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COBURG: Landestheater Coburg: Drama zwischen Wollen und Haben

COBURG

Landestheater Coburg: Drama zwischen Wollen und Haben

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    Einblicke gibt der Schauspieldramaturg Fabian Appelshäuser vom Landestheater Coburg.
    Einblicke gibt der Schauspieldramaturg Fabian Appelshäuser vom Landestheater Coburg. Foto: Annemone Taake

    Drei Generalproben in drei Wochen und kein Premierenapplaus, um zu beglaubigen, dass die Probenzeit ein verdientes und würdiges Ende gefunden hat. Ein Blick auf die vergangenen Monate und ihre Bedeutung für Theaterschaffende, auf lose Enden und offene Fragen gibt der Schauspieldramaturg Fabian Appelshäuser vom Landestheater Coburg

    Aushalten

    „Den Zustand noch etwas länger aushalten, ist seit Monaten das Mantra. Man hält mal besser oder schlechter aus, aber man hält aus, weil alle aushalten.

    Ich bin Theaterschaffender. Ich liefere durch meine künstlerische Arbeit einen Anknüpfungspunkt an die Realität, einen Beitrag zu einer Debatte oder eine anderthalbstündige Flucht aus dem Alltag. Vielleicht treffender: Ich lieferte und weiß nicht, wann ich wieder liefern darf. Das muss ich jetzt aushalten. Zuletzt habe ich drei Generalproben gesehen, denen keine Premiere folgte. Ich habe mich an viel gewöhnt in den letzten Monaten, an diese losen Enden nicht.

    Was das Aushalten angeht, könnte ich mir von Mrs. Errol aus unserem Weihnachtsmärchen „Der kleine Lord“ noch einiges abgucken. Wie ein Mensch es aushalten kann, sein eigenes Kind in die Obhut von jemandem zu geben, den man verachtet und der einen umgekehrt genauso verachtet, nur, weil man sich für sein Kind das Beste wünscht, wird mir, trotz Happy End, ein Rätsel bleiben.

    Festhalten

    In „ichglaubeaneineneinzigengott.Hass“ bin ich drei Frauen begegnet, die im Chaos der Realität an ihren Überzeugungen festhalten. Eden Golan, die jüdische Historikerin, klammert sich an ihren Intellekt, Shirin Akras, eine palästinensische Studentin, macht eine religiöse Radikalisierung durch und Mina Wilkinson, eine amerikanische Soldatin, trägt ihre Gleichgültigkeit als Schutzwall gegen die Uneindeutigkeit von richtig und falsch vor sich her.

    Wenige Tage vor den Endproben erreichten uns die Nachrichten von den neuerlichen Anschlägen in Paris. Es wäre uns wichtig, als Kulturbetrieb dazu etwas aussagen zu können. Es wäre wichtig, dass es einen Blick auf den Terror gibt, der nicht journalistisch oder ideologisch ist. Wenn diese Auseinandersetzung in der theatralen Einheit von Zeit und Raum stattfindet, erhält sie darüber hinaus etwas Sinnstiftendes, weil sie zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis wird. Gemeinschaftliche Erlebnisse lässt unsere banale Realität zurzeit nicht zu. Dem Schutz unserer Gesundheit viele bisherige Selbstverständlichkeiten unterzuordnen, ist eine gesellschaftliche Herkulesaufgabe, deren Sinn den Theatermacher*innen einleuchtet. Nicht umsonst haben die Leiter*innen verschiedener Häuser eigenständig beschlossen, ihren Vorstellungsbetrieb bis Ende Februar oder sogar bis Ende März ruhen zu lassen, um die auf der Bühne oft verhandelte Verantwortung füreinander wahrzunehmen.

    Durchhalten

    Davon unberührt bleibt der Drang sich mitzuteilen. Theaterschaffende wollen sich zeigen, sie wollen erzählen, sie wollen in ihrer Stadt sichtbar sein und vorkommen. Man kann den Vorstellungsbetrieb stoppen, den Spieltrieb von Künstlern nicht. Sie finden Wege, die an den Rändern verlaufen, die hinter eigentlich verschlossenen Türen liegen und zur Not graben sie einen Tunnel.

    „Digitalität und Theater“ war bisher ein mit viel Aufwand verbundenes Konzept, bei dem es oft um Perfektion, erzählerischen Mehrwert und innovative Formate ging. Als im März in der ganzen Republik der Vorhang auf unbestimmte Zeit gefallen ist, haben die Theaterschaffenden direkt mit dem Tunnelbau in die Digitalität begonnen. Es ist wieder geboten miteinander durchzuhalten. Bis zur nächsten Öffnung, bis zum nächsten Lockdown.

    Zurückhalten

    Normalerweise gilt Zurückhaltung als feiner Charakterzug. Die Pandemie hat Zurückhaltung zum kategorischen Imperativ gemacht. Ein zurückhaltender Umgang miteinander zeugt von Rücksicht, von Umsicht und Verantwortungsbewusstsein. In Anbetracht dessen, dass es keine nachverfolgbare Ansteckung bei einer Theaterveranstaltung gab, wäre ein reflexhaftes und lautes Aufbegehren gegen die neuerlichen Veranstaltungsabsagen vielleicht sogar nachvollziehbar. Bezeichnet man die Hygienekonzepte der Theaterhäuser als „ausgeklügelt“ untertreibt man damit veritabel.

    Doch sie reichen nicht aus, wenn das pandemische Geschehen mehrere tausend Neuinfektionen pro Tag dagegensetzt. So groß der Drang im ersten Moment gewesen sein mag und so nachvollziehbar er erscheint, Kulturschaffende rennen nicht auf die Straße und polemisieren. Sie suchen nach künstlerischen, nach angemessenen Möglichkeiten sich auszudrücken. Deswegen strahlen seit November die Theaterhäuser rot und unter dem Hashtag „#ohneunswirdsstill“ sind die sozialen Medien voll mit stillem Protest. Theaterschaffende suchen eben an den Rändern mit dem Blick für die Nischen und Zwischenräume, aus denen heraus die Argumentation oft stärker und eindrucksvoller ist, als durch ein polemisches Demonstrieren von Unmut. Von dieser spitzfindigen Zurückhaltung ist eine weitere Frau, die mir in letzter Zeit begegnet ist, weit entfernt.

    Katja Jessen, die Protagonistin in „Aus dem Nichts“, verliert bei einer Explosion ihren Sohn und ihren Mann und rennt in der tiefsten Überzeugung die Täter zu kennen wieder und wieder gegen Wände, kämpft gegen die Täter-Opfer-Umkehr an. In diesem Kammerspiel von Armin Petra, nach dem Film von Fatih Akin werden uns die Grenzen von Wahrnehmung und Wahrheit aufgezeigt. Auch dieses Plädoyer für die Zurückhaltung der eigenen Vorverurteilung, ob aus Erfahrung oder ankonditionierten Klischees, harrt seiner Premiere.

    Zusammenhalten

    Das Prinzip der Solidarität ist der Grundstein unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Es überträgt die Entscheidungen, die wir im privaten für und mit Menschen treffen, die uns nahestehen, auf den übergeordneten Zusammenhang und auf Menschen, denen wir emotional nicht nahe sind, die wir wahrscheinlich gar nicht kennen. Ein staatstragender Apell oder gar eine Mahnung an Sie würde mir unglaublich deplatziert vorkommen. Ich möchte mich stattdessen bedanken, dass Sie untereinander und mit uns zusammenhalten. Ein Blick auf die Klickzahlen unseres Online-Angebots „LTC@home“ zeigt uns, dass der Vorhang zwar zu und alle Fragen derzeit offenbleiben. Aber Sie vergessen uns nicht. Dankeschön.“

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