Wort zur Besinnung
Früh morgens, im Haus ist es noch still. Vor dem Fenster erwacht langsam ein neuer Tag: schnelle Schritte, anfahrende Autos, leises Vogelgezwitscher. Die Welt ist von feuchtem Nebel bedeckt. Das dämmrige und kühle Wetter hält sich am Vormittag hartnäckig, keine Spur von Sonnenschein oder Sommerkleid. Doch dann ziemlich still und ziemlich heimlich ändert sich alles. Die Wolkendecke reißt auf, der Himmel öffnet sich. Und zurück bl
eibt ein strahlendes, leuchtendes Blau. Die kleinen Wolken, die in aller Ruhe weiß über blau über den Himmel treiben, faszinieren mich. Sie malen Bilder, die sich verändern. Aus einem Haus wird ein Herz, aus einem Lastwagen eine Blumen, aus einem Drachen ein Märchenschloss… Und aus dem scheinbar grauen Junitag wird ein Tag zum Träumen und Staunen.
Zum ungläubigen Staunen über die Weite dieses blauen Himmels, der über mir aufgegangen ist. Ein unendlicher Raum, der meiner Seele gut tut. Meine Gedanken können frei losfliegen, werden nicht aufgehalten. Alles ist in Bewegung – die Wolken wie auch mein Leben – alles ist im ständigen Fluss des Verwandelns.
Es gibt jedoch Momente, da möchte ich, dass die Zeit stehen bleibt, dass sich nichts verändert. Ich möchte sie gerne mit meinen Händen packen und in meiner himmlischen Schatzkiste sicher verstauen. Wenn etwas schön ist, warum sollte ich es auch loslassen wollen? Doch die Zeit hält nie an, sie bleibt nicht stehen.
Und dann gibt es neben diesen Himmelsmomenten ja aber auch Momente, in denen der Himmel mir ziemlich weit weg scheint. In denen ich nichts von Freude und Glück empfinde und es gar nicht abwarten kann, dass die Zeit vergeht. In denen ich wünsche, dass Schmerz, Traurigkeit und Sorge weniger werden, dass Erinnerungen verblassen. Dann ist es gut, dass alles immer in Bewegung ist und gilt was Kohelet, der Prediger Salomo, feststellt: „Für alles gibt es eine bestimmte Stunde. Und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit.“ (Koh 3,1/BasisBibel).
Immer wenn ich unter diesem blauen Himmelszelt stehe, könnte ich es stundenlang betrachten: Weite, himmlisches Blau, Geborgenheit. Und je länger ich es betrachte und in mich aufsauge, umso mehr hält es Ruhe und Faszination für mich bereit. Der Himmel kommt mir nahe. Er dringt tief in mein Herz ein…
Wenn mich Gottes Schöpfung so fasziniert, dass ich vergesse, den Auslöser meines Fotoapparates zu drü-cken, und hinterher auch ohne Erinnerungsfoto ganz glücklich bin – dieser Himmelsmoment hat sich in mein Herz gezeichnet. Wenn mir meine Lieblingsschokolade ganz langsam auf der Zunge zergeht und einfach himmlisch schmeckt. Wenn ich einen Abend mit Freunden verbringe, an dem ich die Zeit vergesse und unbeschwert aus vollem Herzen lache. Immer dann geht für mich der Himmel auf. Immer dann kommen Himmel und Erde sich ganz nahe. Immer dann lässt die Schöpfung mein Herz vor Freude tanzen und bringt mich zum Strahlen und Staunen. Immer dann möchte ich den Moment festhalten. Immer dann greife ich zu und packe ihn in meine Schatzkiste.
Himmelsmomente auf Erden – Momente voller Glück, voller Freude, voller Frieden, voller Leben, die mich stärken und mir Hoffnung geben: als Notfallration für die Zeiten, wenn der Himmel so fern scheint, für all die Tage, an denen nichts klappen will und durch graue Wolken einfach kein Platz für Himmelsblau ist, für Momente, in denen es mir nicht gut geht.
Melissa Wißmann,
evangelische Vikarin,
Zapfendorf