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"Alles kurz und klein geschlagen"

Münnerstadt

"Alles kurz und klein geschlagen"

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    Im Haus von Lina Weil (auf dem Bild) schlugen Nazis das gesamte Mobiliar
kurz und klein.
    Im Haus von Lina Weil (auf dem Bild) schlugen Nazis das gesamte Mobiliar kurz und klein. Foto: FOTO PRIVAT

    "In den frühen Morgenstunden des 10.  November 1938 haben ungefähr 60 Personen, die von auswärts gekommen waren, eine Demonstration gegen die hier wohnhaften Juden durchgeführt. Auf Anordnung ihres Führers haben diese Personen an den Häusern der Juden Moritz Kremer, Philipp Kremer, Fanny Reis, Oskar Klein, Amalie Wildberg und Lina Heinemann die Fenster und Fensterrahmen eingeschlagen. Auch Haustüren und Tore wurden vereinzelt demoliert", notierte Reinlein. Außerdem wurde die Inneneinrichtung der Synagoge bis auf einige Bänke zerstört. Bei den Bewohnern der Synagoge wurden auch Möbel beschädigt. Plünderungen und Brandlegungen gab es nicht. Die gesamte Aktion soll nur eine halbe Stunde gedauert haben.

    Bevölkerung blieb ruhig

    Die Bevölkerung hatte sich sehr ruhig verhalten. In Poppenlauer war bekannt, dass der Jude Otto Reis als ehemaliges Mitglied der Schützengesellschaft Münnerstadt in Besitz von Schusswaffen war. Aufgrund einer vorläufigen Anordnung, der Juden jeden Waffenbesitz verboten hatte, wurde Reis am Abend des 11.  Novembers zur Herausgabe aufgefordert. Reis händigte sofort zwei Feuerstutzen, einen Zimmerstutzen, einen Walzenrevolver, Patronen, Pulver und Werkzeug zur Herstellung von Patronen aus. Waffenbesitz war nach den Angaben der Geheimen Staatspolizei Würzburg zu dieser Zeit noch nicht strafbar. Am 12.  November 1938 wurde Reis auf Anordnung des Bezirksamtes verhaftet und gegen 1230 Uhr in das Amtsgerichts-Gefängnis in Bad Kissingen eingeliefert. Am gleichen Tag wurden auch Adolf Heinemann und Oskar Klein inhaftiert.

    Epileptischer Anfall

    Während Heinemann und Klein als lagerfähig eingestuft wurden, galt Reis wegen seiner Kriegsverletzungen und seinem Rheuma nur als "bedingt lagerfähig" und wurde am 18.  November aus dem Gefängnis entlassen. Am 14.  November musste Reinlein den völlig verarmten Juden Simon Weil festnehmen, um ihn ins Gefängnis zu bringen. Während der polizeilichen Vernehmung in Poppenlauer "bekam Weil einen Anfall, so dass man Dr. med. Benno Basel, den Arzt in Poppenlauer rufen musste". Der stellte fest, dass Weil "wegen epileptischer Anfälle mit akuter Herzmuskelschwäche augenblicklich nicht haftfähig" sei. Die Synagoge in Poppenlauer wurde in der Reichskristallnacht verwüstet und während des Krieges als Kriegsgefangenenlager für die Fremdarbeiter genutzt. Nach dem Krieg wurde sie zuerst von Fitz Ledermann als Zimmerei- und Schreinerwerkstatt und danach als Kino zweckentfremdet.

    Schon im August 1935 wurde in Poppenlauer viel über die Judenfrage diskutiert. Der Großteil der Bevölkerung betrachtete die Juden als vollwertige Bürger und konnte sich nicht dazu entschließen, ihnen den Rücken zu kehren. Einiges Erstaunen löste es bei den Maßbachern aus, als am 29.  Juli 1935 früh an den sämtlichen Judenwohnungen Plakate mit der Überschrift "Das Verbrechen von Magdeburg" angebracht waren. Der Inhalt der Plakate befasste sich mit dem Rasse-Schändungsprozess des Juden Albert Hirschland von Magdeburg. Die Juden verhielten sich gegenüber dieser Maßnahme völlig ruhig. Von der nichtjüdischen Bevölkerung fand diese Maßnahme aber keine Billigung. Auf wenig Verständnis dürfte auch gestoßen sein, dass in der Nacht zum 13.  November 1935 bei dem Juden Sigmund Hirsch in Poppenlauer Fensterscheiben eingeworfen wurden.

    Ein Jahr später, in der Nacht vom 17. auf den 18.  November gegen 2 Uhr, "wurde dem jüdischen Viehhändler Philipp Kremer in Poppenlauer, Haus-Nr. 51, eine Fensterscheibe seiner Wohnstube mit einem Stein eingeschlagen. Außerdem wurde die hölzerne Hoftüre aus den Türkolben gehoben und auf die Ortsstraße geworfen." Die Gendarmerie betrachtete diesen Vorfall als groben Unfug und nicht als eine gegen Juden gerichtete Einzelaktion.

    Wohnungen verwüstet

    Auch in Maßbach kam es zu judenfeindlichen Ausschreitungen. Gendarmerie-Meister Spielberger berichtete darüber am 10.  November 1938 dem Bezirksamt Bad Kissingen: "In der Nacht vom 9. auf 10.  November nach 24 Uhr, wurde gegen sämtlich in Maßbach wohnhaften Juden eine große Aktion durchgeführt. An acht jüdischen Wohngebäuden wurden die zu ebener Erde gelegenen Fenster samt Fensterläden zertrümmert und teilweise auch Haustüren eingeschlagen. Vor den Gebäuden liegen Glas- und Holzsplitter. An der jüdischen Synagoge in Maßbach wurde die Türe eingeschlagen und die Inneneinrichtung demoliert."

    Weiter hielt Spielberger fest, dass keine Juden misshandelt worden seien. Auch soll die Aktion von einer größeren Personengruppe angeführt worden sein, die viele Motorräder mit sich führte. Am Abend des 10.  November kam es erneut zu schweren antijüdischen Ausschreitungen. In vier Wohngebäuden wurde die gesamte Inneneinrichtung völlig zerstört. Türen und Fenster wurden, soweit dies nicht bereits in der vorangegangenen Nacht geschah, noch vollkommen eingeschlagen. Der Bericht vom 11.  November 1938 spricht auch davon, dass am Abend des 10.  November vier und am 11.  November ein Wohngebäude von den jüdischen Bewohnern verlassen wurden.

    Auf Anordnung des Bezirksamtes Bad Kissingen vom 12.  November 1938 wurden Sigmund Eberhardt (Viehhändler), Max Eberhardt (Fellhändler) und Simon Berthold (Rentner) sowie am 14. November Moses Sahm und Hermann Heidelberger verhaftet und in das Gefängnis in Bad Kissingen eingeliefert.

    Protest gegen Verhaftung

    Sahm erklärte auf der Gendameriestation Maßbach, dass er sich politisch nie betätigt und weder einer Partei noch einer Loge angehöre. Gegen die Verhaftung erhob er Einspruch, weil er sich keinerlei Schuld bewusst war und er dadurch in seinen Auswanderungs-Bemühungen behindert werde. Seine Ehefrau sei nervenkrank, im Falle einer längeren Trennung befürchte er, dass sie sich umbringe. Auch Heidelberger, der von April 1916 an als Soldat an der Westfront gewesen und im September 1917 schwer verwundet worden war, protestierte gegen seine Verhaftung.

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    Ergänzend sei hier angeführt, dass am 14.  November 1938 Dr. Conrath den Vorstand des Amtsgerichtsgefängnisses Bad Kissingen bat, Sahm und Heidelberger bis auf Weiteres im Amtsgerichtsgefängnis zu verwahren". Am 15.  November beantragte das Gesundheitsamt beim Bezirksamt die Entlassung von Simon Berthold "wegen hochgradiger allgemeiner Erschöpfung und Blasenleiden". Noch am selben Tag ordnete Dr. Conrath die Entlassung von Max Eberhardt, Siegmund Eberhardt, Hermann Heidelberger und Moses Sahm an. Am 18. November waren alle Maßbacher Juden wieder frei.

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