Manchmal kommt Jochen Schäfer immer noch ins Staunen. Wie sich die Folgen der großen Weltpolitik auch in den kleinsten Winkeln des Alltags breit macht. Wie sie in jede Ritze dringen. Jeden betreffen. Selbst hier im idyllischen Weismain mit seiner trutzigen Rolandstatue und den pittoresken Altstadthäusern, auf die man aus dem Bäckerei-Café so schön blicken kann.
Das, sagt der 51-Jährige, habe er in seinem Berufsleben als Bäcker so noch nicht erlebt. Er führt ein Familienunternehmen in der dritten Generation. 1936 gründeten die Schäfers ihre Bäckerei. Rohstoffmangel, den gab es nur in der Kriegs- und Nachkriegszeit. „Aber natürlich in einem viel größeren Ausmaß. Dennoch, kaum waren die Corona-Lockdowns halbwegs überstanden, kam der Krieg in die Ukraine mit gewaltigen Herausforderungen“, berichtet er. Die Folgen des russischen Angriffskriegs auf sein ungleich kleineres Nachbarland, die bekommt der Bäckermeister in Weismain zu spüren.
„Die hohen Energiekosten sind das eine. Dann kommen noch die gestiegenen Preise für das Mehl und andere Zutaten hinzu. Der Preis für Mehl hat sich im Jahresvergleich verdoppelt, der für Butter verdreifacht. Happig wird es auch bei den Zutaten für das Weihnachtsgebäck werden. Das ist nicht leicht zu stemmen“, erklärt der Weismainer Bäckermeister. Eine Bäckerei ist zudem ein energieintensiver Betrieb. Die Backöfen, die Kühlräume, die Backmaschinen: alles Energiefresser. „Die Backöfen betreibe ich mit Öl. Ich merke direkt die Preissteigerungen“, berichtet er.
Schäfer hat mit Kreishandwerksmeister Mathias Söllner vor dem Fenster im Café der Bäckerei Platz genommen. Der 51-Jährige hat massiv investiert. In ein zeitgemäßes Ambiente im Café oder im Altenkunstadter Kreisel, wo er eine große Filiale betreibt. Die weit größer ist als der Verkaufsraum und die Gastro im Stammhaus. Der „Kreisel“ ist die größte der drei Filialen. Dann gibt es noch zwei Verkaufsfahrzeuge, die die Dörfer rund um Weismain abfahren. Und 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei denen der Chef nicht mehr aus dem Loben kommt. „Ohne ihren Einsatz und eine treue Kundschaft wären wir nicht durch Corona gekommen“, so der Weismainer.

Eine Bäckerei mit Gastro ist ein personalintensiver Betrieb. Die hohe Inflation wird auch zu Lohnanpassungen führen, darauf muss sich der Firmen-Chef einstellen. Auch darauf, dass er bei Preissteigerungen behutsamer vorgehen muss, als es in anderen Branchen üblich ist. Doch Preissteigerungen für seine Backwaren im Bereich von acht bis zehn Prozent musste er vornehmen. „Da hatte ich schlicht keine andere Wahl, wenn ich den Fortbestand meines Unternehmens sichern will“, meint er.
Im Café sitzen gerade vier ältere Damen beim Kartenspiel. Sie spüren als Rentnerinnen Preissteigerungen am schnellsten. „Ich stelle als Bäcker Grundnahrungsmittel her. Das ist etwas Schönes, das ich an meinem Beruf liebe. Aber es bedeutet Verantwortung“, erklärt er.
„Die Menschen spüren, dass das alltägliche Leben immer teurer wird. Manche schieben alles auf den den Krieg in der Ukraine. Da merke ich in Gesprächen schon bei vielen ein Nachlassen bei der Solidarität“, sagt der Bäckermeister. Dem aber bewusst ist, dass die hohen Energiepreise nicht nur Folge des russischen Angriffskriegs sind. Die Preise an den Zapfsäulen deutscher Tankstellen kletterten schon lange vor der Invasion nach oben. Für Preissteigerungen in anderen Bereichen sind nicht selten Probleme in Lieferketten verantwortlich. Immer noch Beben der Pandemie, die eben noch nicht ausgestanden ist.
„Wir dürfen nicht vergessen, es sind die Ukrainer, die angegriffen wurden. Ihre Städte werden zerstört, ihre Menschen getötet. Das ist nicht ihre Schuld. Man darf sie da nicht alleine stehen lassen. Heute ist klar, wir hätten uns nie von dem billigen russischen Gas so abhängig machen dürfen“, so der 51-Jährige.
Die Machtspiele Russlands mit den Übersee-Getreidelieferungen aus der Ukraine, treffen Schäfer gerade als Bäckermeister persönlich. „In Afrika werden Menschen verhungern, wenn es zum Stopp kommt. Das ist an Grausamkeit kaum zu übertreffen. Die Schwächsten trifft es, weil die Stärkeren denken, sich alles herausnehmen zu können. Das ist Unrecht“, fügt er hinzu.

Kreishandwerksmeister Söllner nickt da zustimmend. „Nahrungsmittel als Waffe einzusetzen, zeigt erneut, dass Putin keinerlei Moral hat“, meint Söllner. „Was uns die derzeitige Situation lehrt, ist, dass wir aus der Energieabhängigkeit heraus müssen. Die Energiewende muss jetzt klappen, natürlich auch wegen dem Klimaschutz“, ist sich Söllner sicher.
„Das sehe ich auch so. Als Stadtrat habe ich einmal gegen die Aufstellung von Solarpaneelen gestimmt. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler. Wir müssen soweit möglich energieautark werden“, stimmt ihm Schäfer zu. Aber vom Öl wegzukommen ist schwer für ihn. „Für Hackschnitzelverfeuerung fehlt mir mitten in der Stadt leider einfach der Platz“, fügt er hinzu.
„Ich denke, jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Um sie zu bestehen, muss man handeln, nicht jammern“, sagt der Bäckermeister. Manchmal gilt es, ein wenig zurückzuschrauben. In der Bäckerei Schäfer gibt es jetzt Laugencroissants nur noch am Wochenende. „Eine Folge der Teuerungen“, sagt der Bäckerei-Chef. Mathias Söllner hat Geflüchtete aus Charkiw aufgenommen, eine Stadt, bei der es durch den russischen Beschuss zu schweren Zerstörungen gekommen ist. Deren Bewohner immer noch unter Raketentreffern leiden. „Wenn fehlende Laugencroissants in der Ukraine das Hauptproblem der Kriegsfolgen wären, was wäre das für eine Erleichterung für meine Gäste. Dann könnten sie heimkehren“, fügt Söllner nachdenklich hinzu.