Es ist schon etwas Besonderes, wenn jemand für eine langjährige Mitgliedschaft geehrt wird. Und wenn die Anzahl der zu Ehrenden 109 beträgt, dann zeugt das von einer Solidargemeinschaft, die seinesgleichen sucht.
Am Samstag haben sich rund 30 der zu ehrenden Mitglieder im Karolinenhof zu einer Feierstunde der IG Bau eingefunden, bei der viele Erinnerungen wach wurden und man durchaus Analogien zur allgemeinen Geschichte Deutschlands ziehen konnte. Geehrt wurden Mitglieder aus allen Branchen der IG Bau, angefangen vom Baugewerbe über die Gebäudereinigung bis hin zur Forst- und Landwirtschaft. Im Mittelpunkt stand dabei Rudolf Gregor, der seit 75 Jahren Mitglied der Gewerkschaft ist.
Meilensteine
Lena Zimmermann, stellvertretende Regionalleiterin der IG Bau Franken, ließ in ihrem Rückblick noch einmal einige wichtige Meilensteine passieren. „1949. In diesem Jahr erhielt Deutschland das Grundgesetz, der DGB wurde gegründet. Und das ist das Jahr, in dem du, lieber Rudolf, in die Gewerkschaft eingetreten bist.“
In diesen 75 Jahren, so Zimmermann, habe man viele Kämpfe ausgefochten und beachtliche Fortschritte erzielt. „Denken wir an 1954. In diesem Jahr hat man sich zum Ziel gesetzt, die 40-Stunden-Woche zu erreichen. Das ist das Jahr, als wir den 17. Juni als Tag der Deutschen Einheit zum ersten Mal begangen haben in Erinnerung an die Aufstände in der DDR ein Jahr zuvor.“
Oder das Jahr 1959, als die Gewerkschaften erreicht hätten, dass die Arbeitnehmer einen Fonds eingerichtet haben, um die Ausfälle im Winter durch schlechtes Wetter zu kompensieren. „Das war dann bezahlte Freizeit, was dadurch finanziert wurde.“ Im Jahr 1964 sei dies auf die Wald- und Forstarbeiter ausgeweitet worden.
Für jedes Jahr, in dem die zu Ehrenden eingetreten waren, hatte Lena Zimmermann die passenden geschichtlichen und gewerkschaftlichen Ereignisse zusammengetragen. Sei es der Rücktritt von Willy Brandt 1974 nach der Günter Guillaume Spionageaffäre, das Erreichen von zusätzlichen Urlaubsgeldern, dier Verbesserung der Sicherheitsstandards auf den Baustellen oder das Jahr 1999, als man das Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz erreicht habe, während Gerhard Schröder Kanzler worden seie und seine Agenda 2010 durchgesetzt habee. Dies und noch viel mehr ließ Zimmermann Revue passieren.
„All unsere Fortschritte wären durch euch, die ihr uns so lang die Treue gehalten habt, nicht möglich gewesen“, ergänzte sie. „Nur durch unsere Solidargemeinschaft, durch euren Willen und Kampfgeist konnten wir all dies erreichen. Dafür gilt euch unser Dank.“
Warnung vor AfD
Aber Zimmermann warf auch einen kritischen Blick in die Zukunft. „Wir müssen wachsam sein. Die AfD wird immer stärker, aber sie hat für die Arbeiterinnen und Arbeiter nichts zu bieten.“ Im Gegenteil. Die AfD verträte rechtsextreme Positionen, die sich nicht mit der Demokratie vereinbaren ließen. „Wir wollen kämpferisch und antirassistisch sein“, so Zimmermann.
Und es gebe weitere Herausforderungen, die zu bewältigen seinen. „Die Finanzierung der Rente wird immer schwieriger. Vorschläge wie Rente ab 70 als Gegenmittel ist wie ein Schlag ins Gesicht. Wer soll bitte mit fast 70 Jahren noch auf dem Bau oder im Wald arbeiten?“ Daher müsse ein Bürgergeld für alle kommen.
Und die stellvertretende Regionalleiterin hatte eine Bitte. „Gebt eure Erfahrungen an die Jungen weiter. Zeigt ihnen, wie wichtig eine starke Solidargemeinschaft ist. Egal, wo sie herkommen, egal, welche Hautfarbe, Religion, Herkunftsland oder sexuelle Orientierung. Alle sind willkommen.“ Dass sie damit den Nerv der Anwesenden getroffen hatte, zeigte sich im lang anhaltenden Applaus.
Kämpferisch
Uwe Behrendt, stellvertretender Bezirksvorsitzender der IG BAU, hatte sich bereits vorher in seiner Rede kämpferisch gegeben. „Für manche von euch sind Streiks Neuland“, meinte er. „Der letzte große Streik im Baugewerbe war 2002, da war der ein oder andere von euch noch nicht Mitglied.“
Die Tarifergebnisse für dieses Jahr seien jetzt bekannt. Nun gelte es, auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gebäudereinigung einen zufriedenstellen Abschluss zu erzielen. „Wir wollen 16,50 Euro als Mindestlohn, höhere Ausbildungsvergütungen und ein 13. Monatsgehalt. Die Arbeitgeber weisen dies als maßlos und übertrieben zurück, aber ein Angebot haben sie bisher nicht vorgelegt. Wo sind Wertschätzung und Respekt?“, fragte er.
Christian Grebner, Direktor der AOK Coburg, lobte das Engagement und die Solidarität innerhalb der Gewerkschaft. „Solidarität ist ein gewerkschaftlicher Grundgedanke“, so Grebner. „Nur gemeinsam kann man den Herausforderungen begegnen.“ Er ergänzte, dass alles immer teurer werde, auch im Gesundheitswesen, und bat um Verständnis für die höheren Zusatzbeiträge, die man erheben müsse.
Wirksame Reformen
„Uns wachsen die Ausgaben über den Kopf. Aber wir brauchen nicht mehr Geld, sondern Reformen, die wirksam sind, wie die Krankenhausreform.“ Das bedeute nicht die Schließung von Kliniken. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Qualität stimmt. Gute Leistung für gutes Geld.“
Mathias Söllner, Dritter Bürgermeister der Stadt Lichtenfels, stellte klar, dass niemand etwas zu verschenken habe. „Ich bin ja im Grunde genommen auf der Arbeitgeberseite zu finden. Doch genau wie die Arbeitnehmer müssen auch die Unternehmer schauen, wie sie alles finanzieren.“ Und er fügte hinzu: „Es gibt Parteien, welche die Demokratie abschaffen wollen. Dagegen müssen wir uns wehren. Die Gewerkschaften sind ein wichtiger Pfeiler in einer demokratischen Gesellschaft.
Mathias Eckert, Geschäftsführer der DGB-Region Oberfranken, konnte dies nur bestätigen. „Ihr haltet seit Jahren und Jahrzehnten der Gewerkschaft die Treue. Ihr steht damit für die Demokratie ein, dafür kann man euch nur danken.“
Unverzichtbar
Ohne Gewerkschaften, so Eckert weiter, gäbe es keine Demokratie. „Und wenn ich sehe, was wir gemeinsam mit euch allen in 75 Jahren erreicht haben, kann man nur stolz sein. Ohne euch würden die Arbeiterinnen und Arbeiter heute für jeden Cent mehr beim Arbeitgeber betteln gehen. Wir haben einen Fachkräftemangel, hört man überall. Doch zahlen will man nicht. Am liebsten hätte man sie geschenkt und würde den Mindestlohn wieder abschaffen.“
Thomas Reich als Pastoralreferent schloss sich den Dankesworten an. „Was habe ich von Solidarität, hört man überall. Es sind die breiten Schultern, die einen tragen. Solidarität bedeutet stark zu sein durch die Gemeinschaft.“
Bei Kaffee und Kuchen und später einem gemeinsamen Abendessen wurde noch lange diskutiert und Erinnerungen ausgetauscht. Eines war den Geehrten an diesem Tag gemeinsam: Die gelebte Solidarität und der Stolz, Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
IG Bau (Bauen-Agrar-Umwelt) Die IG Bau (Bauen-Agrar-Umwelt) ist mit rund 221.000 Mitgliedern die fünftgrößte Einzelgewerkschaft innerhalb des DGB. Sie entstand 1996 durch die Fusion der IG Bau-Steine-Erden (IG BSE) und der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF). Sie ist für folgende Wirtschafts- und Verwaltungszweige zuständig: Baugewerbe, Baustoffindustrie, Abfallentsorgung und Recycling, Land- und Forstwirtschaft, Gebäudereinigung und -management sowie Umwelt- und Naturschutz. Die IG BSE entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als zunächst Baugewerkschaften nur auf lokaler Ebene zugelassen wurden. Diese schlossen sich nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 27./28. August 1949 zusammen, auf dem Vereinigungsgewerkschaftstag in Karlsruhe entstand so die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden, die auf dem ordentlichen Gewerkschaftstag in Fulda 1951 in Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden umbenannt wurde. Zu ihren größten Erfolgen gehört die Einführung des Schlechtwettergeldes 1959. (red)
Die Geehrten Die anwesenden Geehrten: 75 Jahre: Rudolf Gregor 70 Jahre: Joachim Berg und Karl Spörl 65 Jahre: Carl Eduard Remshardt und Wolfgang Stalf 60 Jahre: Peter Barthelmes, Georg Dörfler, Osler Jahrsdörfer, Sebastian Metzler, Arno Morgenroth, Wolfram Zinke 50 Jahre: Albin Bräuning, Andreas Dauer, Werner Gärtner, Hermann Kothe, Heinrich Sommer, Konrad Ziegler 40 Jahre: Petra Hofmann, Peter Beier, Wolfgang Karl, Franz Kölbl, Karl Heinz Paul, Hermann Josef Schulte 25 Jahre: Roland Harnisch, Daniel Jantschke, Michael Klein, Michael Saalbach