Wohl nie zuvor hat ein „kleiner Pieks“, wie man Kinder beruhigt, für solch große Aufregung gesorgt. Seit Ministerpräsident Markus Söder öffentlich über eine Corona-Impfpflicht für Mitarbeitende bestimmter Berufsgruppen nachgedacht hat, herrscht Unsicherheit und Redebedarf – auch im Landkreis Lichtenfels.
„Grundsätzlich halte ich Impfungen, wie sie auch in der Vergangenheit stattgefunden haben, für wichtig. Eine staatlich verordnete Corona-Impfpflicht sehe ich aber kritisch. Das ist eine persönliche Sache, die jeder Mensch für sich selbst entscheiden sollte“, gibt Thomas Geldner, Geschäftsführer des Caritasverbandes für den Landkreis Lichtenfels an.
„Eine staatlich verordnete Corona-Impfpflicht sehe ich kritisch. Das ist eine persönliche Sache, die jeder Mensch für sich selbst entscheiden sollte.“
Thomas Geldner, Caritas-Geschäftsführer

Zusammen mit Pflegedienstleiter Manuel Geiger und seinem vierköpfigen Leitungsteam der Caritas-Sozialstation tauscht er sich über dieses Thema aus: Viele der Pflegekräfte haben sich bereits impfen lassen, kritisieren aber eine ungenügende Aufklärung über den Vorgang, den Impfstoff sowie mögliche Folgen. Das gelte für Pflegekräfte, aber auch andere Berufsgruppen oder Senioren. Diese Offenlegung von Informationen hätte längst geschehen müssen, darin ist sich das Team einig.

Dabei sei auf die unterschiedlichen Zielgruppen individuell einzugehen: Für ältere Menschen müssten Informationen anders aufbereitet werden und etwa durch einen vertrauten Hausarzt oder die Krankenkasse übermittelt werden. Für junge Menschen könne eine Aufklärung über soziale Netzwerke oder mit Hilfe von Videos geschehen. Gleichzeitig wäre den Verschwörungstheoretikern und Falschinformanten, die gerade in den sozialen Medien eine große Plattform finden, mit großen Kampagnen entgegenzutreten.
Bereits Geimpfte sollten ihre Erfahrungen weitergeben
Ein weiteres Erfolgsrezept für eine Erhöhung der freiwilligen Impfbereitschaft in der Bevölkerung sei zudem die persönliche Erfahrungsweitergabe von bereits Geimpften: In vielen Gesprächen etwa haben die Stationsleitungen ihren Kolleginnen und Kollegen von ihrer eigenen Impfung und ausbleibenden Nebenwirkungen erzählt sowie ihr angeeignetes Fachwissen weitergegeben. „Wenn sich auf diese Weise immer mehr Menschen impfen lassen würden, bräuchte man gar nicht mehr über eine Impfpflicht nachzudenken“, meint Pflegedienstleiter Manuel Geiger.

Dennoch brauchen die Menschen Zeit für die Entscheidung zu einer Corona-Impfung, fordert die Allgemeinmedizinerin Dr. med. Dorothee Möller aus Lichtenfels. Der Impfstoff ist noch nicht lange zugelassen und seine Folgen sind noch nicht restlos überschaubar. Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen hält sie für falsch.
„Wir müssen uns bewusst sein, dass wir eine über 100-jährige Impftradition haben und das Wissen darum stetig wächst.“
Thomas Petrak, BRK-Kreisgeschäftsführer
Auch sie kritisiert die ungenügende Aufklärung zur Impfung und zu den möglichen Konsequenzen, wenn man an Corona erkranke. „Ich habe vor kurzem einen Video-Beitrag von einer Frau gesehen, die das alles durchgemacht hat. Sie hat es von Angesicht zu Angesicht erzählt und ist immer noch traumatisiert. Ich denke, wenn so etwas mehr Menschen sehen würden, dann würden sich auch mehr Menschen freiwillig impfen lassen.“ Auch eine Art Talksendung mit fachkundigen Gesprächspartnern wäre eine Möglichkeit.

Dort könnte wohl zumindest auf die lange Impftradition in Deutschland verwiesen werden und die Hetze, dass ein so schnell zugelassener Impfstoff fehlerhaft sein müsse, gebremst werden. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir eine über 100-jährige Impftradition haben und das Wissen darum stetig wächst“, gibt BRK-Kreisgeschäftsführer Thomas Petrak zu bedenken. „Da können wir auf große Erfahrung zurückgreifen.“
Mehr Aufklärung in Form von Kampagnen vonnöten
Auch er und die Leiterin der BRK-Sozialstation Lichtenfels ,Sabine Rosenfeld, die selbst auch aktiv im Pflegedienst unterwegs ist, befürworten eine groß angelegte Aufklärung in Form von Kampagnen und erinnern beispielsweise an das Thema Aids in den 1980-er Jahren. „Mit diesen Aktionen wurde Aufmerksamkeit erregt und ganz offen darüber gesprochen. Diesen Hype vermissen wir“, so Sabine Rosenfeld.

Der momentane, dicht und klein bedruckte Aufklärungsbogen vor der Corona-Impfung helfe dagegen nicht bei einer Entscheidungsfindung. Tatsächlich wachse die ohnehin hohe Impfbereitschaft bei den Mitarbeitenden der BRK-Einrichtungen durch die Weitergabe eigener Erfahrungen: „Impfen ist eine Vertrauensangelegenheit. Durch persönliche Beobachtungen und Gespräche, gepaart mit echter Aufklärung, könnten wir viel mehr erreichen“, findet Thomas Petrak.
Impfpflicht nicht nach Beruf, sondern nach Gefährdungsanlass
Einer Impfpflicht steht er gespalten gegenüber. Grundsätzlich sei er kein Befürworter von Pflichten. Was freiwillig geschehe, besitze die höchste Motivationsstufe. Dennoch werde es seiner Einschätzung nach in Zukunft Situationen geben, da werde eine Corona-Impfung erwartet. Er vergleicht diese Szenarien etwa mit der bestehenden Masern-Impfpflicht für den Besuch von Kindertagesstätten.
„Ich würde eine Corona-Impfpflicht daher nicht von einem bestimmten Beruf abhängig machen, sondern vom jeweiligen Gefährdungsanlass. Mit einer Impfpflicht für Menschen, die in zum Beispiel in einer Gemeinschaftseinrichtung arbeiten, wo Menschen auf engstem Raum zusammen sind, könnte ich leben.“
Die Politikverdrossenheit würde steigen
Falls eine Corona-Impfung für bestimmte Berufsgruppen oder Arbeitsbereiche in Zukunft verpflichtend werden würde, würde dies sicher so manches Pflegeteam intern entzweien. Oder nicht? An eine mögliche Spaltung im Team glauben die Stationsleitungen des Caritasverbandes für den Landkreis Lichtenfels nicht. „Sicher würden einige ihren Unmut kundtun, aber nicht den Kollegen gegenüber, sondern eher der Politik“, sind sie sich einig.
Auch die Politikverdrossenheit würde wohl ungeahnte Dimensionen annehmen, überlegt das Team und verweist auf die anfänglichen Versprechungen vieler Politiker in den Medien, dass es keine Impfpflicht geben würde. Wovor sie jedoch warnen, sei die dann folgende Steigerung des Fachkräftemangels. Viele Pflegekräfte, Hilfskräfte oder Ehrenamtliche, die sich nicht impfen lassen möchten, würden sich vermutlich andere Tätigkeitsfelder suchen und damit die ohnehin angespannte personelle Situation in der Pflege- und Gesundheitsbranche auf die Spitze treiben.
Größerer Fachkräftemangel durch Impfpflicht?
Dies gibt auch Eva Gill, Standortleiterin für das Bezirksklinikum Obermain in Kutzenberg und das Wohn- und Pflegeheim Kutzenberg, zu bedenken. „Die Befürworter einer Impfpflicht müssen bedenken und klären, wie Pflegekräfte ersetzt werden, die sich nicht impfen lassen wollen. Und das zusätzlich zu den Pflegekräften, die eventuell in Quarantäne sind, und nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines Pflegekräftemangels in der Bundesrepublik. Mit der Frage einer Impfpflicht muss daher grundsätzlich sehr sorgsam umgegangen werden.“
Auch die Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken sprechen sich dafür aus, Aufklärung und Information zu forcieren, damit möglichst viele Menschen den Sinn der Impfung erkennen können und ihre Unsicherheit ablegen. Dies setze eine stabile Verfügbarkeit des Impfstoffs voraus. Die Impfzentren könnten die Kliniken unterstützen und die Impfbereitschaft erhöhen, indem mobile Impf-Teams in die Kliniken gehen und vor Ort ein Impfangebot machen. Das wäre ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
„Für mich ist die Impfung alternativlos. Ich möchte in eine Zukunft ohne Corona-Pandemie.“
Isolde Schug-Fischer, Pflegeleitung am Bezirksklinikum Obermain
Positive Erfahrungen mit einem auch organisatorisch reibungslosen Impfvorgang verbreiteten sich schnell und trügen ihren Teil dazu bei, dass die bereits vorhandene Impfbereitschaft weiter steigt. Doch auch danach sei Verantwortung zu zeigen: „Natürlich gilt es auch nach einer Impfung, Hygieneregeln einzuhalten. Ob Geimpfte das Virus nicht trotzdem weitergeben können, ist noch unklar. Dafür fehlen zumindest jetzt noch sichere Daten.“
Wie auch immer der Status oder die Rahmenbedingungen zur Corona-Impfung sind. Die Motivation vieler Menschen in diesen Tagen gleicht wohl derjenigen von Isolde Schug-Fischer, Pflegeleitung einer Station der Lungenfachklinik am Bezirksklinikum Obermain: „Für mich ist die Impfung alternativlos. Ich möchte in eine Zukunft ohne Corona-Pandemie. Dann wird es endlich auch wieder problemlos möglich sein, andere Menschen zu treffen. Ich möchte ohne Infektionsgefahr leben und arbeiten, und ich möchte zurück in eine Zeit ohne Shutdowns. Impfung und Hygieneregeln gehen dabei Hand in Hand.“