Da ist sie wieder: Die morgendliche Hektik, das Stimmengewirr von 20 Spielkameraden, die lange Zeit im Kindergarten, weil beide Eltern wieder voll arbeiten, die Vorschul-Aufgaben. Von null auf 100? Alles gelingt mit der Extraportion Euphorie? Mit den Öffnungen der Kindertageseinrichtungen, dem Start vieler Freizeitangebote sowie weiterer gesellschaftlicher Lockerungen beginnt für viele Kinder nach langer Pandemie-Pause wieder die Normalität.
Doch sowohl für Heranwachsende, insbesondere für Kinder bis zum Schuleintritt, als auch für deren Eltern gibt es keinen „Schalter“ zum Neustart. Unsicherheit und viele Fragen prägen deren Alltag heute. Gleichzeitig werden in den Einrichtungen Entwicklungsauffälligkeiten deutlich, die körperlicher, kognitiver oder emotionaler Art sein können.
Wöchentlich Neuanmeldungen: 250 Kinder + 8 + 8…?
Die Frühförderstelle des Heilpädagogischen Zentrums der Caritas gGmbH Lichtenfels verzeichnet derzeit so viele Anfragen wie nie zuvor. Waren bis vor wenigen Wochen noch rund 250 Kinder dort in Behandlung, so erreichen Abteilungsleiterin Heidi Eschenbacher-Müller und ihr Team nun wöchentlich sechs bis acht Neuanmeldungen pro Woche: „Deutlich werden vor allem emotionale Belange. Zwar haben wir uns früh dafür eingesetzt, dass manche der von uns behandelten Kinder aufgrund der spezifischen Notwendigkeit die Notbetreuungen der Einrichtungen besuchen durften, aber doch hat vielen Kindern wochenlang der Kontakt zu anderen Gleichaltrigen gefehlt. Der Umgang miteinander ist für sie schwierig geworden.“
Auch Konzentrationsschwierigkeiten und Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung seien oft zu beobachten. Manche Familien, die hohen Belastungen ausgesetzt sind, haben während der Pandemie zu einem höheren Medienkonsum geneigt als dieser ohnehin schon vorhanden sei. Die Folge dieser indirekten Folgen aus der Corona-Krise sind viele Kinder, die sich entweder verunsichert stark zurückziehen oder sich durch aggressives Verhalten äußern.

Wie esse ich mein Pausenbrot im Stehen?
Die Frühförderstelle mit ihrem derzeit 24-köpfigen Team aus Ergo- und Physiotherapeuten, Logopäden, Heilpädagogen, Sozialpädagogen und Psychologen (weiblich und männlich) geht gemeinsam mit den behandelnden Kinder- und Jugendärzten ganzheitlich auf die Kinder ein. Dies geschieht in Form von Beratungen, Entwicklungschecks, Diagnostik und einer individuellen Förderung der Kinder nach einem Behandlungsplan.
In Einzeltherapien geht es beispielsweise um Sinnes- und Körperwahrnehmung. Catrin Brückner fertigt gemeinsam mit ihrem Schützling Fußabdrücke auf Papier an. „Das kitzelt nicht, naja vielleicht ein bisschen“, sagt dieser lachend.
In Kleingruppen finden in den nächsten Monaten beispielsweise Kurse zur Vorbereitung auf die Schule statt. Darin sollen alltagspraktische Fähigkeiten und Handlungen eingeübt werden, beispielsweise: Wie esse ich mein Pausenbrot im Stehen? Wohin mit der Brotdose in dieser Zeit? Wie kann ich meine Schuhe selbstständig anziehen? Wie gehe ich mit Schere und Kleber um?
Das Angebot mit vielen Rollenspielen wendet sich an alle Eltern mit Vorschulkindern, die bezüglich des Schuleintritts unsicher sind. „Auch der Schulweg wird ein Thema sein. Solche Sachen kann man auch prima zu Hause üben! Sie sind erst einmal viel wichtiger als möglichst viele Arbeitsblätter noch abzuhandeln“, weiß Heidi Eschenbacher-Müller.
Gemeinsame Zeit für Kinder und Eltern
Zusätzlich birgt der Zeitfaktor Chancen: Durch die pandemie-bedingten Umstände hatten einige Familien mehr gemeinsame Zeit zu Hause mit ihren Kindern verbracht, die Interaktion sei deutlich intensiver gewesen. Durch den erneut hektisch gewordenen Alltag vieler sei es hilfreich, kleine Zeitfenster im Alltag für das gemeinsame Spiel mit dem Kind zu schaffen. Auch bei den Therapien in der Frühförderstelle genießen es Kinder sichtbar, wenn das Elternteil, ohne Geschwister oder anderen, nur mit ihnen vor Ort sei. Wiederum bei anderen Familien hätten Existenzängste und etwa finanzielle Sorgen die letzten Monate geprägt.
„Da hat sich auch viel angestaut. Bei manchen Kindern haben wir Bedenken, dass wir sie im Herbst einschulen. Das wird ein schwieriger Start werden.“
Das Team der Frühförderung hat im vergangenen Corona-Jahr wohl so intensiv und flexibel wie nie mit den Kindern und Familien gearbeitet. Begonnen mit einem Arbeitsverbot am Kind im April 2020 fanden viele telefonische Beratungen sowie „Tütchen-Aktionen“ mit Lernmaterial statt. Im Mai konnte die persönliche Therapie in reduziertem Maß wieder aufgenommen werden, ab Juli des vergangenen Jahres wurde diese verstärkt – mit dem Tragen von FFP2-Masken durch das Personal und dem Anbringen von Plexiglasscheiben in den Therapieräumen un danderem. Unter höchsten Hygienevoraussetzungen fanden ebenso Behandlungen in den Familien statt.
Ab Herbst 2020 spürte die Frühförderstelle wenig „neue“ Einschränkungen. „Zum Glück, denn das Corona-Jahr hat starke Auswirkungen auf die Kinder, da hat sich auch viel angestaut“, verrät die Abteilungsleiterin. „Bei manchen Kindern haben wir Bedenken, dass wir sie im Herbst einschulen. Das wird ein schwieriger Start werden.“ Auch die Kinder- und Jugendärzte wenden sich mit ihren kleinen Patienten nach Entwicklungsauffälligkeiten im Rahmen der Vorsorge-Untersuchungen an die Stelle. Was ist also zu tun?
Absprache, Begleitung und Verständnis
Gemeinsam ist allen Eltern, dass sie einen hohen Beratungsbedarf haben. Das Team der Frühförderung rät daher zu einer langsamen Rückführung in alte Strukturen. Das tägliche „Abgeben“ der Kinder an der Kindertageseinrichtung könne etwa durch eine sensible Vorbereitung leichter gelingen. „Wenn Kinder, die noch nicht lange eingewöhnt waren, heute vor der Tür der Einrichtung weinen, ist das für mich verständlich“, so die Abteilungsleiterin.

Es geht um Absprache und Begleitung. Bei Kindern, die noch nicht lange fremd betreut werden, sei es vielleicht ratsam, in Absprache mit dem dortigen Team das Kind kurzzeitig in die Räumlichkeiten zu begleiten oder dem Kind etwas Persönliches, wie etwa ein Stofftier, mitzugeben.
Diese Sicherheit und Vertrautheit ist auch bei denjenigen Therapien, die etwa in der Kindertageseinrichtung stattfinden, wichtig: Einige Kinder dürfen dort beispielsweise auch von einer Freundin oder einem Freund begleitet werden.
„Es geht in allen Belangen um eine langsame Rückführung der Kinder in ihren Alltag, sonst rebellieren sie“, so Heidi Eschenbacher-Müller. Deshalb sei es auch nicht ratsam, gleich wieder alle Freizeitaktivitäten auf einmal aufzunehmen oder möglichst viele Freundinnen und Freunde gleichzeitig zu treffen.
„Wir wollen spielen, bitte spendet!“ Bei täglich rund 30 Kindern, die in der Frühförderstelle behandelt werden, kann es zu kurzen Wartezeiten kommen. Diese verbringen viele Familien normalerweise im Garten auf, unter oder am bunten Spielturm. Gleichzeitig bietet dieser einen sanften Abschluss nach einer manchmal anstrengenden Therapie für die Kinder, die oftmals zu Hause keine Grünfläche zum Toben zur Verfügung haben. Doch der Spielturm, vor rund fünf Jahren aus Spendengeldern finanziert, gilt als nicht mehr sicher und entspricht nicht mehr den Richtlinien des TÜV. Die Frühförderstelle bittet nun um Spenden für ein neues Spielgerät. Der Auftrag soll an Firmen aus der Region vergeben werden. Kontodaten: Caritas gGmbH St. Heinrich und Kunigunde Heilpädagogisches Zentrum der Caritas Lichtenfels Frühförderung Liga Bank DE 80750903001809070800