Häggbergs Logbuch
Markus Häggberg beschäftigt sich in seiner dreimal wöchentlich erscheinenden Kolumne augenzwinkernd mit Alltagssituationen. Sein Tagebuch, immer am Mann, quillt förmlich über von lustigen Begebenheiten. Diesem Mann entgeht nichts:
Logbuch-Eintrag: Wir saßen in einer Kneipe. Aus den Lautsprechern unter ihrer Decke erscholl ein Lied, das irgendeine Joanna (Tschohänna) besang. Die Kneipe stand im Verdacht, gemütlich zu sein und wohl darum legte der Wirt wert auf Schunkelmusik. Sei's drum! Wir versuchten, uns zu unterhalten.
Tschohänna
Doch „Joanna“ (Tschohänna) hielt noch einen Refrain parat: „yeaaaah-yeaaaah-yeaaaaheiheihei“. Der Sänger hatte eine Reibeisenstimme. Das ist in Ordnung, wenn sie nach Alkohol und Rod Stewart klingt, aber die hier klang nach Alkohol und Hartz-IV in Castrop-Rauxel. Und gerade als Anja damit begann, mir von sich zu erzählen, da war er wieder da, dieser Refrain: „Yeaaaah-yeaaaah-yeaaaaheiheihei.“
Das warf Fragen auf. Warum zum Beispiel klingt ein mit Reibeisenstimme vorgetragenes „Yeaaaaah-yeaaaah“ noch einigermaßen akzeptabel, ein mit Reibeisenstimme vorgetragenes „Heiheihei“ aber nicht?
Entfallen
Wie Anja mir so zu sich erzählte, da musste ich daran denken, dass dieser eine berühmte Schriftsteller – wie hieß er doch gleich? – mal sagte, dass alles, wirklich alles interessant sei und es nur darauf ankomme, wie lange man eine Sache betrachte. Bei der Gelegenheit stellte ich fest, dass mir der Name dieses Schrifstellers gerade entfallen war.
Anja sprach immer noch, tat es jetzt mit großen Augen und möglicherweise zu ihrer privaten Situation. Ich schaute sie lächelnd an, nippte an meinem Glas und über uns erklang „Joanna“ (Tschohänna) und dieses „Yeaaaah-yeaaaah-yeaaaaheiheihei.“
Anja lächelte, und angesichts ihres Lächelns fragte ich mich, warum mir der Name dieses Schriftstellers gerade entfleucht war. War es Mark Twain oder Truman Capote? Auf jeden Fall, da war ich mir sicher, war er ein Amerikaner. Anja schaute jetzt noch lieber, wir hielten Blickkontakt und sie spielte mit ihrem Haar. Dabei fiel mir etwas auf: Tschohänna liegt lautmalerisch doch ziemlich nah an „Dschehenna“, dem arabischen Wort für Hölle. Und die Hölle war diese Musik aus den Lautsprechern über unseren Köpfen zweifelsfrei. Jetzt lächelte auch ich Anja an, denn jetzt ergab für mich alles einen Sinn. Anja lächelte auch, und wie sie zu ihrem Glas griff, da zwinkerte sie mir sogar zu. Und da fiel er mir wieder ein, dieser Schriftsteller: Es war natürlich Gustave Flaubert.
Weil ich jetzt wirklich zufrieden war, lächelte ich zu Anja und Anja lächelte zu mir. Dann hatte sie eine Frage: „Woran denkst du gerade?“ Und angesichts dieser Augen beschloss ich, dieser Frau nichts vormachen zu wollen und ehrlich zu ihr zu sein. Ich sagte: „Flaubert war kein Amerikaner, der war Franzose.“ Keine Ahnung, ob ich Anja noch mal wiedersehen werde. Wenn ja, dann bestimmt nicht wieder in dieser Kneipe. Die laute Musik ist dort wirklich sehr unhöflich.