Wort zur Besinnung
„Gegen Corona ist selbst Martin Luther machtlos“ titelte eine große deutsche Zeitung unlängst. Was Luther mit Corona zu tun hat? Das kam so:
Eigentlich wollte sich die evangelische Kirche gemeinsam mit den katholischen Geschwistern am 18. April 2021 daran erinnern, wie Martin Luther vor genau 500 Jahren am 18. April 1521 auf dem Reichstag zu Worms seine berühmten Thesen vor dem Kaiser verteidigte.
Dabei wurde er zum großen Vorbild in Sachen Standhaftigkeit und Zivilcourage: Er bot den Mächtigen der damaligen Welt und Kirche die Stirn und diskutierte sich um Kopf und Kragen. Es war ihm wichtiger sein eigenes Gewissen rein zu halten, das er allein an der Heiligen Schrift orientierte, als der Mehrheitsmeinung zuzustimmen. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“, legte man ihm nach seiner Rede als berühmte Schlussworte in den Mund. Ein denkwürdiges Ereignis, das mit Corona erst mal so gar nichts zu tun hat.
Jetzt steht dieses Jahr am 18. April noch etwas ganz anderes an – völlig zurecht. Fast jeden Abend in der Tagesschau ist sie da: die Zahl der Verstorbenen an und mit Corona. Inzwischen so hoch, dass einem schwindelig wird. Hinter jeder Zahl steckt ein Mensch mit seinem Schicksal, der sein Leben verloren hat, der von seine Liebsten vermisst wird. Der – bei aller Mühe und Sorgfalt – meist nur im kleinen Kreis unter eingeschränkten Möglichkeiten verabschiedet und bestattet wurde. Das tut mir als Pfarrerin von Herzen Leid für die Hinterbliebenen. Aber es geht nun mal nicht anders.
Nach einem Jahr mit Corona findet in Berlin darum morgen eine zentrale Gedenkfeier für die bisherigen Toten der Corona-Pandemie statt. Präsident Steinmeier möchte den Hinterbliebenen eine Stimme geben und der Gesellschaft die Möglichkeit geben, in Würde von den Toten Abschied zu nehmen. Der Termin ist freilich etwas unglücklich gewählt – allerdings aus guten Gründen. Die Erinnerung an die Toten sollte erst dann stattfinden, wenn etwas mehr Hoffnung bestünde und das Ende der Pandemie schon etwas greifbarer sein würde. Dachte der Präsident im Februar.
Nicht nur Martin Luther ist gegen Corona machtlos. Wir ahnen nach über einem Jahr, dass wir Menschen so manches nicht im Griff haben. Und dass es noch eine gute Weile dauern kann, bis wir die Pandemie endlich los sind.
Hoffnung brauchen und haben wir allerdings nach wie vor. Die einen beziehen sie aus dem beginnenden Frühling oder der Aussicht auf einen baldigen Impftermin, andere aus der guten Gemeinschaft, die sie trägt oder ihrer Glaubensgewissheit, dass Gott sie und ihre Verstorbenen in seiner Hand geborgen hält. Da schließt sich der Kreis zwischen Luther und Corona und all den Dingen, die wir nicht in der Hand haben.
Vielleicht können wir darum am 18. April auch ein bisschen an Martin Luther denken und uns eine Scheibe abschneiden von seiner Standhaftigkeit und Zivilcourage, von seinem Ringen um ein reines Gewissen und seinem unerschütterlichen Festhalten an Gottes Hilfe, an den Hoffnungsworten und Mutgeschichten der Heiligen Schrift.
Vielleicht hilft es auch, sich an Luthers weniger berühmte, ursprünglich gesprochene letzte Worte seiner Rede zu erinnern, mit denen er alles in Gottes Hand legte: „Gott helfe mir. Amen.“ Und an seinen Jubel nach der überstandenen Rede vor dem Kaiser: „Ich bin hindurch, ich bin hindurch!“
Ein bisschen Macht bleibt uns Menschen ja doch immer noch, wenigstens über unsere eigenen Gedanken, unsere unerschütterliche Kraft zu Hoffen und unser möglichst reines Gewissen.
Pfarrerin Bettina Beck,
evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Strössendorf/ Altenkunstadt