Ein zweijähriges Kind, das normalerweise keine fünf Minuten still sitzen mag, will sich kaum noch bewegen, isst fast nichts, ist apathisch. Das Fieberthermometer zeigt 40 Grad an, drei, vier Tage hintereinander. Die Eltern machen sich große Sorgen. Einen Termin bei ihrer Kinderärztin aber bekommen sie nicht: Die pädiatrische Praxis im Medizinischen Versorgungszentrum in Lichtenfels ist wegen Krankheit geschlossen.
Eine Vertretung gibt es nicht. Stattdessen werden sie ans Krankenhaus in Coburg verwiesen. „Aber dorthin soll man ja nur, wenn es lebensbedrohlich ist. Die sind ja auch überlastet“, sagt Martin Sohn, der Großvater des Kindes. Deswegen hätten sie abgewartet; er habe sich bemüht, seine Tochter zu beruhigen.
Sven Bergmann hat Vergleichbares erlebt. Sein Kind ist immerhin schon neun Jahre alt. Trotzdem sind mehrere Tage mit 40 Grad Fieber und ohne erreichbaren Kinderarzt beunruhigend für die Eltern. Letztlich hat der Hausarzt seiner Frau sich den kleinen Patienten angeschaut.
Ab Mai geschlossen
Die paar Tage im Februar, an denen Kinderärztin Ana Elena Dumitrescu ausgefallen ist, boten einen Vorgeschmack auf das, was auf Eltern in Lichtenfels in zwei Monaten zukommt: Ab Mai hat die Pädiatrie im MVZ komplett geschlossen. Dumitrescu will zurück in ihre Heimat Rumänien, erklärt Regiomed-Pressesprecher Henrik Rutenbeck.
Dabei war die Lage auch bisher schon problematisch. Im MVZ gibt es eigentlich 1,5 Kinderarztsitze, aber die erste Ärztin ist im Mai 2023 gegangen. Auf Facebook tauschen sich Eltern aus, die schon seit Monaten auf der Suche sind.
„Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist gesunken.“
Dr. Christian Hartnik, Kinderarzt
Auch Martin Sohn hat miterlebt, was das konkret bedeutet. „Meine Tochter hat bestimmt 30 Ärzte angerufen, bis nach Bamberg und Coburg hat sie telefoniert: Alle haben Aufnahmestopp.“ Sie habe jetzt mit Müh und Not einen Arzt gefunden, bei dem sie vor langer Zeit mal vertretungsweise war. Die Familie Bergmann ist noch auf der Suche. Die Ärztegemeinschaft in Bad Staffelstein habe ihn auf Sommer vertröstet, sagt Sven Bergmann. In Küps, wo eine Ärztin praktiziert, die früher in Lichtenfels gearbeitet hat, würden nur noch Kinder aus dem Ort aufgenommen.
„Wir wissen um die schwierige Situation mit nur einer weiteren Arztpraxis im Landkreis, die jetzt natürlich überrannt wird und das auch nicht auffangen kann“, sagt Rutenbeck. Das bestätigt Dr. Christian Hartnik, dessen Ärztegemeinschaft mit fünf Kinderärztinnen und -ärzten in Bad Staffelstein und Burgkunstadt insgesamt 3000 Patientinnen und Patienten betreut. Etwa 30 Anrufe gingen hier momentan pro Tag ein, von Eltern, die abgewiesen werden müssen. „Unsere Angestellten müssen sich zum Teil auch übelst beschimpfen lassen“, merkt Dr. Hartnik an.

Seine Praxis habe bereits viele Patienten aufgenommen, als die erste Ärztin vergangenes Jahr im MVZ aufhörte. Der Aufnahmestopp wurde verhängt, als „wir merkten, dass wir der Verantwortung für unsere Patienten nicht gerecht werden können“, erklärt der Mediziner. Schließlich würden hier auch überdurchschnittlich viele Schwerstkranke versorgt. Das koste mehr Zeit.
Runder Tisch zum Thema
Im MVZ wurden bisher etwa 2000 Patienten betreut, sagt Landrat Christian Meißner. Auch er betrachte die aktuelle Entwicklung mit großer Sorge. Meißner kündigt an, dass er demnächst zu einem runden Tisch zum Thema Kinderarztversorgung einladen wird: „Sowohl die stationäre medizinische Versorgung als auch die ambulante ärztliche Versorgung sind für die örtliche Bevölkerung von hoher Wichtigkeit.“ Zurzeit sei Regiomed in Gesprächen mit Ärzten, die die benötigte Fachqualifikation besitzen.
Die Kassenärztliche Vereinigung gibt allerdings vor, dass es sich um einen niedergelassenen und bei ihr registrierten Arzt handeln muss. Und Regiomed kämpft laut Pressesprecher Rutenbeck nicht nur mit dem Fachkräftemangel, sondern auch mit dem Problem, dass sich viele nicht mehr niederlassen wollen.
„Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist gesunken“, sagt auch Dr. Hartnik. Überbordende Bürokratie, aber auch die Budgetierung hielten Interessierte ab: Wenn ein Arzt etwas falsch verordne, verlange die Krankenkasse schnell mal ein paar 100.000 Euro Regresskosten. Dazu komme, dass inzwischen mehr Frauen als Männer Medizin studieren. „Das ist auch gut so, sie sind auch in der Schule besser“, merkt der Facharzt an. Aber: Er selbst sitze öfter bis spät nachts am Schreibtisch. Solche Arbeitszeiten lassen sich mit der Lebensplanung junger Frauen schwer in Einklang bringen.
Für eine langfristige Lösung
Im Medizinischen Versorgungszentrum wären Mediziner bei Regiomed angestellt. Aber die Insolvenz von Regiomed hat zur Folge, dass Interessierte auch auf einzelne Arztsitze bieten können, erklärt CSU-Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner. „Es wird sich zeigen, wer Interesse bekundet hat am Kinderarztsitz. Wer den Zuschlag final erhält, entscheidet dann der Gläubigerausschuss.“ Die Entscheidung falle Mitte März. Natürlich, sagt die Abgeordnete, wäre es auch in Ordnung, wenn eine angestellte Ärztin die Praxis übernimmt. Oder dass jemand den Arztsitz dazukauft und betreibt.
Aber für sie wäre es der Idealfall, wenn ein niedergelassener Arzt die Praxis führt, vielleicht auch als Ärztegemeinschaft, aber eigenständig, aus dem MVZ herausgelöst. Schon allein, um eine langfristige Lösung zu haben. Außerdem würde dies den Austausch und die gegenseitige Vertretung mit der Ärztegemeinschaft in Bad Staffelstein erleichtern.
Zeulner verweist auch auf den Medizinischen Campus, der in Bayreuth aufgebaut wird. Erster Schwerpunkt werde hier Allgemeinmedizin sein, im zweiten Schritt müsse ein Lehrstuhl für Pädiatrie eingerichtet werden. Das werde auch für Lichtenfels hilfreich sein: „Wo ausgebildet wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Leute in der Region hängen bleiben.“ Ziel sei es, analog zur bereits bestehenden Landarztquote eine Kinderarztquote einzuführen.
„Wo ausgebildet wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Leute in der Region hängen bleiben.“
Emmi Zeulner, Bundestagsabgeordnete
Solche Weichenstellungen wirken sich erst langfristig aus, gibt Dr. Hartnik zu bedenken: „Ein Studium dauert halt zwölf Semester.“ Aber auch der Arzt selbst müsse sich um den Fortbestand seiner Praxis kümmern. Und da kritisiert der Mediziner Regiomed: Ihm fehlt hier antizipatorisches, also vorausschauendes Denken.
Landrat Meißner erklärt, dass das Thema ärztliche Versorgung bereits im vorigen Jahr im Rahmen einer Arbeitsgruppensitzung in der GesundheitsregionPLUS mit einem Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern diskutiert worden sei. Auch beim Gesundheitsforum am 12. März mit Oliver Legler, Leiter des Kommunalbüros für ärztliche Versorgung am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, sei es auf der Tagesordnung.
„Wir sind aber nicht der einzige Landkreis, der Probleme hat, Fachärzte oder Nachfolger für eine Arztpraxis zu bekommen. Es ist ein strukturelles Problem im ländlichen Raum“, analysiert der Landrat und verweist auf die zahlreichen Baustellen im Gesundheitssystem, von der Klinikreform und der auskömmlichen Finanzierung der Krankenhäuser über die Facharztversorgung bis zum Allgemeinarzt.