mit den bunten Emojis aus dem Textfeld der App „immoscout24“ entgegen zu leuchten. Nicht schon wieder. Die Enttäuschung ist meinem Gesicht anzusehen. „Wieder nichts?“, fragt meine Schwester Luisa und versucht mich zu trösten: „Naja, dann bleibst du halt bei mir. Ich will eigentlich gar nicht, dass du ausziehst.“
Corona hat das Leben der Studenten von Grund auf geändert
Mit einem halben Lächeln nicke ich. Ich weiß, dass es nicht leicht für sie ist, zu akzeptieren, dass für ihre große Schwester nun mit dem Studium auch ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Für mich ist der Start ins Studentenleben vor allem ein Schritt ins Ungewisse, jetzt in Zeiten von Corona umso mehr. Beworben für meinen Traumstudiengang habe ich mich gemeinsam mit meiner Freundin Jule Mitte August.
Sie studiert jetzt bereits seit drei Semestern in Würzburg. Der Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie änderte ihr bisheriges Leben als Studentin von Grund auf. Die 21-Jährige erzählt: „Am Anfang war es ziemlich chaotisch. Die ganzen Profs und Dozenten wussten selbst nicht genau, wie sie mit der Situation umgehen sollen, wie sie ihre Vorlesungen halten sollen und was sie jetzt am besten online machen.“ Auch sei lange unklar gewesen, wie man es löst, dass nicht zu viele Leute gleichzeitig zur Prüfung kämen.

Wie soll man bei Online-Vorlesungen Kontakte knüpfen?
Schwierigkeiten sieht sie gerade jetzt in Bezug für Erstsemester wie mich, die für das kommende Wintersemester komplett als so genannte „Hybridstudenten“ starten. „Gerade am Anfang lernt man in den Vorlesungen super viele Leute kennen, hat die Möglichkeit, sich direkt abzusprechen und auszutauschen“, erklärt sie.
Präsenzveranstaltungen soll es zwar für „Erstis“ noch vermehrt geben, sagt meine Studienberaterin der Julius-Maximilians-Universität Würzburg beim ersten Zoom-Webinar – die erste Infoveranstaltung zum Studiumsstart läuft online. Aber ungewiss bleibt es, vor allem aufgrund der wieder steigenden Corona-Fallzahlen. Jule hat im Sommersemester festgestellt: „Es fehlt schon wirklich sehr, weil es einfach ein Unterschied ist, ob du allein in deinem Zimmer sitzt und dir die Vorlesung [online] anschaust, oder ob du dabei andere Leute triffst.“
Wenn man plötzlich auf sich allein gestellt ist
Auch Manuel Stark aus Marktzeuln, mittlerweile ehemaliger Student der Philosophie und nun selbst Reporter und Textchef von Hermes Baby, stellt es sich äußerst schwierig vor: „Ersti-Stammtische“, erste gemeinsame Lehrveranstaltungen, durch dieselben Gänge und Höfe auf dem Weg zur Cafeteria oder Mensa laufen – „wenn das alles unterbrochen ist und alles nur online stattfindet, nur kleine Piktogramme und bunt eingefärbte Namen und ohne persönlichen Bezug?“, fragt er.
Er hat Recht. Es fehlt der gesellschaftliche Austausch, das, worauf man sich neben dem Studium zusätzlich freut: Schnell neue Kontakte knüpfen und hoffentlich neue Freundschaften schließen, die einen das weitere Leben begleiten. Und natürlich auch „als Erstsemester in der neuen Lebenswelt klar kommen“, beschreibt es Manuel und erinnert sich an seinen Start ins Studentenleben, lange vor Corona: „Auf der einen Seite hab ich mich richtig gefreut und die Leute waren toll.“
Auf der anderen Seite wohnte er damals auch das erste Mal nicht mehr zuhause. „Plötzlich wurde mir bewusst: Das ist kein Schullandheim. Das ist jetzt dein neues Zuhause. Du bleibst hier und bist jetzt allein.“ Dieses Szenario zu haben ohne Austausch und ohne Menschen, die in der gleichen Situation stecken und auf neue Kontakte angewiesen sind, stellt sich der 27-Jährige unglaublich schwer vor.
Viel Zeit und viel Energie für die Wohnungssuche
Auch die Wohnungssuche gestaltet sich durch Corona nicht wie erwartet. Ich hatte gehofft, dass durch die fehlenden Präsenzveranstaltungen viele Studenten ihre Wohnung kündigen. Denn warum sollte man einen meist teuren Wohnplatz in Würzburg zahlen, wenn man auch von zu Hause, bei den Eltern wohnend oder außerhalb der Universitätsstadt online seine Univeranstaltungen besuchen kann? Doch als ich endlich die heiß ersehnte Immatrikulationsbestätigung, die Zusage zum Studienplatz, in der Hand hielt und mich in die Welt von „wg-gesucht“, „immowelt“ und „immoscout24“ stürzte, stellte ich fest: Dem ist nicht so.

Um hier als Student einen bezahlbaren Wohnplatz zu bekommen, brauche ich Zeit und viel Energie. Durch Corona ist das Zeitfenster für die Wohnungssuche viel komprimierter. Statt wie üblich im August bekamen Erststudenten erst Ende September ihre Bestätigung für den Studienplatz. Stressig, wenn man bedenkt, dass man sich natürlich auch noch um den Studentenaccount, -ausweis, das Erstellen eines Stundenplans und die Organisation der ersten Veranstaltungen kümmern muss. Die Vermieter und Anbieter von Wohnungen und Studentenapartments bekommen vermutlich so viele Anfragen, dass sie oft nicht einmal mehr antworten und einen Besichtigungstermin vereinbaren. Ich selbst sehe in meiner Nachrichtenbox mehr deaktivierte Angebote als Antworten.
Ein Happ-End – aber nur auf Zeit
Bei den Wohnheimen sieht es nicht besser aus. Mittlerweile habe ich mich bei acht verschiedenen beworben, nur von zweien kam bis jetzt die Nachricht: „Vielen Dank für Ihre Anfrage. Sollten momentan Apartments verfügbar sein, werden wir uns in Kürze bei Ihnen melden.“ „In Kürze“ ist mittlerweile zwei Wochen her. Mein Studium zum Wintersemester startet am 2. November.
Vor einigen Tagen dann ein erneutes „Pling!“: Zögerlich werfe ich einen Blick auf mein Smartphone, nun schon ein treuer „Leidensgenosse“, der mich über bei meiner Wohnungssuche auf dem aktuellen Stand hält. Es ist die Nachricht einer guten Freundin aus Würzburg. Sie macht ein Praktikum bis Februar in Hamburg, ihre Wohnung steht seit einiger Zeit leer. Weitervermieten an einen Fremden möchte sie nicht, aber sie will mir helfen. Und so entspannt sich meine bisher verzweifelte Suche nun erstmal, denn ich darf bis zu ihrem Praktikumsende ihre Wohnung mitbenutzen.
Wie es bis dahin mit Corona und dem Hybridstudium aussieht, weiß niemand. Aber ich bin nicht die einzige mit dieser Ungewissheit und froh, auch in der Coronazeit durch soziale Netzwerke nicht allein zu sein.