Die Gemüsebeete, umfasst von Randsteinen, waren kaum noch zu erkennen, die Sträucher und Bäume lange nicht mehr geschnitten. So beschreibt Susanne Neuner den 700 Quadratmeter großen Garten, den die Familie vor ein paar Jahren im Lohrer Stadtteil Sendelbach gekauft hat. Eine Herausforderung, ihn wieder zum Nutzgarten zu machen. Inzwischen wachsen hier nicht nur Gemüse und Beeren.
„Durch Zufall“ seien sie zu dem Garten in Sendelbach gekommen. Bekannte hätten sie auf das Grundstück zwischen Ortsdurchfahrt und Mainufer aufmerksam gemacht, erzählt Susanne Neuner. Die Gelegenheit haben sie sich nicht entgehen lassen, auch wenn erst mal das Projekt Familienzuwachs Vorrang hatte: Die Neuners haben vier Kinder zwischen sechs und 14 Jahren. „Jetzt haben wir einen Garten, schauen wir, was daraus wird“, sei ihr Motto gewesen.

Fast jeden Tag im Garten
Inzwischen ist ein zertifizierter „Bayern blüht“-Naturgarten daraus geworden. Die Auszeichnung hat Neuner im Herbst mit einigen anderen Freizeitgärtnerinnen und -gärtnern erhalten. Bei der Aktion geht es darum, den Garten vielfältig und naturnah zu gestalten, um möglichst vielen Arten einen Lebensraum zu bieten. Wo es die entsprechenden Pflanzen gibt, siedeln sich Insekten an, die wiederum zum Bestäuben und als Nahrung für Vögel dienen. Tabu sind die meisten chemischen Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger. Welche Punkte erfüllt werden müssen, regelt eine entsprechende Liste.
„Ich bin fast jeden Tag hier“, erzählt Neuner zwischen Beerensträuchern, alten Obstbäumen, Rosen, Holunder, Brennnessel und Iris, zwischen Gemüse und Erdbeeren, Gartenhäuschen, Hochbeet und Vogeltränke. Seit die Kinder zumindest vormittags aus dem Haus sind, nutzt Neuner die Zeit für Gartenarbeit. „Es ist für mich ein Ausgleich zur Familienlogistig“, sagt die vierfache Mutter.

Verwunschene Ecken mit alten Büschen und Efeu umranken das Grundstück. Ein Gartenhäuschen mit Fachwerk ist zwar in die Jahre gekommen, bietet aber Platz fürs Werkzeug wie Hacke und Rechen. In der Mitte große Beete unter anderem mit Sellerie, verschiedenen Kohlarten, Kartoffeln und Tomaten. Eine Artischocke hat hier ebenso Platz wie Tagetes, Borretsch und Lauch.
In einer Nische haben die Neuners ein paar Buntsandsteine zu einem Mäuerchen aufgesetzt, daneben eine Vogeltränke. Ein Insektenhotel bietet Nistmöglichkeiten und Unterschlupf. Auch Reisighaufen und kleine Ansammlungen von Steinen dienen diesem Zweck, wie die Hobbygärtnerin erzählt.
Neuner versucht, mit möglichst wenig Wasser auszukommen
Es gibt Trockenzonen und einen Tümpel, Nistkästen und Schalen mit Wasser für Insekten. Die Murmeln, die darin liegen, ermöglichen ihnen ans Wasser zu kommen, ohne zu ertrinken.

Das Wasser zum Gießen kommt aus zwei großen Tanks, die, wenn nötig, ein Landwirt befüllt, der einen entsprechenden Anhänger hat. Neuner versucht aber, mit möglichst wenig Wasser auszukommen. Sie gieße nach dem Pflanzen gut an und bedecke die Beete beispielsweise mit Grasschnitt, damit sie nicht so schnell austrocknen. „Ohne Mulchen wird die Erde prügelhart“, sagt die Hobbygärtnerin.
Aber wo fängt man an, wenn man einen Garten übernimmt, in dem eine Zeit lang nicht gejätet und gestutzt wurde? Am wichtigsten sei ihr gewesen, den Nutzgarten zu reaktivieren, sagt Neuner. Also Stück für Stück die Quecke aushacken, wo Gemüse, Salate, Kräuter und Beeren wachsen sollen. Anderes lässt sie erst mal wachsen. »Schauen, was kommt.« So sind zum Beispiel Stockrosen aufgegangen, Schlafmohn, Fenchel und ein Zierlauch.

Dieser Ansatz komme von ihrem Beruf: Neuner hat, wie ihr Mann Michael, Forstwissenschaften studiert. Auch im Wald gehe es darum, möglichst wenig einzugreifen. „Aber man will auch etwas ernten.“ Deshalb das Jäten, das Schneiden der Obstbäume, das Düngen mit Brennnesseljauche, Kompost und Bokashi. Für Bokashi, ein natürlicher Flüssigdünger, werden pflanzliche Küchenabfälle durch bestimmte Bakterien und Hefen fermentiert.
Mähen gegen die Grasmilbe
Bleibt noch die Frage, wozu die Zertifizierung? „Um zu zeigen, dass das alles einen Sinn hat“, sagt Neuner mit Blick auf jene, die an der Methode „Erst mal wachsen lassen“ zweifeln. „Es hat alles seine Berechtigung und hängt zusammen.“
Eine Spezies würde sie allerdings doch gerne loswerden: die Grasmilbe, auch Herbst- und Erntemilbe genannt, deren Larven bei Trockenheit von Frühjahr bis Herbst in die menschliche Haut (und Tiere) beißen. Dabei sondern sie Stoffe ab, die zu Pusteln und starkem Juckreiz führen. Die Hobbygärtnerin schützt sich mit langen Hosen vor den Bissen. Außerdem versucht sie, die Plagegeister zu reduzieren, indem sie das Gras kurz hält.
Wenn das gelänge, könnte aus dem Nutz- und Naturgarten auch ein Familiengarten werden, in dem sich die Kinder auch mal länger aufhalten könnten.