Es war einmal ein alter Eichenschrank. Nicht mehr besonders ansehnlich, aber ein Erinnerungsstück. Er frönte ein eher farbloses und einsames Dasein. Bis zu dem Tag, an dem sich alles ändern sollte. Der Tag, an dem er wieder voll Leben sprühen, seine Umgebung mit kräftiger Farbgewalt beeindrucken und Gesellschaft bekommen würde. Von Kommoden, Nachtkästchen und Regalen, die ebenfalls ein zweites, buntes Leben erhalten hatten. Und es sollten immer mehr werden. So viele, dass die Besitzerin all dieser neugeborenen Möbelstücke den Entschluss fasste, ihnen eine neue Heimat in der Innenstadt von Lichtenfels zu schenken.
„Wina Kunterbunt“ als neue Heimat

Diese neue Heimat nennt sich „Wina Kunterbunt“ und ist das Upcycling-Atelier von Sabine Rauh. Vormals in der Bamberger Straße angesiedelt, hat die Kreativwerkstatt vor zwei Wochen ihre Türen im Schneidmühlweg in Lichtenfels geöffnet. Dort steht nun ausreichend Platz zur Verfügung, um die Fülle an Möbeln und Gebrauchsgegenständen in gebührender Weise präsentieren zu können. Die ausgestellten Objekte haben alle etwas gemeinsam: Ohne Sabine Rauh wären sie entweder auf dem Sperrmüll gelandet oder würden in einem dunklen Keller in Vergessenheit geraten. Sie wurden von ihr „upgecycled“, also im Zuge eines kreativen Prozesses wieder aufgewertet.
Upcycling: Ökologie und Kreativität vereint
„Die Idee des Upcyclings hat sich bei mir erst nach und nach entwickelt“, erläutert Sabine Rauh. „Ich bin durch einen Zufall in der Altstadt von Passau auf die Möbelmalerei mit Kreidefarben gestoßen und hatte eigentlich zunächst einmal nur geplant, meinen alten Eichenschrank zu verschönern. Daraufhin war ich quasi infiziert und habe gemerkt, wie viel Potenzial dahintersteckt. Und so habe ich mir ein Möbelstück nach dem anderen vom Sperrmüll oder Flohmarkt geholt, wodurch dann schließlich Upcycling daraus geworden ist.“

Das Konzept dahinter ist im Grunde nicht so neu wie es der aktuelle Trend vermuten lässt. Upcycling ist bereits seit über 30 Jahren weltweit bekannt. Doch gerade in den letzten Jahren schwappt das Prinzip des „Müll-Aufwertens“ zunehmend aus den USA nach Deutschland hinüber. Die sozialen Medien befeuern die Entwicklung und ermöglichen es nicht nur, sich zu kreativen Techniken auszutauschen. Auch der Erwerb von alten Gegenständen wird vereinfacht, wie Sabine Rauh erklärt: „Ich bekomme zwar viele Möbel geschenkt, also bevor sie auf dem Sperrmüll landen, aber sehr häufig werde ich bei ebay Kleinanzeigen oder Facebook Marketplace fündig, wo ich schon viele tolle Sachen erworben habe.“
„Es wäre toll, wenn ich meine Leidenschaft mit anderen Menschen teilen und meine bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse teilen könnte.“
Sabine Rauh
Bei einem Rundgang durch die Räumlichkeiten des neuen Ateliers unweit des Fachmarktzentrums wird schnell klar, dass neben Möbeln allerlei weitere Alltagsgegenstände „wiedergeboren“ werden können. Aus alten Konservendosen etwa lassen sich stilvolle Aufbewahrungsbehälter machen. Ebenfalls aufgewertet werden können alte Bilderrahmen, Kleiderbügel oder auch Koffer. Möglich macht dies die Verwendung sogenannter Kreidefarbe, von der die Upcycling-Künstlerin vollauf begeistert ist.

„Kreidefarbe gibt es schon sehr lange. Sie besteht aus rein natürlichen Bestandteilen und Pigmenten, weshalb sie sich auch unbedenklich für Kinderspielzeug und -möbel verwenden lässt“, erklärt Sabine Rauh. „Der besondere Vorteil aber daran ist, dass ich sie einfach verarbeiten kann. Im Grunde kann ich jede Oberfläche damit streichen. Holzgegenstände müssen weder gebeizt noch abgeschliffen werden. Was jedoch außerordentlich wichtig ist: eine gründliche Reinigung der Gegenstände, damit die Farbe auch hält.“
Kreativität lässt sich trainieren
Auf die Frage, woher sie ihre Ideen und Inspiration erhält, antwortet die Lichtenfelserin ganz nüchtern, dass sie sich selbst eigentlich nie als kreativen Menschen betrachtet hat. „Meine Kinder haben sich schon gewundert und gesagt, dass ich doch früher nie mit ihnen gemalt habe“, verrät sie mit einem Augenzwinkern. Anfangs habe sie sich viele Impulse aus dem Internet, insbesondere bei Plattformen wie Pinterest und Youtube geholt. „Je länger ich es mache, desto mehr Ideen entwickle ich selbst. Ich sehe ein Möbelstück und weiß sofort, wie es einmal aussehen soll. Ich habe mal gehört, dass Kreativität wie ein Muskel ist, der sich trainieren lässt, und ich muss sagen, dass das auch wirklich stimmt.“
Ihr neues Atelier jedenfalls bietet ihr ausreichend Raum, sich künstlerisch auszuleben. Um ihrer Leidenschaft noch intensiver nachgehen zu können, hat sie Ihre Arbeitszeit als Altenpflegerin reduziert und kann somit an drei Tagen – jeweils von Donnerstag bis Samstag – feste Öffnungszeiten bieten. So haben zum Beispiel auch Interessierte die Gelegenheit, sie für Auftragsarbeiten persönlich zu kontaktieren. Eine hohe Nachfrage gebe es außerdem für Kurse: „Wenn alles gut geht, möchte ich hier spätestens im Sommer Möbelmalkurse und eine eigene Kreidefarben-Linie sowie Pinsel anbieten. Das ist gerade alles noch in Planung, aber es wäre toll, wenn ich meine Leidenschaft mit anderen Menschen teilen und meine bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse teilen könnte.“
Einen Video-Rundgang durch das neue Upcycling-Atelier gibt es auf dem Instagram-Kanal der Obermain Stories sowie unter www.obermain-stories.de