Ich habe zufällig einen Engel getroffen. Nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken. Und nein, ich war nicht in einer Notlage, aus der mir jemand geholfen hat. Der Engel ist mir aus einem ganz anderen Grund begegnet: Ich war zu Besuch in „unserer“ Schule in Indien. Eine Mitschwester unterrichtete Hindi – die indische Landessprache. Sie diktierte den Kindern Wörter. Dabei sah sie, dass ein Kind nur die erste Hälfte eines Wortes aufgeschrieben hatte. Später erzählte sie mir davon und erklärte, dass die Kinder, die Tamil als Muttersprache haben, oft mit den Hindi-Schriftzeichen Schwierigkeiten haben.
Das Wort, um das es ging, war das Wort für „schwer arbeitender Mensch“ (parishramee). Das Kind hatte aber nur die erste Hälfte geschrieben (pari) – das bedeutet „Engel“. Mich berührte das. In dem Wort „schwer arbeitenden Menschen“ steckt ein Engel. Es beginnt sogar damit. Was für ein schönes Wort! Stellen Sie sich vor, Sie haben eine schwere Arbeit vor sich. Schon das Anfangen zögern Sie hinaus. Zu wissen, dass da schon ein Engel am Beginn steht, hilft weiter.
Es ist ein wenig untypisch für mich, von Engeln zu schreiben, bin ich doch tatsächlich keine „Engel-Freundin“. All die Engel, die gut gemeint per Bildchen aufs Handy geschickt oder als Figuren verschenkt werden, sind weder mein Geschmack noch mein Glaube. Aber „Engel“ steht eben auch für die Begleitung, die uns Gott für schwere Wegstrecken oder mit einer wichtigen Nachricht schickt. Das Alte Testament erzählt immer wieder davon und auch das Neue Testament kennt genug Engel-Begegnungen, die nichts mit Kitsch oder Aberglaube zu tun haben.
An diese Engel, die als Botschafter Gottes zu verstehen sind, als Beistand, dachte ich, als ich von oben beschriebenem zufällig entdecktem Engel hörte. Wie tröstlich ist doch dieses Wort – und wie nah unserer Erfahrung, wenn wir von einem „rettenden Engel“ in Form von Mitmenschen denken. Aber auch, wenn uns niemand tatsächlich zu Hilfe eilt, könnte uns ein Engel Gottes zur Seite stehen und die schwere Arbeit ein wenig erleichtern, uns die nötige Kraft und Ausdauer schenken. Allerdings müssen wir ihn auch wahrnehmen und ihm Raum geben.
Unsere Vorfahren lebten selbstverständlich mit dem Sprichwort: „Mit Gott fang an, mit Gott hör auf. Das ist der beste Lebenslauf.“ Mit Gott fang an – ob wir das nun Engel nennen oder anders. Wir stehen mitten in der Fastenzeit, die viele am Aschermittwoch ganz bewusst mit Gott begonnen haben. Sie nutzen diese Tage um das Leben einfacher, aufmerksamer, vielleicht auch intensiver zu gestalten. Auch das ist für manche Menschen „harte Arbeit“, besonders, wenn ein Verzicht auf „ich muss“ und „ich darf nicht“ basiert. Und wenn der Verzicht gar kein Verzicht ist, sondern eine Not, dann wird das tägliche Leben ein tägliches Überleben – schwere Arbeit. In beiden Fällen ist es gut, einen Engel, einen Wegbegleiter, Gott an seiner Seite zu wissen.
Katharina Horn, Franziskusschwester von Vierzehnheiligen