Denkt man an die Weihnachtsfeste der Kindheit zurück, so sind es natürlich die Geschenke und der Weihnachtsbaum, die einem einfallen. Doch gab es nicht auch noch andere Dinge, die zur echten Weihnachtsstimmung beitrugen? Natürlich: die festlich geschmückte, im besten Falle auch noch verschneite Stadt, der Weihnachtsmarkt und die hell erleuchteten Fenster am Abend und zuhause selbst die warme Stube, der Duft nach Plätzchen und Lebkuchen und dann in vielen Familien in einer Ecke des Wohnzimmers die Krippe mit dem Heiligen Paar und dem Jesuskind, mit Ochse und Esel und natürlich mit den Hirten. Gerade sie waren es ja, die die frohe Botschaft zuerst erfahren haben:
„Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ (Lukas 2)
Schon hier verbindet sich mit dem Wort „Hirten“ für uns etwas Idyllisches und zugleich eine gewisse Ferne von der hektischen menschlichen Geschäftigkeit, ein geruhsames, vielleicht auch von einer gewissen Naivität geprägtes Leben.

Und unsere Beobachtungen der wenigen Hirten, die mit ihren Schafherden heute noch unterwegs sind, wie wir sie zum Beispiel bei einer Fahrt durch die Fränkische Schweiz machen können, scheinen diese Assoziationen zu bestätigen. Der Hirte steht gelassen, in stoischer Ruhe, abseits seiner Herde, die von seinen Hunden wachsam umkreist wird.
Den Dienst des Gemeindehirten seit dem 15. Jahrhundert versehen
Dass aber diese Eindrücke, die wohl auch heute etwas trügen, in früheren Jahrhunderten überhaupt keine Gültigkeit hatten, erweist ein Blick auf das Leben der Lichtenfelser Gemeindehirten, die mindestens seit dem 15. Jahrhundert, vielleicht auch schon viel länger, bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hier ihren Dienst versahen. In der Eidesformel von 1563 und in der Beschreibung seiner Tätigkeit aus dem Jahr 1817 lässt sich Einiges über seine Stellung, seine Aufgaben und seine Lebensumstände aussagen. Dabei haben wir es nicht mit Schaf-, sondern mit Rinder- und Schweinehirten zu tun.
Hüten, behandeln und kontrollieren: die Aufgaben des Hirten
Seine Hauptarbeit waren natürlich die Tiere, die ihm die Lichtenfelser Viehhalter anvertrauten – vor 1850 hatte fast jeder noch einiges Vieh im Stall – auf die Weide zu bringen und dort auf sie aufzupassen. Die Hut begann gewöhnlich Mitte Mai und wurde fortgesetzt, solange es die Witterung erlaubte. Kranke Tiere musste der Hirte isolieren und sofort melden. Die Gefahr von Viehseuchen war hoch. Kleinere Verletzungen der Tiere behandelten die Hirten oft auch selbst, was ihnen den Ruf einbrachte, auch im Bereich der Behandlung von Menschen durchaus gute Dienste leisten zu können
Bevor die ärztliche Versorgung eine staatliche Regelung erfuhr, war der Hirte neben dem Bader oft die einzige medizinische Instanz vor Ort. Sollte durch die Unachtsamkeit des Hirten ein Tier zu Schaden kommen oder ein Flurschaden entstehen, musste der Hirte persönlich dafür geradestehen.
Vor allem der Zuchtstier, der als besonders wertvolles und teures Tier Gemeindegut war, unterstand seiner Obhut, zum Beispiel auch in der Hinsicht, dass es zu verhindern galt, dass sich der Stier fremden Kühen widmete. Kam der Zuchtstier zum Einsatz, hatte der Hirte das zu überwachen und bekam dann auch eine „Erfolgsprämie.“
Überhaupt hatte er auch darauf zu sehen, dass die stadteigenen Hutflächen nicht von fremden Hirten genutzt wurden. Neben der Schanz standen ihm der Mainanger, der Mäusrothberg sowie Flächen am Kreuzbühl zur Verfügung. Nach der Ernte war auch der Rest der Flur zum Hüten freigegeben. Streit um die Hutrechte war immer wieder an der Tagesordnung und konnte sich unter Umständen über Jahrzehnte hinziehen. So waren die Weideflächen am Ottenberg und beim Horbhof zwischen Lichtenfels und der Gemeinde Burgberg im 18. Jahrhundert hitzig umkämpft.
Die Hirten am Rande der Gesellschaft
Obwohl die Hirten eine wichtige Aufgabe für die Gemeinschaft erfüllten, waren sie weder besonders angesehen noch finanziell gut gestellt. 1817 erhielt er von der Stadt 30 Gulden, dazu freie Wohnung im Hirtenhaus und ein wenig Land, das er selbst bestellen konnte. Das Hirtenhaus befand sich ursprünglich in der Hirtengasse, wo es aber 1607 wegen Baufälligkeit aufgegeben werden musste. Danach zog der Hirte in ein Haus, das ungefähr dort stand, wo sich jetzt der Westteil des ehemaligen Pausonhauses befindet.
Schon die Tätigkeit abseits der menschlichen Gesellschaft ließ die Hirten immer etwas suspekt erscheinen. Zumal sie dabei ja auch mit umherwandernden, zwielichtigen Gestalten in Kontakt kommen konnten. So nimmt es nicht wunder, dass es den Hirten 1710 verboten wurde, „fremde, starke Burschen“ bei sich zu beherbergen. Auch in anderer Hinsicht war man ihnen gegenüber misstrauisch. Sie mussten beim Ende ihres Dienstes genau die gleiche Futtermenge hinterlassen, die sie bei Dienstantritt vorgefunden hatten. Ebenso kontrolliert wurden ihre Werkzeuge und alle anderen Hilfsmittel, die sie verwendeten.
Schweine, Rinder und Gänse
Neben dem Rinderhirten hatte Lichtenfels auch seit mindestens der Mitte des 16. Jahrhunderts einen Schweinehirten. Beide standen in einer gewissen Konkurrenz zueinander, wobei es zum Beispiel um die besten Plätze für ihre Tiere ging. Um zu verhindern, dass es beim Austrieb der Tiere zu Problemen kommt, wurde festgelegt, dass die Rinder eine halbe Stunde vor den Schweinen aus der Stadt getrieben wurden, damit die Tiere an den Engpässen, den Stadttoren, nicht zusammenstießen und es dabei zu Verletzungen kommen konnte.
Für einige, wenige Jahre hatte die Stadt sogar einen eigenen Gänsehirten, dessen Dienst aber wohl so unattraktiv war, dass er wieder aufgegeben wurde. Grund für die Einführung seines Amtes, war, dass zahlreiche Bürger ihre Gänse einfach auf alle öffentlichen Plätze gelassen hatten, ohne sich um das Weitere zu kümmern. Die Folgen davon, kann man sich vorstellen: verschmutzte Wege und ziemliche Geruchsbelästigung!
Das Ende der Gemeindehirten
Mit dem beginnenden 19. Jahrhundert wird die wirtschaftliche Lage der Hirten immer dramatischer, was daran liegt, dass die Stadtbürger selbst immer weniger Vieh für den eigenen Bedarf hielten. Deshalb verfielen wohl einige Hirten auf die Idee, ihr karges Gehalt auf andere Weise aufzubessern. Die Tatsache, dass sie auf den Viehmärkten für Ordnung zu sorgen hatten, nutzten sie nun dazu, immer nachdrücklicher um Gaben für ihre Dienste zu bitten, was wohl teilweise recht drastische Formen annahm. Berüchtigt wurde auch ihre Bettelei auf dem Weihnachtsmarkt, die Fieranten wie auch Besucher störte. Die Klagen wurden so massiv, dass sich die Obrigkeit gezwungen sah, einzuschreiten und das Betteln in jeder Weise zu verbieten.
Kein Treber mehr für den Hirten
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich die Institution des Gemeindehirten endgültig überholt. Bereits 1856 weigerten sich die Bürger, dem Hirten den Treber zu geben, der beim Bierbrauen entsteht und der ihm eigentlich zustand. Auch das herkömmliche Austreiben der Tiere war kaum mehr möglich. Mit dem Andreastag 1876 gab der letzte Hirte, Johannes Diez, sein Amt auf.
Nutztiere sind heute gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Massentierhaltung und Mastbetriebe haben die eigene Viehhaltung ersetzt. Natürlich ist das unserer modernen Lebensweise geschuldet, doch ein wenig bedauern darf man diese Entwicklung, die uns wieder ein wenig weiter von der Natur entfernt, aber schon.