Was werden die Kinder, die am Programm „Freizeit anders – Lohr macht's möglich“ teilnehmen, wohl erlebt haben bis Dezember, wenn es wieder kalt ist, vielleicht sogar Schnee liegt? Seit April läuft das von Bürgermeister Mario Paul initiierte Projekt. Es verhilft sozial auffälligen Kindern zu Freizeitangeboten, die ihnen bis dato unbekannt waren. Kinder, die vorher nur abhingen, gehen nun regelmäßig zum Boxen. Andere spielen Fußball. Wieder andere lernen, Hip-Hop zu tanzen.
Wie Kinder ihre Freizeit verbringen, sagt Lohrs Bürgermeister, hängt in vielerlei Hinsicht von ihren Familien ab. Da gibt es Mamas und Papas, die mit ihren Kids im Sommer ins Schwimmbad und im Winter auf die Loipe zum Langlauf gehen. Außerdem sorgen sie dafür, dass das Kind ein Instrument erlernt und im Fußballverein aktiv ist.
Programm „Freizeit anders“ für auffällige Kinder
Andere Eltern kümmern sich weniger. Beide sind berufstätig. Sie haben keine Zeit. Vielleicht lebt die Familie in armen Umständen. Geld für tolle Fußballschuhe ist nicht vorhanden oder für häufige Schwimmbadbesuche. „Die Kids hängen dann oft ziel- und planlos ab“, so Mario Paul.

Das Programm „Freizeit anders“ richtet sich an auffällige Kinder, die nach der Schule wenig Sinnvolles tun. Der sozioökonomische Hintergrund ist erst mal egal, sagt Mario Paul. Rein statistisch sind zwar Kinder aus armen Familien in Vereinen deutlich unterrepräsentiert, aber auch ein Kind, das luxuriös lebt, kann vernachlässigt werden.
Neue Freizeitmöglichkeiten
20 Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren erhalten durch das Lohrer Projekt die Chance, neue Freizeitmöglichkeiten kennenzulernen. Geleitet wird die Initiative von Lohrs Jugendreferentin Lisa Hermann-Fertig. Die stellte einen breiten Katalog an Freizeitmöglichkeiten zusammen, aus denen die Kinder wählen dürfen.
Sicherlich würde manch anderes Kind aus Lohr ebenfalls von dem Projekt profitieren. Doch die Initiative will finanziert sein. Streng genommen ist die Stadt Lohr gesetzlich nicht zu derartigen Maßnahmen verpflichtet. „Es handelt sich um eine freiwillige Leistung“, so Bürgermeister Mario Paul. Dennoch stellte der Stadtrat 2000 Euro für einen ersten Testlauf zur Verfügung.
Tendenz zu Vandalismus und Gewalttätigkeit steigt auch in Lohr
Im Dezember soll das Projekt evaluiert werden. Vom Ergebnis der Erhebung hängt es ab, ob der Stadtrat davon überzeugt werden kann, das Projekt fortzuführen. Mario Paul wäre daran sehr gelegen. Als vierfacher Familienvater berührt es ihn, zu sehen, dass junge Menschen sozial immer auffälliger werden. Das ist nicht nur in Großstädten wie Berlin so, sondern auch in Mittelzentren wie Lohr.
Quantifizieren lässt sich die Zunahme dem Bürgermeister zufolge nicht: „Das Ganze sollte auch nicht überproblematisiert werden.“ Doch aus vielen Gesprächen mit Lehrern, Schulleitern, Schul- und Jugendsozialarbeitern sowie Polizisten geht hervor: Die Tendenz zu Vandalismus und Gewalttätigkeit nimmt auch in Lohr zu. Die Corona-Krise diente als Katalysator: „Sie hat den Prozess beschleunigt.“
Mord auf Schulgelände war letzter Anstoß für das Projekt
Besonders martialisch war die Mordtat im September 2023: Auf dem Schulgelände erschoss ein Lohrer Jugendlicher einen Mitschüler. Dieses Schreckensereignis gab für Mario Paul den letzten Anstoß für das Projekt. Kinder, wünscht er, sollen so früh, wie möglich, erleben, welche vielfältigen Möglichkeiten es gibt, zusammen mit anderen Freizeit sinnvoll zu gestalten.
Die Mediengesellschaft trägt viel dazu bei, dass sich Kinder weniger als früher in Vereinen oder Jugendzentren tummeln. Dank künstlicher Intelligenz kommen immer aufregendere Games, allen voran Ballerspiele, auf den Markt. Nicht zuletzt die starke Hinwendung zu digitalen Medien möchte Lohrs Bürgermeister mit dem Projekt begegnen. Jugendliche, die kaum noch vom Bildschirm loskommen, koppeln sich von der Gesellschaft ab. Mit letztlich fatalen Auswirkungen für das Gemeinwesen.
Vorbild Island
Bei der Suche nach bereits existierenden Projekten zum Gegensteuern stieß Mario Paul auf ein Land, das sich, was Jugendförderung anbelangt, Meriten verdiente: Island. Dort, erzählt er, war die Suchtproblematik bei Jugendlichen Ende der 1990er-Jahre enorm: „Sie war am höchsten unter allen Ländern der OECD.“
Auch hier wurden Teenies motiviert, an Freizeitangeboten teilzunehmen. Die Kosten, zum Beispiel für Sport- oder Kulturvereine, wurden übernommen. Nach kurzer Zeit schon stellten sich Erfolge ein.
Auch die ersten vier Monate des Projekts „Freizeit anders“ wertet Paul als erfolgreich. Von daher ist er zuversichtlich, dass die Evaluation zum Jahresende ebenfalls positiv ausfallen wird. Nur ein einziges Kind brach bisher ab. Der Platz wurde umgehend mit einem neuen Kind, das als sozial auffällig identifiziert wurde, besetzt.
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