Für den Ortsverband der Grünen und ihren Bürgermeisterkandidaten Clemens Kracht ist die Reaktivierung der Bahnlinie vom Haupt-zum Stadtbahnhof eine „Riesenchance für Lohr“. Bis der „Schneewittchen-Express“ in Lohr-Stadt halten kann, wird jedoch noch einige Zeit vergehen, denn das Verfahren steht erst ganz am Anfang. Das wurde bei einer Podiumsdiskussion der Grünen am Samstag in der Markthalle klar.
Den „Schneewittchen-Express“ am Stadtbahnhof gibt es nur in einer Computersimulation, die Kracht den rund 70 bis 80 Besucherinnen und Besuchern präsentierte. Diese waren, wie sich zeigte, größtenteils dem Projekt zugetan. Einige kritische Fragen waren vorab online bei den Grünen eingegangen.
Eine Reaktivierung des Bahnhalts könnte nach den Worten des Grünen-Bürgermeisterkandidaten die „weitere Entwicklung in Lohr stark beeinflussen“. Viele erinnerten sich noch an den roten Schienenbus, der bis in die 1970er Jahre für eine Verbindung nach Wertheim gesorgt habe, auch für viele Schüler.
Barrierefreie, zusätzliche Direktverbindung nach Würzburg und zurück
Dann sei die Mobilität für jedermann mit dem eigenen Auto finanziell erreichbar gewesen. „Damit sind wir in die falsche Richtung abgebogen, das müssen wir wieder zurückholen“, so Kracht. Ein Bahnhalt Lohr-Stadt würde seinen Worten zufolge eine barrierefreie, zusätzliche Direktverbindung nach Würzburg und zurück bieten, wäre attraktiv für Pendler und würde das Parkdeck-Areal aufwerten.
Der komplexe Weg zu einer Verwirklichung habe erst zwei Stufen genommen, machten Gerd Weibelzahl aus dem Landesvorstand des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und Christian Behrendt vom Fahrgastverband Pro Bahn und Bus deutlich. Um das Potenzial stillgelegter Strecken zu erkunden, gebe es in Bayern vier Kriterien.
Diese erfülle die Strecke vom Lohrer Haupt- zum Stadtbahnhof, darunter die Erfordernis von über 1000 Personenkilometern. Diese Maßeinheit beschreibe die Beförderung eines Fahrgastes über eine Distanz von einem Kilometer. Die Lohrer Strecke komme auf 1560 Personenkilometer, was Kracht als „überraschend hoch“ bezeichnete.
Der nächste Schritt ist die Erstellung einer Machbarkeitsstudie mit einer Ermittlung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV). Diese Studie lässt allerdings seit längerer Zeit auf sich warten. Das NKV sollte positiv sein, betonte Behrendt, denn das sei die Voraussetzung für eine Förderung des Vorhabens.
Mehr Frequenz nötig
„Alles, was dem Einzelhandel mehr Frequenz bringt, hält Lohr am Leben“, erklärte Angelika Winkler, die Vorsitzende der Lohrer Werbegemeinschaft. Noch funktioniere die Lohrer Innenstadt, aber sie sei bei den Leerständen nur einen Schritt davon entfernt, so auszusehen wie andere Städte vergleichbarer Größe.
Das Wichtigste bei einer Reaktivierung der Strecke ist laut Winkler die Taktung der Fahrzeiten, „sonst nutzen die Leute das Angebot nicht“. Heute dominiere die flexible Mobilität. Wenn der öffentliche Verkehr kein Angebot mache, „wird das Auto genommen“.
Bei einer Realisierung des neuen Bahnhalts Lohr-Stadt müsste nach den Worten von Clemens Kracht der Bahnsteig wohl auf der gegenüberliegenden Seite des historischen Gebäudes angelegt werden. Denn dieses hat die Stadt längst an einen Gastronomen verkauft. Daran würden sich Parkplätze, Bushalte, Fahrradabstellplätze und E-Ladestationen anschließen.
Befürchtungen einer Besucherin, bei einer Realisierung könnte der Sinngrund abgehängt werden, widersprach Christian Behrendt. Das Angebot im Sinngrund solle bleiben, sogar ausgebaut werden. Nötig sei eine wesentlich dichtere Vertaktung, denn nur damit werde die nötige Zahl an Fahrgästen erreicht. Bislang fährt der Regionalexpress von Würzburg nach Lohr jede Stunde.
Genug Fördertöpfe
Zur Finanzierung erläuterte Clemens Kracht, es gebe zahlreiche Fördertöpfe von EU, Bund und Land für verschiedene Teilaspekte des Vorhabens. Was Stadt und Kreis investieren müssten, sei deshalb „überschaubar“. Bezirksrätin Bärbel Imhof warnte davor, „eine Riesenchance zu verpassen, weil angeblich das Geld nicht da ist“.
Was passiere, wenn die Machbarkeitsstudie in diesem Jahr wieder nicht beauftragt werde, wollte ein Besucher wissen. Kracht wurde deutlich: „Dann ist das Projekt tot.“
Ein weiterer Besucher verwies auf die Staus bis in die Anlagestraße, wenn die Schranke am Stadtbahnhof unten ist, weil die (derzeit ruhende) Belieferung von Gerresheimer per Zug mit Rohstoffen erfolgt. Behrendt geht davon aus, dass bei einer Reaktivierung die Schranke nicht mehr per Handkurbel, sondern elektrisch abgesenkt wird. Die Strecke müsse elektrifiziert werden, weil sonst die Lok gewechselt werden müsste.
Auf Nachfrage räumte Behrendt ein, die Elektrifizierung sei ein „Problempunkt“, weil die Unterführung unter der B26 am Oberen Tor dafür zu niedrig sei. „Das muss man ingenieurtechnisch untersuchen“, meinte der Experte. Es gehe nicht um einen oder zwei Meter, sondern um eine geringere Distanz. Denkbar sei eine Absenkung der Gleise oder eine besondere Oberleitungsform.
Behrendt bescheinigte Lohr „gute Rahmenbedingungen für eine Reaktivierung“. Diese wäre nach seinen Worten ein „wichtiger Standortfaktor im Wettbewerb mit anderen Mittelzentren in der Region“.
Fahrten beim Rambourfest
Wer testen will, wie sich eine Fahrt zwischen Haupt- und Stadtbahnhof anfühlt, kann das beim Rambourfest am letzten Oktober-Sonntag tun. Clemens Kracht kündigte für diesen Tag neun Pendelfahrten an, man habe einen Sonderzug organisiert. Dieser halte aber vor der Schranke, um den Verkehr nicht zum Erliegen zu bringen.
Hintergrund: Was bislang passiert ist
Im Jahr 2011 wird die Reaktivierung des Stadtbahnhofs in das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (Isek) 2030 für Lohr aufgenommen. 2016 bis 2018 gibt es im Stadtrat und im Kreistag mehrere öffentliche Beratungen über die Aufnahme des Bahnhalts in Lohr-Stadt in den sogenannten Deutschlandtakt für einen stündlichen Takt von Lohr bis nach Marktbreit.
2019 beschließen Stadtrat und Kreistag den Prüfauftrag für eine Reaktivierung der Strecke. Nach der Corona-Pause erstellt die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) 2022 die Potenzialanalyse, die zu dem Ergebnis führt, dass die Strecke das Potenzial für eine Reaktivierung hat. Die BEG schreibt die Strecke Lohr-Stadt – Marktbreit vorbehaltlich einer Reaktivierung europaweit aus.
Stadtrat und Kreistag stellen 2024/25 jeweils 60.000 Euro in ihre Haushalte für eine Machbarkeitsstudie ein. Doch der Beschluss des Kreises zur Beauftragung dieser Studie wird im März 2025 im Kreisausschuss kurzfristig abgesetzt. Im neuen Isek 2040 der Stadt Lohr aus dem Jahr 2025 ist der Stadtbahnhof eine sogenannte „Planungslupe“, also ein Schwerpunkt der Betrachtung. (tjm)
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