Manchmal kann man in Oberfrankens Wäldern Szenen wie aus einem Horrorfilm erleben. Blutsaugende Insekten stoßen von den Bäumen, landen auf dem ganzen Körper und dringen unter die Kleider. Man schlägt sie ab, doch sie wenden, kehren wieder und wollen nicht ablassen. Wer einmal in einen Schwarm dieser Quälgeister geraten ist, hat ein oder zwei Fragen.
Theresa Flierl hat von anderen Reitern erfahren, dass es vermutlich Hirschlausfliegen waren, von denen sie und Araber Estello kürzlich bei Marktgraitz traktiert worden sind. Die Mitarbeiterin der väterlichen Tierarztpraxis in Burgkunstadt fand die Begegnung überaus lästig. Sie googelte die Fliege, fand aber „nichts, was hilft“. Sie will nun den Wald meiden.
Werner Hammon ist schon gebissen worden. „So ein Flatschen“, ruft er, „groß wie eine Euro-Münze“, und zeigt auf seinen Hals. Der Zultenberger ist mit dem Einspänner bei Geutenreuth unterwegs. Das Pferd scheut, wenn die Fliegen in der Luft sind. „Die Pferde hören viel besser als der Mensch“, erklärt der Rentner, der sich väterlich um seine Haflinger Max und Moritz sorgt. Vor der Ausfahrt sprüht er sie mit einem Hausmittel ein, das Tiroler Steinöl enthält. Das hält die Insekten zwar nicht ab, aber sie setzen sich nicht fest und fliegen wieder fort, berichtet er.
Auch die Jäger kennen die Hirschlaus, wie es biologisch nicht korrekt, aber leichter fasslich heißt. „Die sind penetrant“, schimpfen Begeher im Mainecker Forst, „die kratzen und beißen“. Die Waidmänner fischen die Tierchen vor allem bei der Waldarbeit aus den Haaren.
Es ist überraschend einfach, Zeugen für die Präsenz der Hirschlausfliege zu finden. Auch im Selbstversuch funktioniert es: Spontan können wir an einem Waldrand vier Exemplare einsammeln. Was sind das für Tiere?
Hirschlausfliege erinnert an Zwergspinne oder Zecke
Die Hirschlausfliege ist keine Schönheit. Sie erinnert eher an eine Zwergspinne oder eine Zecke, von der sie aber durch die glasigen Flügel, den etwas größeren, bräunlichen Körper und die Zahl der Beine unterschieden werden kann: sechs statt acht. Ihr Lebensraum ist der Wald. Dort fliegt sie von August bis Oktober Reh, Dachs, Fuchs, Wildschwein oder den namengebenden Hirsch an. Angesichts milder Temperaturen trifft man sie nun aber auch im November an.

Sicher gelandet, wirft sie die Flügel ab und klammert sich mit ihren kräftigen Beinen so gekonnt in den Haaren fest, dass befallene Tiere sie kaum mehr losbekommen. Flach gebaut und rundum geborstet, lebt sie fortan gut angepasst im Fell des Wirtes und nährt sich von seinem Blut. Lausfliegen sind Parasiten. Von daher versteht sich auch die Heftigkeit ihrer Attacken: Der vorbeikommende Warmblüter bedeutet die Erfüllung ihres kurzen, kaum einjährigen Lebens, sind ihre einzige Überlebenschance.
Bei Tieren bilden sich Entzündungen
Für ihren Wirt sind die Gäste weniger angenehm. „Die Tiere lecken und beißen sich an den juckenden Stellen“, weiß Igor Peresada, Tierarzt in Weismain. Dann bilden sich Entzündungen, kommen Eiter, Bakterien, Pilze nach, das ganze Programm. Von Jägern erlegtes Wild verrät vage Zahlen: In der Kühlung fallen alle Parasiten aus und in eine untergestellte Wanne: mal drei, mal zehn, mal keine.
Befällt die Hirschlausfliege auch Menschen? Wir werden wohl eher versehentlich angeflogen. Pilzsammler und Wanderer werden gewissermaßen mit dem Wild verwechselt. Lausfliegen können nun mal nicht so gut sehen. Sie scheinen deshalb auch den Reiter für einen Teil des Pferdes zu halten.
Man sollte die Garderobe also so wählen, dass man nicht an einen Hirsch oder einen Keiler erinnert. Ebenfalls im Wald vermeiden: Pelzkragen, Wildlederjacke, Fellimitat. Und: Kopf und Nacken stets bedecken. Denn hier treffen die zudringlichen Winzlinge auf die Reste des Fellkleides, das einst auch der Mensch getragen hat. Auch Männer mit starker Brustbehaarung dürften im Nachteil sein.
Auf der nackten Haut dagegen scheinen die Peiniger keinen rechten Halt zu finden. Sie wandern dann auch längere Zeit auf einem hin und her. Das hat den Vorteil, dass man sie oft noch zuhause entfernen kann, wenn man seine Kleidung absucht und ausschüttelt.
Neuerdings breitet sich noch eine zweite Art bei uns aus, wie wir vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen erfahren. Die Kleine Rehlausfliege fliegt „vermehrt auch den Menschen und seine Heim- und Begleittiere“ an, eröffnet Sprecher Alexander Szumilas auf Anfrage dieser Redaktion. „Sie ist dadurch im Vergleich stärker lästig.“ Die Neue ist nur halb so groß wie ihre einheimische Schwester und stammt aus Asien. Sollte sich dieses miniaturisierte Modell durchsetzen, könnte es ungemütlich werden im Herbst in den heimischen Wäldern.
Der Biss ist schmerzlos, etwas lästiger als ein Mückenstich
Und wenn sie einen erwischt? „Dann passiert meist nicht viel“, erzählt Amelia Duran. Die Tierärztin aus Altenkunstadt ist sicher, schon verschiedene Male auf der Kopfhaut gebissen worden zu sein, wenn sie befallene Tiere versorgt hat. Der Biss ist schmerzlos, etwas lästiger als ein Mückenstich, aber nicht so unangenehm wie ein Zeckenbiss, bei dem zudem gefährliche Krankheiten wie FSME oder Borreliose übertragen werden können. Duran warnt eher vor gewissen Mücken, die neuerdings in Deutschland nachgewiesen wurden und tropische Krankheiten mitbringen.
Erreger überträgt zwar auch die Hirschlausfliege, sogenannte Bartonellen, doch wird deren Infektionsrisiko vom Landesamt „allgemein als sehr gering“ bewertet. Infektionen sind daher auch nicht meldepflichtig.

Die gesundheitliche Bedrohung durch die Hirsch- und die Rehlausfliege stuft das Amt als „vernachlässigbar“ ein. In seltenen Fällen könne es zu Komplikationen an der Einstichstelle kommen. Harmlos wie Stubenfliegen sind sie also nicht. Aber Fieber und Herzentzündungen, von denen man im Internet liest, bleiben einstweilen schaurige Gerüchte. Manche scheinen aus der Fliege gleich einen Elefanten machen zu wollen.
In der Arztpraxis bleibt die Fliege vorläufig ein Phantom. Hiesige Hausärzte und auch Bernadette Nuß in Bad Staffelstein, einzige Hautärztin im Landkreis, haben noch keine Erfahrungen mit Lausfliegen gemacht. Jedenfalls keine bewussten. So genau kann man das nie wissen, schließlich gibt es noch andere stechende Insekten, und man kaum sagen, ob es eine Hirschlausfliege aus dem Wald, eine Pferdelausfliege aus dem Stall, eine Schwalbenlausfliege aus einem Nest, oder eine andere der 15 in Deutschland vorkommenden Arten war, die eine Hautentzündung oder einen bleibenden starken Juckreiz verursacht hat.
Vom Ötztal zum Kordigast
Täuscht also der Eindruck, dass der Trend zur Plage geht? Dazu gibt es keine aussagekräftigen Daten. Auch im Landkreis Lichtenfels ist auf offizieller Ebene kaum etwas zu erfahren. In der Umweltstation in Weismain sorgt der Name der Hirschlausfliege vor allem für anhaltende Heiterkeit. Von dem Tier hat man noch nicht gehört. Auch dem Landratsamt liegen „keinerlei zentrale Informationen vor, ob die Population anwächst“.
Aufmerksame Privatleute warten dagegen mit konkreten Zahlen auf. „Seit zwei Jahren haben sich die bei uns deutlich vermehrt“, sagt Markus Hümmer, der einen Reitstall in Tauschendorf betreibt und oft am Kordigast unterwegs ist. „Die gehen auf Mensch und Hund genauso wie auf die Pferde.“ Das deckt sich mit der Aussage des Landesamtes für Gesundheit, das „in den letzten beiden Jahren“ von besorgten Bürgern vermehrt Lausfliegen zur Bestimmung eingesandt bekommt. Hümmers Beobachtung, dass „nur an vereinzelten Stellen“ massierte Partien auftreten, findet sich auch in der Fachliteratur. Lausfliegen sind standorttreu. Darum der Tipp: Einfach mal zulaufen, einen Galopp einlegen, dann bleiben die Verfolger bald zurück.
Nicht so leichtfüßig war wohl das prominenteste Opfer der Insekten. Das ist der Mann aus dem Eis, der vor 5000 Jahren in den Alpen ermordet worden ist: Ötzi hatte nicht nur eine Pfeilspitze im Rücken, sondern auch eine Reihe Hirschlausfliegen im Haar stecken. Die Fliegen müssen also einst auch für die Menschen, als sie noch in den Wäldern lebten, eine Plage gewesen sein. Hoffen wir, dass sich der moderne Mensch nicht demnächst wieder mit Problemen aus der Steinzeit herumzuschlagen hat.