Michelle Breuer hilft als Psychologin der Caritas Kindern und Familien. Die Pandemie bringt für ihre Arbeits im Haus der kirchlichen Dienste neue Herausforderungen. Wie sind sie zu meistern?
„Seit zwei Jahren arbeite ich als Psychologin in der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern des Caritasverbandes Lichtenfels. Wir beraten und unterstützen Familien in unserem Landkreis in allen Fragen, die im Familienalltag aufkommen können.
Was fällt mir als Erstes ein, wenn ich über meine Arbeit in Zeiten von Corona nachdenke? Ich bemerke, wie froh viele Familien sind, dass wir in diesen Zeiten für sie da sind und Beratungen anbieten können. Auch ich bin dankbar, dass ich meiner Arbeit nachgehen kann und dadurch das Gefühl habe, etwas Sinnvolles in diesen schwierigen Zeiten beitragen zu können.
Wir haben unser Angebot im vergangenen Jahr erweitert, um es flexibel an die Pandemielage und die jeweilige Situation der Familien anpassen zu können. Aktuell bieten wir persönliche Beratungen, Video- oder Telefonberatungen an. Viele Familien nehmen das Angebot an, persönlich in die Beratung zu kommen. Ich denke, das liegt daran, dass es im Moment einfach guttut, mal rauszukommen und Kontakt zu anderen Menschen zu haben – wenn auch mit Abstand und Maske.
Trotz Maske eine Nähe herstellen
In der Beratung hat es mich im letzten Jahr überrascht, dass es trotz Maske gut gelingen kann, eine Nähe zwischen Klient und Berater herzustellen. Natürlich ist es ungewohnt, sich in der Beratung nicht wie sonst an der Mimik des Gegenübers orientieren zu können. Das ist sicher für mich genauso schwierig wie für die Klienten. Aber ich habe gemerkt, dass man auch an den Augen manches ablesen kann. Und ich begrüße die Familien meist zu Beginn der Beratung am Eingang und nehme dabei meine Maske kurz ab (natürlich mit Abstand).
Mir hat es auch geholfen, mit den Eltern und Kindern über die Hygieneregeln zu sprechen – sie zu fragen, wie es ihnen damit geht. Bisher waren alle Familien sehr verständnisvoll, und daher war es gut möglich, unser Hygienekonzept umzusetzen.
In der Telefon- oder Videoberatung ist es ähnlich: Auch hier bekomme ich von meinem Gegenüber weniger mit als im persönlichen Kontakt und musste mich zunächst darauf einstellen. Oft bin ich beeindruckt, wie selbstverständlich Kinder und Jugendliche mit der Videoberatung umgehen. Für sie ist die digitale Kommunikation schon Alltag und auch was die Technik angeht sind sie manchmal fitter als ich.
Dies ist für mich ein positiver Aspekt: So erzählen mir viele Kinder stolz, dass sie den Online-Unterricht und die damit verbundene Organisation anders als im ersten Lockdown nun gut schaffen. Auch die Eltern sind dann beeindruckt, was die Kleinen sich angeeignet haben. Kinder und Jugendliche brauchen in ihrer Entwicklung Situationen, in denen sie ein Gefühl von Selbstwirksamkeit erleben können. Selbstwirksamkeit bedeutet, das Vertrauen zu haben, auch schwierige Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich meistern zu können.
Konflikte und Spannungen nehmen zu
In den letzten Wochen habe ich in den Beratungen jedoch gemerkt, dass Konflikte und Spannungen in den Familien zunehmen. Die vielen Wochen Homeschooling zerren an den Kräften von Kindern und Eltern. Die Belastungen in unserem Alltag haben in den meisten Familien durch Corona zugenommen. Gleichzeitig sind viele Dinge, die uns guttun oder die einen Ausgleich schaffen, weggefallen: Der Besuch im Fitnessstudio oder im Schwimmbad, der entspannte Tag in der Therme, der Urlaub, den man schon lange geplant hatte oder das gemeinsame Singen im Chor.

Zum Teil kommt es aufgrund dieser Spannungen zu Gewalt in den Familien. Das ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Gewalt hinterlässt tiefe seelische Spuren, die die betroffenen Kinder bis in ihr Erwachsenenleben hinein begleiten. Kinder haben ein Recht darauf, ohne Gewalt aufzuwachsen. Ich wünsche mir, dass mehr Familien den Mut finden, sich in so einer Situation Unterstützung zu suchen. Ich weiß, dass mit dem Thema Gewalt oft Ängste und Scham verbunden sind. Aus Erfahrung kann ich jedoch sagen: In der Beratung können auch in solch schwierigen Situationen Lösungen gefunden werden. Gewalt ist oft Ausdruck von Unsicherheit, Überforderung oder Hilflosigkeit. In der Beratung überlegen wir gemeinsam mit den Eltern, wie sie mit diesen Gefühlen anders umgehen können. So kann es z.B. schon helfen, eine angespannte Situation zu verlassen, bevor sie eskaliert.
Hilfreiches für Familien Zeitinseln schaffen: Es strengt an, wenn sich die Erledigung der Aufgaben über den ganzen Tag verteilt und nie „Feierabend“ ist. Legen Sie eine Zeit am Nachmittag fest, ab der die Freizeit beginnt – auch wenn nicht alle Aufgaben fertig sind. Zum Teil berichten uns Eltern, dass sie bis spät in den Abend mit den Kindern an Aufgaben sitzen. Gerade im Grundschulalter ist das für die Kinder zu viel! Suchen Sie in solchen Fällen das Gespräch mit der Lehrkraft und überlegen, wie die Situation verbessert werden kann. Nehmen Sie das Angebot der Notbetreuung in Anspruch, wenn es zu Hause nicht mehr geht. Für sich sorgen: Welche Momente am Tag geben Ihnen Kraft? Oft machen schon kleine Rituale einen spürbaren Unterschied: Am Morgen in Ruhe Kaffee zu trinken, zwischendurch einen kurzen Spaziergang zu machen oder abends ein Bad zu nehmen. Versuchen Sie, mehrere dieser kleinen Entspannungsmomente über den Tag zu verteilen. Das ist effektiver, als die Entspannung auf den Abend zu verschieben, wenn alles andere erledigt ist. Fachlichen Rat in Anspruch nehmen: Suchen Sie sich Unterstützung, wenn die Situation sich zuspitzt, es zu Gewalt kommt oder Ihre Kinder Auffälligkeiten zeigen (zum Beispiel Aggressionen, sozialer Rückzug, Ängste). Als Ansprechpartner sind Beratungsstellen, der Schulpsychologische Dienst, die Jugendsozialarbeit an den Schulen (JAS) und Praxen für Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie bzw. Psychiatrie für Sie da. Kontakt: Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern, Schlossberg 2, 96215 Lichtenfels, Tel. (09571) 939190.