Markus Häggberg beschäftigt sich in seiner dreimal wöchentlich erscheinenden Kolumne augenzwinkernd mit Alltagssituationen:
Logbuch-Eintrag: Gestern war ich mal wieder im Sportstudio. Wie schnell doch die Zeit vergeht – da war es eben noch April und schon war ich wieder da. Na jedenfalls, wie ich so die Umkleidekabine betrete, höre ich einen halbnackten Mann pfeifend eine heitere Melodie trällern – mit so erstaunlichen ernsthaft-melancholischen Einsprengseln. Und wie ich mich so umkleidete, ging mir diese eine melodische Passage mit der Synkope nicht aus dem Kopf – di-di-didi–dieeeee – badamm! Ich schloss die Augen und überlegte, wann mir diese Melodie erstmalig begegnet ist, aus welchem Film sie sein mochte, welche Augen mich bei ihr durch Kerzenschein hindurch angeblickt haben könnten, wie sie instrumentiert war, auf welcher Schallplatte oder CD sie bei mir gespeichert im Regal steht, welche Musiker sie gecovert haben, warum der halbnackte pfeifende Mann sie so ungewöhnlich phrasierte und ob Jamal Musiala in der nächsten Saison den FC Bayern wohl verlassen wird.
Da der halbnackte pfeifende Mann in der Umkleidekabine mittlerweile zu einem gänzlich nackten pfeifender Mann geworden war, mochte ich ihn nicht zu dieser Melodie ansprechen – man möchte ja nicht missinterpretiert werden. So zog ich an ihm vorüber und begab mich auf das Laufband, an die Gewichte und den Tresen mit den Protein-Shakes. Dort schwirrte mir bald der Rat einer lieben Freundin im Kopf herum, die mir in einfachen Worten riet, dass ich bei all dem Protein doch auf mich achten möge. Erst verstand ich nicht so recht, was sie von mir wollte, aber als sie dann von der glomerulären Filtrationsrate redete, ging auch mir ein Licht auf. Dann ging das Licht auch wieder aus, denn was ich im Kopf hatte, war ja dieses Di-di-didi-dieeeee-Badamm! Wie ich nun sah, stand der erst halbnackt und dann gänzlich nackig pfeifende Mann nun sich verabschiedend am Ausgang. So ging ich wieder an die Geräte, zu den Gewichten und – meine glomeruläre Filtrationsrate berücksichtigend Flüssigkeit zu mir nehmend – an die Rudermaschine. Dort konnte ich mir einen Wolf rudern, ohne dass mir einfiel, woher ich diese Melodie kannte und was ich mit ihr verband.
Dass ich die Melodie mit mir nach Hause nahm, verstand sich von selbst. Ich nahm sie zum Abendbrot mit, zur weiteren Berücksichtigung meiner glomerulären Filtrationsrate und auch mit in die Heia. Schlafen konnte ich nicht. Die Melodie führte sich unablässig hinter meiner Stirn auf, gebar sich immer wieder neu zwischen meinen Ohren, stieg aus den Nebeln einer noch schleierhafteren Vergangenheit. Ich nahm mir fest vor, so bald als möglich herauszubekommen, woher diese Melodie stammte. Ich musste wissen, wer sie war. Ich musste, ich musste, ich musste. Dann schlief ich ein – gegen 3 Uhr. Beim Aufwachen war die Melodie wieder da. Oder anders ausgedrückt: Di-di-didi-dieeeee-badamm! Am Abend war ich glücklich, wieder dem pfeifenden Mann zu begegnen. Und wieder pfiff er vor sich hin, wobei er sehr konzentriert wirkte. So erkundigte ich mich nach der gestrigen Melodie und pfiff sie ihm vor. Jetzt erhellte sich sein Gesicht: „Keine Ahnung. Ich weiß selber nicht, was ich pfeife, ich pfeife immer vor mich hin – das hat nie was zu bedeuten. Ich kenne mich mit Musik nicht so aus.“