Die Pflegeversicherung steuert auf ein neues Milliardenloch zu – und das, obwohl die Beitragssätze gerade erst erhöht wurden. Während die Ausgaben explodieren, gewinnt ein politisches Versprechen aus dem letzten Wahlkampf erneut an Aufmerksamkeit: Die SPD forderte zuletzt eine Deckelung des Eigenanteils für Pflegeheimbewohner. Was für viele Betroffene nach einer dringend nötigen Entlastung klingt, halten Experten jedoch für ein gefährliches Spiel mit dem System. Was Experten an dem Pflege-Deckel kritisieren und welche Alternativen es gibt.
Was ist ein Pflege-Deckel überhaupt?
Ein Pflege-Deckel bezeichnet den vorwiegend im Bundestagswahlkampf 2025 von der SPD geäußerten Vorschlag, die monatlichen Eigenanteile, die pflegebedürftige Personen für die stationäre Pflege, also im Pflegeheim, selbst zahlen müssen, auf einen bestimmten Höchstbetrag zu begrenzen. Derzeit wird dem Verband der Privaten Krankenkassen (PKV) zufolge gefordert, die pflegebedingten Kosten auf 1000 Euro im Monat zu begrenzen, um so die Heimbewohner zu entlasten.
Wie hoch ist der Eigenanteil in deutschen Pflegeheimen aktuell?
Diese 1000 Euro sind aber fernab vom tatsächlichen Eigenanteil, der derzeit in deutschen Pflegeeinrichtungen geleistet wird. Als Eigenanteil werden immer die Kosten bezeichnet, die pflegebedürftige Personen in der stationären Pflege selbst tragen müssen – über die Leistungen ihrer Pflegeversicherung hinaus.
Laut einem Bericht von welt.de beträgt dieser Eigenanteil an den Pflegekosten im deutschlandweiten Durchschnitt, ohne den aktuellen Zuschuss der Pflegekasse, im Schnitt 1760 Euro monatlich. Der Verband PKV geht mit Bezug auf die neue IGES-Studie von einem deutschlandweiten pflegebedingten Anteil in Höhe von rund 1800 Euro für 2025 aus.
Die Pflegekassen zahlen laut Bundesgesundheitsministerium seit dem Jahr 2022 bzw. 2023 einen nach der Aufenthaltsdauer gestaffelten Zuschuss zu diesem Eigenanteil, der ihn reduziert:
- Im ersten Jahr: 15 Prozent
- Im zweiten Jahr: 30 Prozent
- Im dritten Jahr: 50 Prozent
- Ab dem vierten Jahr: 75 Prozent
Der tatsächliche „aktuelle“ Eigenanteil nach Abzug des Zuschusses hängt also von der Dauer des Aufenthalts im Pflegeheim ab. Die Staffelung erklärt allerdings auch, warum gerade im ersten Jahr im Pflegeheim mit horrenden Kosten gerechnet werden muss. Diese betragen laut einer Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) seit Januar 2025 durchschnittlich 2984 Euro im Monat.
Eine Analyse zeigt zudem, dass der Eigenanteil schon bis 2029 auf fast 4000 Euro monatlich steigen könnte.
Pflege-Deckel: Warum warnen Experten?
Den Eigenanteil an der stationären Pflege zu deckeln, hört sich auf den ersten Blick nach einer guten Idee an – insbesondere für die Angehörigen von Pflegebedürftigen. Allerdings sehen Experten diesen Vorstoß kritisch, da er massive finanzielle Folgen nach sich ziehen könnte. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) beziffert die jährlichen Mehrkosten eines solchen Deckels auf über 9 Milliarden Euro – zusätzlich zu den ohnehin stark gestiegenen Ausgaben der Pflegeversicherung.
Schon bisherige Reformschritte wie die gestaffelten Pflegekostenzuschüsse haben das Bundesgesundheitsministerium finanziell überfordert, da die tatsächlichen Belastungen regelmäßig unterschätzt wurden. Ein Deckel würde diese Dynamik weiter verschärfen und könnte die Stabilität des Systems gefährden.
Darüber hinaus würde ein Pflege-Deckel die Solidargemeinschaft erheblich belasten. Sämtliche künftigen Kostensteigerungen müssten von Beitrags- und Steuerzahlern getragen werden – also vorwiegend von jüngeren Generationen und ihren Arbeitgebern. Der GKV-Spitzenverband warnt bereits jetzt vor der angespannten Finanzlage der Pflegeversicherung.
Kritisiert wird im Rahmen der jüngst veröffentlichten IGES-Studie zudem die soziale Schieflage: Viele Pflegezuschüsse gingen an Haushalte, die über ausreichendes Vermögen verfügen. Eine Deckelung würde diesen Effekt verstärken – zugunsten von Erben und wohlhabenderen Familien, zulasten einkommensschwächerer Beitragszahler, heißt es.
Schließlich könnte ein Pflege-Deckel falsche Anreize setzen. Wenn die Eigenanteile stark begrenzt werden, steigt für viele Angehörige der Anreiz, Pflegebedürftige in ein Heim zu geben – etwa um das Eigenheim zu schützen, befürchtet der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen gegenüber welt.de. Das Risiko eines „Heimsogs“ sei gegeben, der die stationären Pflegekosten weiter in die Höhe treiben würde.
Warum ist der Eigenanteil in den letzten Jahren so stark gestiegen?
Doch warum ist der Eigenanteil an der Pflege eigentlich so hoch? Tatsächlich macht der Spitzenverband der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) verschiedene Gründe für den Anstieg aus.
Vor allem der rasante Lohnanstieg für Pflegekräfte treibt die Ausgaben in die Höhe. Vollzeitbeschäftigte Fachkräfte im Altenheim verdienten einem Bericht der Tagesschau zufolge im April 2024 im Durchschnitt 4228 Euro brutto, das waren 1612 Euro mehr als zehn Jahre zuvor. Dieser deutliche Verdienstzuwachs, der größer ausfiel als in vielen anderen Berufsgruppen und teilweise auf die Einführung und Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns zurückgeführt wird, führt zu höheren Betriebskosten für die Pflegeheime.
Hinzu kommt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen und damit der Leistungsbeziehenden in den letzten Jahren dynamisch gestiegen ist. Anfang 2024 gab es rund 5,7 Millionen Leistungsbezieher, etwa 730.000 mehr als zwei Jahre zuvor. Ende 2023 waren es in der sozialen Pflegeversicherung laut dem Bundesgesundheitsministerium 5,23 Millionen und in der privaten Pflege-Pflichtversicherung 0,34 Millionen, zusammen 5,57 Millionen. Die gestiegene Zahl an Pflegefällen erhöht auch Gesamtausgaben des Systems.
Schlussendlich führten offenbar auch die Ausweitung der Leistungen – insbesondere durch die Veränderung des Pflegebegriffs ab 2014 - und die Anhebung aller Leistungsbeträge Anfang 2024 dazu, dass die Ausgaben der Pflegeversicherung weiter steigen.
Gibt es denn Alternativen zum Pflege-Deckel?
Statt auf eine pauschale Deckelung der Eigenanteile zu setzen, betonen viele Fachleute die Notwendigkeit umfassender, langfristiger Reformen in der Pflegefinanzierung. Dem Deutschlandfunk zufolge soll eine Bund-Länder-Kommission hierfür tragfähige Konzepte entwickeln. Im Zentrum steht dabei die Idee, die soziale Pflegeversicherung finanziell zu stabilisieren, ohne ihr Grundprinzip als Teilkaskoversicherung aufzugeben. Eine zu starke Leistungsausweitung – wie durch einen Pflege-Deckel – würde dieses Prinzip unterlaufen und den Charakter der Versicherung wohl grundlegend verändern.
Mehrere Vorschläge zielen darauf ab, die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger zu stärken – etwa durch gezielte Anreize zur privaten Vorsorge, wie die PKV wenig überraschend vorschlägt. Ergänzend dazu wird von dem GKV-Spitzenverband gefordert, dass sich der Bund stärker finanziell beteiligt, etwa durch die Rückzahlung pandemiebedingter Ausgaben oder die dauerhafte Übernahme bestimmter Sozialleistungen wie der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige.
Auch der Ausbau häuslicher Pflegeangebote, neuer Wohnformen wie Senioren-WGs und Unterstützungsleistungen für pflegende Angehörige gelten als zentrale Bausteine, um Pflege bezahlbarer und alltagsnäher zu gestalten, werden diskutiert.
Um den Personalmangel in der Pflege zu lindern – einer der Haupttreiber steigender Kosten – sollen die Berufe durch neue Kompetenzen und bessere Karrierewege attraktiver werden. Vorgesehen sind unter anderem ein Pflegekompetenzgesetz, mehr Befugnisse für Pflegekräfte sowie moderne Ausbildungswege. Daneben sollen auch die Digitalisierung, effizientere Versorgungsstrukturen und die gezielte Anwerbung ausländischer Fachkräfte das System langfristig stärken.
Insgesamt verfolgen diese Maßnahmen einen breiteren Ansatz: Sie setzen nicht auf eine punktuelle Entlastung wie den Pflege-Deckel, sondern auf strukturelle Verbesserungen, die die Pflege nachhaltig zukunftsfest machen sollen.
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