Ein Ahornbaum hat einen goldbraunen Blätterteppich im Bereich der Kronacher Straße 21 gelegt. Menschen eilen hier entlang, auf dem Weg zur Schule, zum Amtsgericht, zum Finanzamt, zum Anwalt. Es raschelt, wenn sie über das Herbstlaub gehen. Die Stolpersteine, die diesen Ort als einen schicksalsvollen ausweisen, sind unter den Blättern verborgen. Es scheint fast so, als ob auch der Herbst den Mantel des Schweigens über das „Sonnenhaus“ gelegt hat, denn um die frühere Vill a Bamberg ist es insgesamt in den vergangenen Monaten still geworden. Nun gibt es Gerüchte über einen Verkauf.
Seit dem Jahr 2019 ist die Stadt Lichtenfels Eigentümerin des Hauses, das für das Architekt August Berger 1913 verantwortlich zeichnete und damit einer der der wichtigsten Vertreter des späten Jugendstils in Oberfranken. Auftraggeber war der Lichtenfelser Kaufmann Otto Bamberger. Der Kunstsammler und seine Familie bewohnten die Villa bis 1933, bis zum Tod des Hausherrn. Der Bau erfolgte im Jahr 1914.
Als Juden um ihr Leben fürchteten
Die Bamberger waren jüdischen Glaubens, SPD-Mitglied Otto Bamberger starb im Alter von 48 Jahren in Baden-Baden, als er während eines geschäftlichen Aufenthalts in Frankfurt am Main von der SA in „Schutzhaft“ genommen und verhört worden war. Das war 1933, im Jahr der Machtergreifung Hitlers. Seine Witwe Henriette und ihr Sohn Klaus flüchteten vor dem Terror-Regime in die Vereinigten Staaten: In der Kronacher Straße, die bald Adolf-Hitler-Straße heißen sollte, waren sie nicht mehr sicher. In einer zu Ehren des „Führers“ gewidmete Straße sollten sowieso keine Juden mehr leben.

Die Villa ist also ein besonderer Ort. Ein Ort, der seit Jahren ohne Leben ist. „Die Stadt Lichtenfels macht sich bereits seit dem Erwerb im Jahr 2019 Gedanken über eine gute Nutzung des Gebäudes Kronacher Straße 21“, bekräftigt Pressesprecher Sebastian Müller auf Nachfrage dieser Redaktion. Und doch gibt es dieser Tage vermehrt Gerüchte, dass die Stadt Lichtenfels das „Sonnenhaus“ wieder loswerden möchte. Denn: „Die ursprünglich angedachte Nutzungsmöglichkeit für Kinderbetreuung musste leider aufgrund von unverhältnismäßig hohen Umbau- und Sanierungskosten verworfen werden“, so Müller. „Die Konzeption für die weitere Gebäudenutzung gestaltete sich im Folgenden leider schwierig, da die Gebäudehülle und auch die begrenzten finanziellen Ressourcen der Stadt Lichtenfels den Rahmen für die zukünftige Nutzung vorgeben.“
Gesucht: eine Konzeption
Dennoch laufe laut städtischem Pressesprecher die Konzeption, insbesondere auch unter Einbeziehung der städtischen Gremien, in verschiedene Richtungen weiter. Feststehende Ergebnisse gibt es derzeit allerdings noch nicht. Ist also an den Mutmaßungen, die Stadt suche einen Käufer, nichts dran? Werde nicht verkauft, wenn sich ein Interessent finde? „All diese Entscheidungen obliegen dem Stadtrat und seinen Gremien“, antwortet Sebastian Müller. „Eine endgültige Entscheidung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht getroffen.“ Ein klares Dementi klingt anders.

Dabei ist die Villa Bamberger ein wichtiger Mosaikstein in der Erinnerungskultur an das frühere jüdische Leben in der Deutschen Korbstadt und auch an die Schrecken der NS-Diktatur, an Kriegswirren und Leid. Im Keller des „Sonnenhauses“ scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: Eine wuchtige Eisentür inmitten der hellgrünen Kacheln im Souterrain führt in einen kleinen, gekachelten, fensterlosen Raum. Der Betrachter steht vor einer weiteren massigen Metalltür: Es ist eine Gasschleuse. Erst dann geht es in den Hauptraum des Luftschutzkellers. Die langgezogenen, nach oben hin bogige Zwillingsfenster mit ihrem stabilen Metallrahmen lassen sich mit massiven Metallplatten verriegeln. Bauliche Zeitzeugnisse, wie es sie nicht mehr viele gibt.
Dazu die Geschichte einer Familie, die vor der unbarmherzigen Todesmaschinerie flüchten musste - und deren Hausherr Hitlers Schergen nicht überlebte. „Die Stadt Lichtenfels, insbesondere unsere Stadtarchivarin Christine Wittenbauer, zusammen mit Manfred Brösamle-Lambrecht und weiteren Akteuren, steht seit Jahren in Kontakt und engem Austausch mit Nachfahren ermordeter, deportierter und vertriebener jüdischer Lichtenfelser Bürgerinnen und Bürger, darunter auch Nachfahren der Familie Bamberger“, betont Pressesprecher Sebastian Müller. „In den vergangenen Jahren waren bereits viele Nachfahren zu Besuch in Lichtenfels.“

Am 5. November werden weitere Stolpersteine zum Andenken an ermordete, deportierte und vertriebene jüdische Bürger in Lichtenfels verlegt. „Anlässlich dieser Stolpersteinverlegung kommen wieder zahlreiche Nachfahren der Familie Bamberger sowie Nachfahren der Familie Marx nach Lichtenfels“, erläutert Müller. „Von Seiten der Familie Bamberger ist dies ein einzigartiges Treffen, denn es kommen über 30 Nachfahren beziehungsweise Familienmitglieder nach Lichtenfels, worüber sich alle Beteiligten sehr freuen.“ Bei diesem Besuch werde natürlich auch die Villa in der Kronacher Straße 21 besichtigt. „Darüber hinaus ist – wie immer – ein umfangreiches Programm mit den Nachfahren geplant.“
