Es hat geschneit. Die Bäume zwischen den alten Bürgerhäusern aus K. und K.-Zeiten sehen aus wie gezuckert. Es ist eine milde Wintersonne, die auf die verblichenen Farben der Hausfassaden scheint. „Schön ist das, aber wenn wir eines jetzt nicht brauchen, ist es Kälte“, sagt die 65-jährige Luba. Sie hält vor einer wuchtigen Haustür inne. Die Zahlenreihe für das Schloss weiß sie auswendig.
Dann geht es die Treppen hinauf. An Jewheniyas Wohnungstür klingelt sie. Nun heißt es ein wenig warten. Die 79-Jährige ist nicht so schnell zu Fuß. Aber dafür strahlt die Rotkreuz-Schwester ein durch und durch freundliches Gesicht an, als sich die Türe quietschend öffnet.
„Schön, dass du da bist, Luba“, sagt die 79-Jährige, während sie mit bedächtigen Schrittchen vor der Rotkreuz-Schwester durch die enge Küche tippelt, die eigentlich eher ein Flur mit Herd und Waschbecken ist. Dahinter liegt das Wohn- und Schlafzimmer. Es ist ein kleines Stübchen mit den obligatorischen Wandteppich, einem Bett und einem kleinen Sofa.
Lwiw liegt im Westen der Ukraine, weit abseits von der Front im Osten und Süden. Doch es gibt keinen Ort in dem Land, keinen Menschen, den der Krieg nicht betrifft. Schon zu Beginn des Kriegs schlugen auch in Lwiw Raketen ein. So recht will sich die 79-Jährige nicht an den Ton der Sirenen gewöhnen. „In den Luftschutzkeller schaffe ich es mit den Beinen eh nicht“, meint sie. Jetzt hofft sie, dass die gezielten Angriffe auf die Infrastruktur der Energie- und Wasserversorgung ihr das Leben in der kleinen Wohnung nicht unmöglich machen. Die alte Frau hat sich schon daran gewöhnt, dass stundenlang kein Strom fließt. Aber ohne Wasser und Wärme den Winter durchstehen? „Wie soll das nur alles werden“, schüttelt Jewheniya traurig den Kopf.
Die größte Sorge der alten Dame gilt aber ihrem Enkel. „Er kämpft im Osten. Hoffentlich kommt er wieder gesund zurück“, sagt sie leise. Auch ihren Urenkel vermisst sie, der immer so gern bei ihr gefuttert hat. „Der ist jetzt mit seiner Mutter in Deutschland. Ich habe niemanden mehr, der noch in der Stadt ist“, sagt die 79-Jährige.
Karge Rente und hohe Energiekosten
65 Euro Rente hat die alte Dame, fast die Hälfte davon fressen schon die Energiekosten. Es ist umgerechnet kaum mehr als ein Euro, was sie dann noch zum Leben hat. Dann braucht sie noch ein kleines Arsenal an Medikamenten für ihr Asthma, Diabetes, die Magenprobleme und gegen den Bluthochdruck. Der Krieg schlägt sich auf die Psyche nieder. Auch Beruhigungstabletten nimmt die 79-Jährige, wenn sie die Situation nicht mehr verarbeiten kann. Die meisten Medikamente erhält sie kostenlos. Ab und an bring ihr Luba auch eine große Tüte voller Lebensmittel mit. Lubas Gehalt, die Medikamente und Lebensmittel finanzieren auch die Leserinnen und Leser des Obermain-Tagblatts seit vielen Jahren mit. Denn das Projekt des DRK-Landesverbands „Badisches Rotes Kreuz“ und des Ukrainischen Roten Kreuzes wird von der Sonderaktion „Ukraine“ von „Helfen macht Spaß“ unterstützt. In dieser schweren Zeit gab es eine ganz besondere Geste. Der Rotarier Club Obermain ermöglichte es im Rahmen der HMS-Sonderaktion, mit eigenen und bundesweiten Rotary–Mitteln das Projekt ein halbes Jahr zu finanzieren.
„Müsste ich noch meine Medikamente selber kaufen und gäbe es die Lebensmittelpakete nicht – ich wüsste nicht, was ich tun sollte“, meint die 79-Jährige traurig. „Und wenn ich Luba nicht hätte, mit der ich reden kann, die sich meine Sorgen anhört, es wäre nicht zum Aushalten“, sagt die 79-Jährige.
„Die alten Menschen haben es in dieser Zeit besonders schwer. Es war schon vor der Invasion ein riesiges Problem mit den kleinen Renten. Wer keine Familie hat, die unterstützen kann, für den ist es sehr, sehr schwer“, erklärt die Rotkreuz-Schwester. „Jetzt kommen die Raketenangriffe dazu, Stromausfälle, Inflation, die Sorge um Angehörige. Manchmal setze ich mich mit meinen Klienten einfach 20 Minuten vor den Fernseher. Sie können alleine die Nachrichten vom Krieg nicht verarbeiten. Manche von ihnen haben den Zweiten Weltkrieg noch als Kind erlebt“, sagt Luba nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hat.
Ihr Weg führt sie noch zum 80-jährigen Mychaylo, der an Krebs leidet. „Auch er könnte sich niemals teuere onkologische Medikamente leisten. Gut, dass ich dank der Unterstützung aus Deutschland nicht mit leeren Händen zu ihm kommen muss“, erklärt sie. „Wie geht es dir, Mychaylo?“, fragt die Rotkeuz-Schwester. „Ich will nicht klagen“, sagt der alte Mann. Es ist kalt in seiner Ein-Zimmer-Wohnung, der 80-Jährige hat sich in einen dicken Mantel eingemummelt. „Wer kann sich denn noch Strom und Gas bei den Preisen leisten? Wenn denn überhaupt Strom fließt“, brummelt er.
„Manchmal setze ich mich mit meinen Klienten einfach 20 Minuten vor den Fernseher. Sie können alleine die Nachrichten vom Krieg nicht verarbeiten. “
Luba, Rotkreuz-Schwester
„Die Energieengpässe aufgrund der Bombardierungen sind für so viele Menschen in der Ukraine gerade ein gewaltige Problem“, seufzt Luba. Ihr letzter Besuch für heute gilt Yurij. Der 74-Jährige ist erblindet. Und stellt sich als ein sehr höflicher und bescheidener Mann heraus. Es dauert, bis er zur Tür kommt und dann Luba vorausgeht. Yurij kann nicht gerade stehen, sein Körper ist gebückt. „Du hast dir deinen Bart schön gestutzt“, lobt ihn Luba. Der Senior lächelt. Er erzählt gerne von den Zeiten, als er Touristen durch die ukrainische Stadt geführt hat. „Das mit dem Reiseleiter war nur ein Hobby, aber ich habe es geliebt.“ Es sind Geschichten aus längst vergangenen Tagen. Luba kennt sie alle. Sie weiß, wie wertvoll die Erinnerungen daran für ihre betagten Schützlinge sind. „Sie sind doch alle so allein“, sagt Luba. Darum hört sie sich geduldig eine Geschichte an, die sie schon auswendig kennt.
Der Krieg hat auch Lubas Leben auf den Kopf gestellt. „Wir alle machen uns Sogen um die Zukunft. Haben Freunde, Verwandte oder Bekannte, die an der Front kämpfen. Dann die Angriffe aus der Luft. Es ist furchtbar“, sagt die 65-Jährige. Sie bezieht selber schon eine kleine Altersrente. „Das ist gut, um mein Schwesterngehalt etwas aufzustocken. Die Preise steigen enorm. Alles wird teurer“, erklärt sie. „Mein Sohn macht mir Sorgen. Er hatte einen Unfall und bräuchte eine Operation. Aber ich habe nicht genügend Ersparnisse, um sie zu zahlen“, fügt sie an.
Lubas Sohn braucht eine Operation
Immerhin soll ihr Lohn jetzt aufgrund der kriegs- und inflationsbedingten Situation angehoben werden. Vielleicht kann Luba dann mehr sparen. „So hat jeder seine Sorgen in der schweren Zeit“, sagt die Rotkreuz-Schwester.
„Dafür habe ich den schönsten Beruf, den es gibt“, wechselt sie das Thema. Jeden Morgen fährt sie um 6 Uhr mit dem Zug aus einem kleinen Dorf nach Lwiw. Eine Stunde einfach dauert die Fahrt. „Zurück geht es um 18 Uhr. Ja, manchmal bin ich sehr, sehr müde. Aber ich weiß, wie mich meine alten Menschen brauchen. Da gibt es so viele schöne Momente“, erklärt sie.
Einmal, da war sie mit ihren Kolleginnen vor wenigen Jahren bei den Schwestern der Rotkreuz-Station in Lichtenfels eingeladen. „Wir haben eine kleine Partnerschaft. An diese schönen Tage erinner ich mich jetzt gerne. Wer hätte damals gedacht, was für eine schwere Prüfung unsere Ukraine jetzt zu bestehen hat.“
Für Spenden In Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden unterstützt „Helfen macht Spaß“ Bedürftige am Obermain. Eine über 20-jährige Tradition hat der HMS-Weihnachtsaufruf. Wie gewohnt werden dabei der Namen der Spendenden und die Höhe der Spende (ab zehn Euro) genannt. Spenderinnen und Spender, die dies nicht wollen, bitten wir, bei der Überweisung neben dem Stichwort „Helfen macht Spaß“ zusätzlich „Anonym“ zu vermerken. Herzlichen Dank. Spenden: BRK-Kreisverband Lichtenfels, IBAN: DE 26 7835 0000 0000 0388 85, Sparkasse Coburg-Lichtenfels. Wer für die HMS-Sonderaktion Ukraine (siehe Artikel) spenden will: Verwendungszweck: HMS-Ukraine.