Wort zur Besinnung
„Versöhnung braucht Hoffnung“ – so las ich neulich in einer Reportage über den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Es war für mich ein Schlüsselsatz.
Wo Menschen, die Hoffnung haben auf eine Annäherung, auf ein besseres Miteinander, da wächst die Bereitschaft aufeinander zu zugehen, einander zu verstehen und einander auch zu vergeben. Denn dann wird klar und spürbar, dass es eine bessere Form des Zusammenlebens gibt als den Hass, die Ablehnung, die Rache.
Leider gilt auch das Umgekehrte: Wo es keine Hoffnung gibt, keine Perspektive, da ist der Weg zur Versöhnung steinig, ja beinahe ungangbar. Dafür fällt es – das ist die schreckliche Wahrheit – leicht, Beispiele zu finden: Ukraine, Palästina, Jemen.
Und doch braucht es Menschen, die Hoffnung in sich tragen, um den Weg zur Versöhnung zu gehen. Bill Williams, Dompropst in Coventry war so einer. Nach der Zerstörung der Kathedrale in Coventry durch die deutsche Luftwaffe 1940, baute er eine Versöhnungsarbeit auf, mit dem Ziel, die Wunden der Geschichte zu heilen, in Verschiedenheiten zu leben, die Vielfalt zu feiern und an einer Kultur des Friedens zu bauen. Der so genannten Nagelkreuzgemeinschaft gehören in Deutschland 63 Orte an, an denen regelmäßig für den Frieden gebetet wird – das so genannte Versöhnungsgebet:
Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. Darum beten wir: Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib. Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr eigen ist, Vater, vergib. Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet – Vater, vergib. Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebet einer dem anderen, gleichwie Gott euch vergeben hat in Jesus Christus. AMEN.
Noch viel mehr Beispiele für gelebte Versöhnung gibt es – unter anderem die evangelische Schule im Westjordanland „Talitha Kumi“. Sie wurde von Kaiserswerther Diakonissen in Ostjerusalem als Mädchenschule gegründet, ihr Name bedeutet: „Mädchen, steh auf!“. Seit 1980 werden Jungen und Mädchen unterrichtet - in Palästina alles andere als selbstverständlich.
Muslimische und christliche Schüler werden in Talitha Kumi gemeinsam unterrichtet, nur die Religionsstunden finden getrennt statt. Allerdings gibt es Begegnungszeiten, um die jeweils andere Religion kennenzulernen. In der Schule wird nicht nur Toleranz gegenüber anderen Konfessionen vermittelt, sondern auch praktische Friedensarbeit geleistet. Es werden Workshops zu Friedenserziehung angeboten, die Schüler können sich zu Streitschlichtern ausbilden lassen - hundert haben dieses Angebot bereits angenommen.
An dieser Schule gibt es Freude, Gemeinschaft und die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben, wie es in dieser Schule schon Wirklichkeit ist. Solche Berichte schenken mir Hoffnung und ermutigen auch mich, Versöhnung zu leben.
Burkhard Sachs,
evangelischer Pfarrer,
Mitwitz