Mit einem Bussard fing alles an. Rund zehn Jahre ist es her, dass Jessica Waters den verletzten Greifvogel zwischen Partenstein und Lohr am Straßenrand entdeckte. Der Moment, in dem die heute 36-jährige Sackenbacherin anhielt, um dem Vogel zu helfen, war der Zündfunke für eine stetig wachsende Initiative. Waters und etliche Tierfreunde haben mittlerweile Hunderte Wildtiere versorgt und im Idealfall den Weg in die Auswilderung geebnet. Jetzt ist daraus ein gemeinnütziger Verein geworden: Wildlife Main-Spessart.
Dass die Sache eine solche Entwicklung nehmen würde, ahnte Waters zu Beginn nicht. Sie brachte den verletzten Bussard seinerzeit zu Helga Kress, die in Partenstein über Jahrzehnte ehrenamtlich eine Vogelauffangstation betrieben hat. „Sie war der Anstoß. Ich habe so viel von ihr gelernt“, beschreibt Waters.
Vor einigen Jahren hat Kress ihre Auffangstation geschlossen. Der Helferkreis, der sich zwischenzeitlich um Waters zusammengefunden hat, schließt die Lücke. Beinahe täglich gingen Hilferufe ein, beschreiben Waters sowie zwei ihrer Mitstreiterinnen, Sandra Herr (55) aus Mittelsinn sowie Christina Reuter (43) aus Sackenbach, das Ausmaß der Wildtierhilfe.
Häufig seien es verzweifelte Privatpersonen, die ein verletztes Wildtier gefunden hätten. Aber auch die Polizei oder Tierheime meldeten sich, etwa wenn ein Tier angefahren oder in hilfloser Lage gefunden worden sei. Gelegentlich kämen auch von Jägern Hinweise auf verletzte oder verwaiste Wildtiere.
Von Mauswiesel bis Schwan
Die Liste der Arten, deren sich angenommen werde, gleicht einem Streifzug durch das heimische Tierreich. Vom winzigen Mauswiesel bis zum Schwan, von der Haselmaus bis zur Nilgans, daneben Füchse, Wildschweinfrischlinge, Rehkitze, Waschbären und Marder.
„Hier ist großer Bedarf, es gibt sonst keine Anlaufstellen im Hinblick auf Wildtiere“, sagt Waters. Das Einsatzgebiet umfasse im Prinzip den ganzen Landkreis und gehe teilweise auch darüber hinaus. Weil das Mitnehmen von Wildtieren rechtlich gesehen Wilderei sei, gelte es, solche Aktionen mit den betreffenden Stellen abzusprechen, etwa den örtlichen Jagdpächtern.
Vor Ort gehe es dann zunächst darum, die tatsächliche Hilfsbedürftigkeit des jeweiligen Tieres zu prüfen und das Tier bei Bedarf zu sichern, etwa in einem Karton, sagt Waters. Zu Hause beginnt die richtige Arbeit. Das erste Ziel sei es, den Zustand des Tieres zu stabilisieren. Dazu gehöre etwa, die passende Nahrung zu verabreichen oder Madenbefall zu bekämpfen. „Über den Berg bringen und futterfest bekommen“, beschreibt Waters diese Phase. In ihr entscheidet sich, ob das Tier überlebt oder nicht. In den meisten Fällen, so Waters, Herr und Reuter, gelinge das.
Problem: Unterbringung finden
Doch bald folge die nächste Herausforderung: Wohin mit dem wieder zu Kräften gekommenen Wildtier? Es einfach in die Freiheit zu entlassen, sei bei vielen Arten keine Option. Etwa bei Waschbären, die als invasive Art gelten und nicht ausgewildert werden dürfen.
Hier besteht laut Waters derzeit die einzige Möglichkeit darin, eine dauerhafte „Endstelle“ zu finden, etwa in einem Wildpark. Im vergangenen Jahr beispielsweise habe man sechs aufgepäppelte Waschbären im Bad Kissinger Klaushof unterbringen können.
Die gesetzliche Regelung, wonach Waschbären nicht ausgewildert werden dürfen, hält Waters für überarbeitungswürdig. Sinvoller fände sie, die Tiere nach einer Kastration wieder in Freiheit zu entlassen. Begründung: Die ausgewilderten Tiere würden ein Revier besetzen, sich jedoch nicht weiter fortpflanzen.
Mithelfer gesucht
Mittlerweile habe man eine ganze Riege an ehrenamtlichen Fahrern akquiriert. Sie fahren bei Bedarf Tiere durch die halbe Republik, um ihnen Hilfe oder Weiterversorgung zu sichern. Überhaupt: die Helfer. Von ihnen habe man nie genug, schildern Waters, Herr und Reuter ihr Pensum. Dringend könne man weitere Mitstreiter gebrauchen, etwa solche, die sich um den Telefondienst oder nach Anleitung bei sich zu Hause um tierische Findelkinder kümmerten.
Der zeitliche Aufwand, den die Wildtierhelfer erbringen, ist enorm. Waters etwa, selbstständige Ergotherapeutin, sagt, ihre Arbeitszeit zugunsten der Wildtierhilfe reduziert zu haben. Mitunter nehme sie aber auch Tiere mit in ihre Praxis. Auch Reuter ist froh darüber, dass ihr Arbeitgeber dulde, dass sie mitunter tierische Pflegekinder mit ins Büro bringe.
Ein ganz anderer Aspekt sind die Finanzen. Sämtliche Kosten würden bislang von ihnen überwiegend aus eigener Tasche bezahlt, vom Futter über Tierarztrechnungen bis hin zu Handtüchern und sonstigen Hilfsmitteln. Da kämen schnell 1000 Euro pro Monat zusammen, sagt Waters. Ein Grund für die Vereinsgründung sei daher auch gewesen, so womöglich Geld- und Sachspenden zu erhalten.
Ein weiteres Ziel des Vereins sei es, Wissen über Wildtiere und ihre Nöte zu vermitteln, sagt Waters, etwa in Schulen und Kindergärten. Auch wolle man dafür werben, wie beispielsweise Gärten wildtierfreundlich gestaltet werden können.
Lob vom Tierschutzverein
Das große Wissen, den Einsatz und die Netzwerkarbeit der Akteure von Wildlife Main-Spessart lobt auch Marianne Daniel. Sie ist Vorsitzende des Tierschutzvereins Main-Spessart, der in Sackenbach das einzige Tierheim im Landkreis betreibt. Das Tierheim jedoch, so erklärt Daniel, dürfe sich nur um Haustiere kümmern, Hunde, Katzen, Kleintiere wie Hasen oder Hamster. Nicht selten erhalte man im Tierheim jedoch auch Hinweise auf hilfsbedürftige Wildtiere.
In solchen Fällen wende man sich an das Team von Wildlife Main-Spessart. „Sie arbeiten mit voller Power. Ihr Engagement ist eine tolle Sache“, sagt Daniel über den neuen Verein, mit dem der Tierschutzverein auch in Zukunft eng kooperieren wolle. Daniel kündigt schon jetzt an, persönlich Mitglied bei Wildlife Main-Spessart werden zu wollen.
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