Gehörlose müssen zum Verstehen und Verständigen mit anderen von den Lippen lesen oder zumindest sehen. Mund-Nase-Bedeckungen vereiteln dies, weshalb verstärkt die Gebärdensprache, Mimik und Gestik, Stift und Papier – aber vor allem auch Verständnis und Bemühen gefordert sind.
Was in einer Hinsicht hilft, schafft in anderen Belangen neue Probleme: Mund-Nase-Bedeckungen sollen vor dem Covid-19-Virus schützen – auch gehörlose oder schwerhörige Menschen. Diese sind aber nun wieder benachteiligt: „Für Schwerhörige oder Spätertaubte ist das Tragen der Maske sehr schwer, da sie auf das Lippenlesen angewiesen sind und das gesprochene Wort benötigen“, erklärt Regina Fiedler, die selbst taub ist und Mitglied im Gehörlosenverein Lichtenfels/Kronach.
„Für Gehörlose stellt sich diese Situation teils auch als schwierig dar, da zur Gebärdensprache, die ihre Muttersprache ist, auch zum Teil das gesprochene Wort gehört und daher das Lippensehen ein sehr wichtiger Teil ist. Daher versuchen sie, mit Gesten oder Fingerzeigen zu kommunizieren.“ Beim Lippenlesen werde jedes Wort abgelesen und beim Lippensehen nur einige Wörter von den Lippen verstanden, so Fiedler.
Durch Mimik und Gestik, Stift und Papier: Hemmungen abbauen
Christine Jandy, ebenfalls Mitglied im Gehörlosenverein Lichtenfels/Kronach e.V., ist beispielsweise Verwaltungsangestellte und arbeitet bei der Bereitschaftspolizei in Bamberg. Durch die Corona-Krise sieht sie sich mit zweierlei verschiedenen Aspekten konfrontiert: „Erst einmal konnte ich dadurch, während der Zeit zu Hause, die liegen gebliebenen Arbeiten erledigen. Zum anderen waren die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und somit für die Hörgeschädigten ein „großes Loch“, so dass wir umso mehr Videochat machen und das Nötigste besprechen. Die gehörlosen Senioren waren meine große Sorge, nicht alle haben Internet und moderne Smartphones, so dass die Nachrichten und neue Maßnahmen durch Corona nur im Internet mit Einblendung der Gebärdensprachdolmetscher zu sehen waren.“

Die beiden energiegeladenen Frauen und die Mitglieder verzagen nicht
Dennoch verzagen die Mitglieder des Vereins und die beiden energiegeladenen Frauen nicht: Sie sind im Alltag aktiv und gehen offen auf andere zu. Eine wichtige Hilfestellung für sie alle seien Mimik und Gestik. Hier könne sich jeder Gesprächspartner bemühen. Insbesondere der Blickkontakt spiele eine wichtige Rolle, um den Inhalt des Themas besser von den Lippen zu erkennen – denn Gehörlose können nur etwa zehn bis 30 Prozent den Inhalt eines Gespräches durch Lippenablesen verstehen, den Rest muss sich ein Gehörloser selbst dazu denken.
„Wenn es jedoch schwierig wird, greifen wir zu Papier und Stift oder tippen es in das Smartphone, um mit dem Hörenden zu kommunizieren. Dies zeigt sich als Chance für den Hörenden seine Hemmungen abzubauen“
Regina Fiedler, Gehörlosenverein Lichtenfels/Kronach
Doch es geht auch noch „klassisch“: „Wenn es jedoch schwierig wird, greifen wir zu Papier und Stift oder tippen es in das Smartphone, um mit dem Hörenden zu kommunizieren“, so Regina Fiedler. Zusammen mit Gesten und Fingerzeigen eine gute Kombination. „Das funktioniert gut. Dies zeigt sich als Chance für den Hörenden gegenüber dem Gehörlosen seine Hemmungen abzubauen und schließlich mit uns zu kommunizieren. Noch besser wäre es, wenn sie Interesse an der Gebärdensprache zeigen und anfangen sie zu lernen.“
Auch Christine Jandy macht sich beim Einkaufen nicht mit ihrer Stimme verständlich, was sie möchte, sondern mit Gebärden, Gestik und Körpersprache. „Am Arbeitsplatz soll ich einen Mund-Nasen-Schutz tragen, sobald ich das Raum verlasse oder in eine andere Abteilung gehe.“
Manchmal wird Gebärdensprache als „Affensprache“ abgestempelt
Die Gebärdensprache wäre auch hier sinnvoll. Sie ist die Muttersprache der Gehörlosen und ist eine eigenständige Sprache mit einer eigenen Grammatik. Daher können viele Gehörlose nur schwer die deutsche Sprache verstehen. Nur wenige Gehörlose besitzen die Schriftsprachkompetenz. „Manche Hörende stempeln die Gebärdensprache als sogenannte ,Affensprache“ ab und halten uns Gehörlose für geistig behinderte Menschen. Das ist nicht der Fall“, bemerkt Regina Fiedler, die die Sprache unter anderem an der Volkshochschule Lichtenfels lehrt.
Hohe Hürden im Alltag bestehen weiterhin
Immer noch beherrschen noch zu wenige Menschen diese besondere Sprache – sowohl auf privater als auch auf öffentlicher Ebene: Eine Ausnahme stelle der Arztbesuch und der Besuch bei bestimmten Ämtern (Arbeitsagentur) oder aber auch der Elternabend (öffentlichen Bereichen) dar. Hier werden die Dolmetscher-Kosten vom Sozialträger übernommen. Im privaten Bereich (zum Beispiel beim Rechtsanwalt oder beim Autokauf) müssen die Gehörlosen leider die Dolmetscher-Kosten aus der eigenen Tasche bezahlen.
Ausnahmegenehmigung: Maske darf in Sonderfällen abgenommen werden
In Sonderfällen gebe es zumindest heute eine Ausnahmegenehmigung seitens des Gesundheitsministeriums, dass Gehörlose für ein Gespräch oder für die kurzfristige Kommunikation die Maske abnehmen dürfen, jedoch muss der Abstand von 1,5 Meter gewährleistet sein.
Was dem Verein in diesen Zeiten ebenfalls Sorge bereitet, sind die ausgesetzten Treffen und die damit verbundene Informationswiedergabe: Im Gehörlosenverein Lichtenfels gibt es derzeit 50 Mitglieder. Zurzeit finden aufgrund der Corona-Situation keine Treffen statt. Normalerweise werden verschiedene Programme angeboten, an denen die Gehörlosen teilnehmen können. Besonders bei Senioren, die oft wichtige Informationen aufgrund der fehlenden Technik, wie etwa Handy nicht bekommen oder aber auch nicht richtig verstehen, werden diese Treffen zum Austausch rege genutzt. Gleichzeitig werden auch Vorträge angeboten, die Gehörlose in der Öffentlichkeit nicht besuchen können, da viele interessante und wichtige Vorträge nicht durch einen Gebärdensprach-Dolmetscher übersetzt werden. Die Teilnahme wird dadurch oft dem Gehörlosen verwehrt. Noch dazu ist die Kostenübernahme eines Dolmetschers heute noch sehr schwierig und oft nicht selbstverständlich.

Sie wünschen sich mehr Gebärdensprache in Öffentlichkeit
Die Wünsche von Regina Fiedler sind deshalb klar und deutlich: „Ich wünsche mir mehr Dolmetscher-Einblendungen im Fernsehen. Untertitel sind auch völlig in Ordnung. Aber wenn sie nicht so gut lesen können, wäre die Dolmetscher-Einblendungen ein großer Vorteil.“
Ebenso plädiert sie für die Gehörlosen für einen besseren Zugang zu den Behörden. Das zeichne sich so aus, dass zum Beispiel ein Mitarbeiter Gebärdensprachen–Kompetenz besitze oder sich eine Möglichkeit zeige, eine Kommunikation ohne Umwege durchzuführen. Dabei sei diese Sprache universal: „Lerne die Gebärdensprache, denn in jeder Stadt wird die Gebärdensprache benötigt, wie die Fremdsprache im Ausland. Denn dann ist eine Kommunikation auf Augenhöhe möglich trotz Handicap.“
Ganz wichtig wäre außerdem mehr Teilhabe in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in Form von Vorträgen, die durch einen Dolmetscher für Gehörlose übersetzt werden. Im privaten Bereich sollte die Kostenübernahme der Dolmetscher ohne große Bürokratie erfolgen. Sie schließt mit einem Herzenswunsch: „Die Hörenden sollen offen mit Gehörlosen umgehen und versuchen mit Gesten und Mimik zu kommunizieren. Das wäre sehr schön, und wir Gehörlosen freuen sich sehr um eine Kontaktaufnahme.“
Laut Deutschem Gehörlosenbund e.V. In der Bundesrepublik Deutschland leben ca. 80.000 Gehörlose. Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes gibt es ca. 16 Millionen Schwerhörige. Ca. 140.000 davon haben einen Grad der Behinderung von mehr als 70 % und sind auf Gebärdensprach-Dolmetscher angewiesen.
Zahlen Laut Deutschem Gehörlosenbund e.V. leben in der Bundesrepublik Deutschland zirka 80 000 Gehörlose. Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes gibt es rund 16 Millionen Schwerhörige, etwa 140 000 davon haben einen Grad der Behinderung von mehr als 70 Prozent und sind auf Gebärdensprach-Dolmetscher angewiesen.