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LICHTENFELS: War der Lichtenfelser Conrad Wagner ein NS-Profiteur?

LICHTENFELS

War der Lichtenfelser Conrad Wagner ein NS-Profiteur?

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    Die Conrad-Wagner-Straße erinnert an den Unternehmer, der 1921 die Striwa-Bekleidungswerke in Lichtenfels gründete.
    Die Conrad-Wagner-Straße erinnert an den Unternehmer, der 1921 die Striwa-Bekleidungswerke in Lichtenfels gründete. Foto: Markus Drossel

    War der Lichtenfelser Unternehmer Conrad Wagner, der 1921 die Striwa-Bekleidungswerke gründete, ein überzeugter Nationalsozialist, der kaltblütig und kaltherzig die menschenverachtende Ideologie des Regimes mittrug und bewusst jüdische Zwangsarbeiter einsetzte, um seinen eigenen Reichtum zu mehren? Dr. Susann Freiburg, Fraktionssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, hat keinen Zweifel daran. Und dennoch wird es auch weiterhin im Herzen der Kreisstadt eine Straße geben, mit der ihm die Stadtverantwortlichen ein ehrendes Gedenken bewahren. Die Entscheidung, ob es eine Umbenennung geben sollte, wurde in der jüngsten Stadtratssitzung vertagt.

    Der Antrag der Grünen vom 3. November 2023 auf Umbenennung der Straße fußte auf einem Artikel aus dem Obermain-Tagblatt, in dem diese Redaktion intensiv zum unternehmerischen Wirken Conrad Wagners geforscht hatte. Auch Freiburg hatte im Vorfeld der Sitzung noch einmal bei verschiedenen Stellen und Experten nachgehakt.

    In vielen NS-Organisationen

    „Der Anklage im Spruchkammerverfahren zufolge war Conrad Wagner Mitglied der NSDAP, förderndes Mitglied der Allgemeinen SS, der NS-Fliegerkorps NSFK und Rottenführer bei den Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps NSKK“, stellte sie heraus. „Er gehörte der Deutschen Arbeitsfront DAF an, dem Verein für das Deutschtum im Ausland VDA, der NS-Volkswohlfahrt NSV.“ Außerdem habe das Unternehmen Striwa am 1. Mai 1938 das „Gau-Diplom für hervorragende Leistungen“ erhalten, für das Wagner sich explizit beworben hatte und bei dem auch die Regimetreue der einzelnen Betriebe abgefragt wurde.

    Die Spruchkammerakte von Conrad Wagner enthält laut Dr. Susann Freiburg Erkenntnisse, dass der Unternehmer vom NS-Terrorregime profitierte.
    Die Spruchkammerakte von Conrad Wagner enthält laut Dr. Susann Freiburg Erkenntnisse, dass der Unternehmer vom NS-Terrorregime profitierte. Foto: Carolin Gißibl

    Ferner gibt es laut Dr. Freiburg überlieferte Zeugenaussagen, „dass Conrad Wagner beim Überfall der Nazi-Schläger auf das Sonnenhaus in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 persönlich mitgewirkt und die Zerstörung gesteuert habe“. Das Gebäude in der Kronacher Straße war bis dato im Besitz der jüdischen Familie Bamberger gewesen. Wagner kaufte das Haus, wohl weit unter Wert.

    Zwangsarbeiter in Zdunska Wola

    Auch Christian Porzelt, Kreisheimatpfleger in Kronach und Mitarbeiter des jüdischen Museums in Augsburg, hat sich mit dem Leben und Wirken Conrad Wagners beschäftigt. „Mehrere wissenschaftliche Publikationen belegen, dass Conrad Wagner, beziehungsweise die Firma Striegel & Wagner Anfang der 1940-er Jahre in der polnischen Stadt Zdunska Wola in der Nähe von Łódź eine Pelzfabrik gründete, um die billigen Arbeitskräfte vor Ort auszunutzen“, sagte Dr. Freiburg und griff damit ein Zitat Shmuel Krakowski aus dem Werk „Das Todeslager Chełmno/Kulmhof: der Beginn der ,Endlösung‘“ auf. Laut der „United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos“ sei „Striegel & Wagner“ der größte Betrieb im Ghetto von Zdunska Wola gewesen, habe rund 2000 jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt.

    „Das Lager war kein Ort wie Lichtenfels, das Ghetto von Zdunska Wola war ein Ort der Verfolgung und Zwangsarbeit“, stellte die Fraktions-Chefin heraus. „Die Striwa ließ in diesem Ghetto Fliegermonturen und Uniformen anfertigen. Die Produktion diente vor allem der deutschen Kriegsmaschinerie.“ Die Akte zum Spruchkammerverfahren gegen Conrad Wagner belege, dass er „mindestens dreimal in Zdunska Wola war. Er war mit der katastrophalen Lage der jüdischen Bevölkerung dort vertraut.“ Bis zu 9000 Menschen seien dort zusammengepfercht worden.

    Auch in Ozorkow hatte die Striwa ein Zweigwerk unterhalten“, sagte Dr. Freiburg und nahm Bezug auf Spruchkammerakte und Yad Vashem Enzyklopädie. „Auch dort gab es ein Ghetto, in dem die Juden Zwangsarbeit leisten mussten für die Textilindustrie.“

    „Er war kein Ehrenmann“

    Für sie also war die Erkenntnis eindeutig: „Conrad Wagner war ein Kriegsgewinnler und nicht der Ehrenmann, nach dem eine Straße in der heutigen Zeit benannt sein sollte.“ Im entsprechenden Antrag der Bündnisgrünen sind bereits Vorschläge zu lesen, wem der Straßenbogen zwischen ehemaliger Post und Bahnhof gewidmet werden könnte: Helene Sievers, die für die SPD von 1922 bis 1929 als erste Frau im Lichtenfelser Stadtrat saß, oder auch Ernestine Reuter, Oberfrankens erster Frauenrechtlerin.

    Die Villa Bamberger in der Kronacher Straße 21: Unternehmer Conrad Wagner kaufte das „Sonnenhaus“, nachdem die jüdischen Vorbesitzer vertrieben worden waren.
    Die Villa Bamberger in der Kronacher Straße 21: Unternehmer Conrad Wagner kaufte das „Sonnenhaus“, nachdem die jüdischen Vorbesitzer vertrieben worden waren. Foto: Markus Drossel

    Die Verwaltung der Stadt Lichtenfels teilt die Eindeutigkeit der Beweislage, wie von Dr. Susann Freiburg an- und ausgeführt, so derzeit nicht, wie Andreas Eberlein, Leiter Städtische Liegenschaften und Einrichtungen, ausführen durfte. Aufgrund des Artikels im Obermain-Tagblatt habe die Stadt Bezirksheimatpfleger Professor Günter Dippold um fachliche Stellungnahme gebeten. Dessen Recherchen aber sind noch nicht abgeschlossen – und so stand in der Sitzungsvorlage: „Aktuell liegen keine eindeutigen Erkenntnisse vor, die zur Beratung und Beschlussfassung, ob eine Umbenennung der Conrad-Wagner-Straße angezeigt ist, vorgelegt werden könnten.“ Die Verwaltung empfahl, den Antrag abzulehnen.

    „Kann das sein? Wir wissen nichts, und deshalb muss der Antrag abgelehnt werden? Frei nach dem Motto: Wir sehen nichts, deshalb kann es so bleiben, wie es ist… ?“: Dr. Susann Freiburg war fassungslos. Dabei hätten sich erst vergangene Woche, 80 Jahre nach Kriegsende, fast 50 deutsche Konzernvorstände zur Mitverantwortung der Wirtschaft für den Aufstieg Adolf Hitlers und dessen Verbrechen bekannt. Mit Fokus auf Lichtenfels bekräftigte sie: „Es gibt Erkenntnisse über die Aktivitäten Conrad Wagners in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, und wer sie sehen will, der sieht sie auch.“

    Hügerich: Es braucht noch Zeit

    Bürgermeister Andreas Hügerich (SPD) dankte Dr. Susann Freiburg für die Erläuterungen. „Verantwortung bedeutet auch, dass man diese Recherche betreibt und dann auch vorlegt“, sagte er mit Blick auf die laufende Forschungsarbeit des Bezirksheimatpflegers. Wohlgemerkt: Auch die Grünen loben in ihrem Antrag zur Umbenennung, dass sich die Stadt Lichtenfels „in vorbildlicher Weise mit der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus“ beschäftigt. „Dafür braucht es Fachleute, dafür braucht es noch Zeit. Auch der Bezirksheimatpfleger braucht noch Zeit, da es eine intensive Recherche ist“, so Hügerich. Dritter Bürgermeister Mathias Söllner, selbst Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, sprang ihm bei. Er gab sich hin und her gerissen. „Ich habe vergangene Woche lange mit Professor Dippold telefoniert. Er will nach Wien fahren, um sich letzte Informationen zu holen“, so Söllner. Innerhalb seiner Partei habe man lange und intensiv diskutiert. „Ich möchte keinen Menschen verurteilen, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es so war.“

    Söllner: will mir sicher sein

    Söllner stammt aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie, die während des Zweiten Weltkriegs, so sagte er während der Sitzung, den Betrieb nur mit französischen Kriegsgefangenen aufrecht erhalten konnte, da die Männer der Familie eingezogen worden waren. „Wir taten das, ohne diese auszunutzen, denn sie waren uns zugewiesen. Wir taten das, um Brot für die Bevölkerung zu backen.“

    Um erst aufgrund gesicherter Erkenntnisse zu entscheiden, schlug Söllner vor, den Antrag zurückzustellen und erst nach der Sommerpause des Stadtrats darüber zu entscheiden. Auch wenn Dr. Susann Freiburg polterte, dass der Bezirksheimatpfleger schon 1,5 Jahre recherchiere, wurde der Antrag bei fünf Gegenstimmen angenommen. Die Stadträte Dr. Christopher Bogdahn, Dr. Andrea Starker und Dr. Arnt-Uwe Schille verzichteten daraufhin auf ihre angekündigten Redebeiträge. Die Straßenschilder bleiben somit (vorerst) weiter hängen.

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