Die Zivilcourage-Reden der Willy-Aron-Gesellschaft erinnern an ihren Namensgeber, der sich durch Zivilcourage auszeichnete. Die diesjährige Zivilcourage-Rede lenkte darüber hinaus den Blick auf Mut in der ehemaligen DDR und darauf, was heute im vereinigten Deutschland an Engagement nötig ist. Ein Blick fiel auch auf den Lichtenfelser Thomas Dehler. Gemeinsam boten beide Anwälte der NS-Diktatur die Stirn. Der Bamberger Aron bezahlte dafür mit seinem Leben, der Lichtenfelser Dehler half nach dem Krieg in Deutschland eine Demokratie aufzubauen.
Die stellvertretende Vorsitzende der Willy-Aron-Gesellschaft Mechthildis Bocksch wies zu Beginn auf die gesellschaftliche Bedeutung von Zivilcourage hin. Der demokratische Staat brauche Bürger mit Zivilcourage, die sich zu Staatsbürgern erziehen, indem sie sich politisch bilden, eine ethische Haltung erwerben, ihre politischen Rechte und Pflichten kennen sowie ihren Freiheitsgebrauch kultivieren. Reife Menschen also, die sich als Staatsbürger für das Gemeinwesen engagieren, es kompromissfähig mitgestalten, die Grundsolidarität erhalten und für demokratische Werte eintreten. Im Gegensatz zur Demokratie sucht jeder totalitäre Staat, seine Bürger in einem unreifen Stadium zu halten. Gefühle des Patriotismus und Unterordnung sollen hier genügen.
Anschließend stellte Mechthildis Bocksch Willy Aron und Thomas Dehler als historische Vertreter beispielhafter Zivilcourage in der Zeit des Nationalsozialismus vor: Willy Aron und Thomas Dehler.
Schon als jugendlicher Antisemitismus erlebt
Willy Aron wurde 1907 als einziges Kind des Ehepaares Albert und Berta Aron in Bamberg geboren. Der Vater war Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei. Willy wuchs in einem bürgerlichen, wohl eher „deutsch-national“ eingestellten Elternhaus auf. Als er elf Jahre alt war, fand in Deutschland die Revolution statt, die zum Ende der Monarchie und zur Gründung der demokratisch verfassten Weimarer Republik führte. Doch weil die Demokratie als ein Produkt der Niederlage und als undeutsches System angesehen wurde (Winkler), war das politische Leben fortan von teils heftigsten politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet.
Als Schüler erlebte der intelligente, belesene, wohl auch lebhafte Willy häufig Unverständnis seitens der Lehrerschaft. Sie bescheinigten ihm mangelhafte Disziplin, fehlende Ordnungsliebe und schlechte Leistungen. Er erlebte Antisemitismus durch Schulkameraden und die bürgerlichen Elite.
Hierin sieht der Historiker Andreas Dornheim die Gründe für die frühe Hinwendung Willy Arons zu Personen und Gruppen mit anderer Einstellung. Er fand diese in der Sozialdemokratie mit ihrem Internationalismus, der Deutsch-Jüdischen Jugend (DJJ) und im deutsch-jüdischen Wanderbund „Kameraden“. Bereits mit 14 Jahren engagierte er sich in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) für die Bildung gleichaltriger Arbeiterkinder.
Als „Stehkragenproletarier“ verhöhnt
Aron studierte Jura, wurde Mitglied der schlagenden Studentenverbindung Wirceburgia und blieb der Arbeiterbewegung verbunden, weswegen er unter anderem von Kommilitonen als „Stehkragenproletarier“ verhöhnt wurde.
Ab 1931 war Willy Aron als Rechtsreferendar in der väterlichen Kanzlei und an Bamberger Gerichten tätig, wo er mit Hans Wölfel und Dr. Thomas Dehler zusammenarbeitete. Alle drei Juristen waren erklärte Gegner des Nationalsozialismus. Besonders ein Prozess machte Aron bekannt. In diesem verteidigte er mit Dehler im Juli 1932 mehrere Sozialdemokraten, die Opfer einer von Nationalsozialisten initiierte Massenschlägerei waren.
Anfang März 1933, nur einen Tag nachdem die Nationalsozialisten in Bayern die Macht übernommen hatten, wurde Willy Aron verhaftet und Mitte Mai ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Er protestierte gegen die unmenschliche Behandlung, worauf ihm bei seiner Ankunft das Fleisch seines Gesäßes bis auf die Knochen durchgeschlagen wurde. Im Krankenrevier des Lagers fiel er in einen Fieberwahn. Rücksichtslos wurde er am 16. und 17. Mai dennoch in einen Raum neben dem Krankenrevier geschleift und weiter mit Ochsenziemern gequält, was er nicht überlebte. Am 17. Mai 1933 starb er.
Um den Mord zu vertuschen, wurde der Leichnam mit Benzin übergossen und angezündet. Der Sarg, der nicht mehr geöffnet werden durfte, wurde am 22. Mai 1933 Bamberg überführt und dort noch am gleichen Abend auf dem Israelitischen Friedhof beigesetzt. Mordermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft wurden von der NSDAP im Keim erstickt.
Willy Aron war der erste Bamberger, den die Nationalsozialisten ermordeten. Seine Eltern wurden 1942 nach Theresienstadt und von dort nach Treblinka deportiert und ermordet.
Thomas Dehler und die Robinsohn-Strassmann-Gruppe
Wie Aron stellte sich auch der gebürtige Lichtenfelser Thomas Dehler mutig gegen den Faschismus. Der 1897 in Lichtenfels geborene Jurist Thomas Dehler ließ sich 1926 mit seiner jüdischen Frau Irma, geborende Frank, in Bamberg nieder. Ab 1934 war er Mitglied der liberalen Widerstandsgruppe Robinsohn-Strassmann, später Verbindungsmann nach Berlin. Robinsohn, Strassmann und Dehler kannten sich seit1920, daher wurde Dehler die wichtigste Verbindung nach Süddeutschland. Nach 1938 baute er die Organisation vor allem in Bayern aus.

Im Bayerischen Rundfunk berichtete Dehler 1964 über die Zeit des Widerstandes: „Seit Mitte der 30-er Jahre gehörte ich zu einem über das ganze Reich verstreuten Kreis freiheitlicher Menschen, einem Kreis des unbedingten Widerstandes. Über den Berliner Richter Dr. Ernst Strassmann stand er in Verbindung mit dem Leipziger Oberbürgermeister Dr. Karl Goerdeler und mit dem Generalobersten Beck in Berlin. Er traf sich in regelmäßigen Zusammenkünften in Hamburg und Berlin. Sie galten nicht so sehr dem Umsturz - er konnte nur durch eine Aktion der Soldaten ausgelöst werden —, sondern der Ordnung der deutschen Dinge danach.“
Nach Kriegsende wurde Dehler 1949 erster Bundesjustizminister der Bundesrepublik Deutschland, 1960 Vizepräsident des Bundestages. Dehler starb 1967 in Streitberg und wurde in Lichtenfels bestattet.
Christ sein oder Kommunist werden
Ein Blick auf die Entwicklung im Osten Deutschlands, in der auch nach Kriegsende keine Demokratie entstand, warf Franz-Josef Fischer aus Dresden als damals Betroffener. Er erläuterte, dass nachdem 1945 die „Gräuel der Besatzer in den ersten Tagen nach Deutschlands Kapitulation im Wesentlichen“ durch die sowjetischen Offiziere beendet worden waren, die Zeit in der Sowjetischen Besatzungszone „von einer unermesslichen Sehnsucht nach Frieden erfüllt war. Arbeit gab es genug, zu Essen weniger, aber die Hoffnung auf einen möglichen Neuanfang war allerorts zu spüren.“ Das „Enttrümmern der Städte“ wurde vor allem von Frauen geleistet, die mit dieser Arbeit die Familien ernährten, denn die Männer waren häufig noch in Gefangenschaft.
Im Bistum Meißen ermutigte Bischof Petrus Legge, der trotz Nazi-Verfolgung im Bistum Meißen geblieben war, seine Gläubigen. Diese Ermutigung war notwendig, weil der russische Geheimdienst KGB unter der Gewaltherrschaft Josef Stalins für Verleumdungen, Verhaftungen und Willkürurteile sorgte. Todesstrafen waren damals nicht selten. Die Anverwandten erfuhren oft niemals vom Schicksal ihrer Angehörigen.
Die Kirchen wurden in der ehemaligen DDR nicht verfolgt, Gottesdienste und Feiertage blieben gestattet. Doch sichtbares Christsein war nicht erwünscht. So stellte sich die Frage nach Zivilcourage in der ehemaligen DDR häufig entlang markanter kollektiver Entscheidungspunkte, erläuterte Referent Franz-Josef Fischer aus Dresden.
Bevormundung und Schikanen
Er selbst musste Bevormundung und Schikanen ertragen. Das begann bereits mit seiner Weigerung an der Jugendweihe teilzunehmen.
Sein Berufswunsch war Arzt im Krankenhaus zu werden. Nachdem er die Studiererlaubnis an der Medizinischen Akademie Dresden erhalten hatte, sollte er Pflichtwehrdienst leisten. Eine Verweigerung war absolut nicht möglich, ein Dienst ohne Gewehr bei den sogenannten „Spatensoldaten“ kam nicht in Frage. Das hätte jedes Studium verhindert.
Die 18 Monate Wehrdienst in einer schlecht sanierten Hitlerkaserne in Prora auf Rügen waren hart. Als man ihn danach zu einer freiwilligen Verlängerung der Armeezeit aufforderte, lehnte er ab und wurde sofort exmatrikuliert.
Als er verzweifelt aufgeben wollte, ließ man ihm eine Bewerbung für ein Pädagogik-Studium für die Fächer Physik/Mathematik zukommen. Fischer nutzte diese Chance so erfolgreich, dass die Hochschulleitung ihm die Promotion im Fachbereich Physik anbot. Nach dem Gespräch mit der Hochschulleitung allerdings, in dem er sich als Katholik outete und eine Mitgliedschaft in der Sozialistischen Einheitspartei SED ablehnte, wurde mit den Worten „Vergessen Sie dieses Gespräch“ verabschiedet. Die experimentellen Ergebnisse seiner Diplomarbeit verwendete dann ein anderer wissenschaftlicher Mitarbeiter für seine Doktorarbeit.
In der Schule waren Lehrkräfte und Schüler den Maßnahmen des sozialistischen Systems direkt ausgesetzt. In dieser Zeit bot die kirchliche Gemeinde einen Freiraum, mit Gleichgesinnten dem aufgezwungenen System zu trotzen. Das hieß konkret, sozialistische Pflichtaufgaben lasch erfüllen, zum Beispiel die Werbung für den militärischen Beruf in der Schulklasse unterlassen, am monatlichen Pflicht-Parteilehrjahr stets unvorbereitet teilnehmen.
Die Mauern im Inneren
Das Vertrauen in den sozialistischen Staat DDR schwand immer mehr. Die Bespitzelungen und der Eindruck, belogen zu werden, taten das ihre dazu. Selbst in kirchlichen Kreisen gab es Stasi-Spitzel. „Das Ende der DDR muss dem Ministerium für Staatssicherheit schon lange vor 1989 klar gewesen sein“, hob Fischer hervor, denn der Untergang des Systems „Sozialismus DDR“ wurde bis Kleinste vorbereitet. Das Volk mit seinen Demonstrationen habe vielleicht den Tag bestimmt, aber sicher nicht das „Wie“. Funktionäre von Partei und Stasi schafften auch das Staatsvermögen Monate vor der Wende in den Westen. Leider schien den Westen dies nicht zu stören, da Geld und Marktanteile im Überfluss zu holen waren.
Das ist nicht der einzige Wehrmutstropfen der Wiedervereinigung. Die Kirchengebäude sind allesamt erneuert, aber die Gemeinden stehen oft sehr allein mit all ihren Wünschen und Problemen. „Und 30 Jahre nach dem Fall der Mauer bauen so viele Menschen immer noch Mauern in ihrem Inneren. Jetzt müssen wir selbst etwas gegen die trennenden Mauern der Menschen untereinander unternehmen, das ist bitter nötig“, schloss Fischer seien Ausführungen.