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MICHELAU/LICHTENFELS: Hausärztliche Versorung im Landkreis Lichtenfels

MICHELAU/LICHTENFELS

Hausärztliche Versorung im Landkreis Lichtenfels

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    Dr. Judith May bei der Behandlung eines Patienten.Archiv
    Dr. Judith May bei der Behandlung eines Patienten.Archiv Foto: Markus Drossel

    Dr. Judith May findet drastische Worte. „Es gibt offene Stellen“, sagt die Michelauer Hausärztin über die allgemeinmedizinische Versorgung im Landkreis. „Und es werden in den nächsten Jahren noch mehr werden. Lichtenfels wird bluten.“

    50 Hausärztinnen und Hausärzte kümmern sich um die 66 722 Menschen im Landkreis Lichtenfels: Das geht aus dem Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) hervor. Da sie keine 50, sondern 44,75 Stellen besetzen, kommen rein rechnerisch 1490,95 Patientinnen und Patienten auf einen Allgemeinmediziner. Für die KVB heißt das, dass für den Landkreis eine Regelversorgung vorliegt.

    Das liest sich erst mal gut. Allerdings sind von den 50 Hausärzten bereits 20 über 60 Jahre alt; das Durchschnittsalter liegt bei 55,5 Jahren. Damit ist absehbar, dass die Versorgung schlechter wird. Denn der medizinische Nachwuchs ist immer seltener bereit, eine eigene Praxis zu eröffnen. Woran liegt das?

    Numerus Clausus für Medizin ist aktuell so hart wie nie

    „Die Zahl der Medizinstudenten ist sicher ausreichend. Aber die Bedingungen für eine Niederlassung sind so schwierig, dass sie sich nicht trauen“, sagt Dr. Judith May. Im Michelauer Gemeinderat hat die CSU-Fraktionsvorsitzende diese Bedingungen kürzlich präsentiert.

    Natürlich gibt es Grundvoraussetzungen. Das Abitur gehört dazu, das Humanmedizin-Studium auch, zugangsbeschränkt durch den Numerus Clausus (NC). Das bedeutet, dass festgelegt ist, welchen Notendurchschnitt im Abitur Interessierte für ein Studienfach mindestens brauchen. Für Medizin ist der NC im aktuellen Wintersemester so hart wie nie: Nur zwei Bundesländer verlangen nicht 1,0, sind aber mit 1,1 (Schleswig-Holstein) und 1,2 (Niedersachsen) auch nicht viel gnädiger (Quelle: praktischarzt.de).

    Wobei nur 20 Prozent der Studienplätze über den NC vergeben werden, weitere 20 Prozent rutschen nach Wartesemestern ins Studium. Die übrigen 60 Prozent wählen die Hochschulen selbst aus – über den Medizinertest, Berufserfahrung oder Auswahlgespräche. Dr. May verweist auch auf Modelle wie die Landarztquote: Wer hierüber einen Platz bekommt, verpflichtet sich, nach dem Studium als Allgemeinmediziner oder -medizinerin auf dem Land zu arbeiten.

    „Eine Niederlassung kollidiert häufig mit der eigenen Lebensplanung. Zumal die Medizin auch weiblicher wird.“

    Dr. Judith May, Hausärztin

    Dr. May hält davon nicht viel: „Man weiß am Anfang ja gar nicht, was es an interessanten Möglichkeiten gibt.“ Sie selbst wäre „um ein Haar“ in der Gynäkologie hängen geblieben, promoviert hat sie in der Urologie. Letztlich hat sie aber doch getan, was sie als Kind schon tun wollte: Sie hat die Praxis ihres Vaters übernommen.

    Es war ein weiter Weg bis dorthin. Die Promotion ist kein Muss, die Ausbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin, die noch einmal sechs Jahre dauert, schon. Erst danach ist die Niederlassung möglich. „Ich war selbst zu der Zeit 34 Jahre und damit relativ früh dran“, erzählt die Michelauerin. „Das heißt, eine Niederlassung kollidiert häufig mit der eigenen Lebensplanung. Zumal die Medizin auch weiblicher wird.“

    Über 50 Arbeitsstunden pro Woche, Nacht- und Bereitschaftsdienste

    Der Anteil der Medizinstudentinnen steigt also. Viele Frauen Mitte 30 aber denken spätestens jetzt an die Familiengründung. Bei Dr. Judith May war das auch so: Familie, Hausbau, dann noch eine eigene Praxis – alles kam zusammen. „Ich hatte den Vorteil, dass mein Lebensgefährte maximal weit weg ist von der Medizin. Er hat die Elternjahre übernommen“, erklärt sie.

    Dr. May und ihr Partner haben drei Kinder. Von Kind zu Kind sei es einfacher geworden, weil die Betreuungsmöglichkeiten besser wurden: Das erste Kind kam nach einem Jahr in die Krippe, das zweite nach sechs Monaten, das dritte nach sechs Wochen. Es sei aber gerade in ihrem Beruf oft der Fall, dass beide Partner im medizinischen Bereich arbeiten. Familie und Wochenarbeitszeiten von über 50 Stunden, dazu Nacht- und Bereitschaftsdienste – wie soll das gehen? Oft steckten dann die Frauen zurück.

    Zahl der Arztsitze pro Planungsbereich ist reguliert

    Dr. Judith May hatte es nicht nur privat leichter. Sie konnte auch in der Gemeinschaftspraxis ihres Vaters dessen Sitz übernehmen. „Ich bin in ein funktionierendes System reingekommen. Das machte es natürlich einfacher“, erinnert sie sich. Es war für sie aber auch die einzige Möglichkeit, sich überhaupt mit einer eigenen Praxis im Landkreis Lichtenfels niederzulassen.

    Das ist nämlich keine freie Entscheidung. Die Kassenärztliche Vereinigung weist den Planungsbereichen die Zahl der Arztsitze zu. Ist ein Planungsbereich überversorgt, dann wird er für neue Niederlassungen gesperrt. Das war die Situation, die die junge Ärztin vorfand, als sie ihr Studium abschloss. Ihr Vater legte damals seinen Sitz nieder, damit sie sich darauf bewerben konnte. Dass er weiterhin in der Praxis mitarbeitet, geht nur, weil sie selbst Gemeinderätin ist und deshalb nicht die Zeit hat, ihren Sitz voll zu erfüllen.

    Acht Minuten Zeit pro Patient werden bezahlt

    Auch vieles andere reguliere die KVB. So dürfen zum Beispiel nur in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Ärzte angestellt werden. Die KVB schreibe auch eine Präsenzpflicht vor; Änderungen in den Öffnungszeiten müssten genehmigt werden. Urlaub sei nur möglich, wenn es eine Vertretung gibt. Auch Nachtdienste würden nicht davon befreien, am Tag danach wieder in die Praxis zu müssen.

    Dazu kommt das finanzielle Risiko. Die Krankenkassen zahlten acht Minuten pro Patient. Alles, was die Ärztin mehr an Zeit braucht, bekomme sie nicht vergütet. Im Zweifelsfall hafte sie mit ihrem Privatvermögen. Noch Jahre später könnten Krankenkassen die Kosten zurückfordern, wenn sie eine Behandlung für ungerechtfertigt halten. Dazu kommen die massiven Investitionen, die nötig seien, um eine Praxis einzurichten. Und so sagt auch die Michelauerin ganz klar: „Hätte ich 100 000 Euro zahlen müssen, wäre ich am Krankenhaus geblieben.“

    Die Patienten durch ihr Leben begleiten

    Dort allerdings, und das sieht sie als Manko, bekämen die Ärzte nicht mit, was aus den von ihnen behandelten Menschen wird. Dr. May findet es schön, dass sie als Hausärztin die Leute nie aus den Augen verliert. Sie begleitet sie praktisch durchs Leben. Dadurch weiß sie auch, wie sie Beschwerden einordnen muss. Sie weiß, ob der Patient erst in die Praxis kommt, wenn es gar nicht mehr anders geht, oder ob die Patientin sofort da ist, wenn es wo zwickt.

    Und so versucht die überzeugte Hausärztin, auch andere von ihrem Metier zu begeistern: Dr. May betreibt zusammen mit ihrem Kollegen ihre Gemeinschaftspraxis als Lehrpraxis in Kooperation mit der Universität Erlangen. Das heißt, Studierende können einen Teil ihres Praxisjahres bei ihr ableisten. Vielleicht, so die Hoffnung, kommt dadurch der eine oder die andere aus der Heimat auf den Geschmack und kehrt nach dem Studium zurück – in eine Gemeinschaftspraxis oder ein MVZ. Denn eine eigene Niederlassung, sagt Dr. Judith May, wird auch von den Beratungsstellen schon lange nicht mehr empfohlen.

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