Bildung ist mehr als reines Fachwissen. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, doch erstmals haben sich sechs Großunternehmen und Handwerksbetriebe aus der Region Main-Rhön zusammengeschlossen, um gemeinsam ihre Auszubildenden an zwölf Nachmittagen in Bereichen des menschlichen Miteinanders zu qualifizieren, die in Berufsschule und Unternehmen nicht offizieller Bestandteil des Lehrplanes sind. Am Dienstag startete in der Bad Kissinger Heiligenfeld-Klinik eine neuartige Workshop-Reihe für Berufsanfänger, die von IHK und Berufsschule als „Erweiterung der schulischen Ausbildung“ unterstützt und von der Universität Regensburg begleitet wird.
„Junge Menschen brauchen die Fähigkeit zum Selbstmanagement, um den Herausforderungen des modernen Lebens gewachsen zu sein“, wissen der Mediziner Joachim Galuska und Ehefrau Dorothea, Heiligenfeld-Inhaber und Personalmanagerin, aus langjähriger Erfahrung. Was an ihren Kliniken vor sechs Jahren in der Patiententherapie begann und vor vier Jahren in der Mitarbeiterschulung fortgesetzt wurde, soll jetzt in angepasster Form die fachliche Ausbildung von Berufsanfängern ergänzen.
In zwölf Workshops, während der dreijährigen Lehrzeit jeweils an einem Nachmittag pro Quartal, schulen Experten verschiedener Fachbereiche die etwa 40 Auszubildenden der teilnehmenden Unternehmen beispielsweise in Selbstbehauptung und Selbstvertrauen, in Kommunikation und Zusammenarbeit, in persönlichem Gesundheitsmanagement, dem Umgang mit Geld oder modernen Medien, in Zeitmanagement und persönlicher Lebensplanung.
Weiche Faktoren
Handwerksmeister Jochen Gärtner, Inhaber von Elektro Fischer, hat ganz bewusst seine beiden Elektroniker-Azubis Lukas Gärtner (16) und Sandro Plener (17) zum Selbstmanagementkurs angemeldet: „In menschlicher Qualifizierung sind wir als Handwerksbetrieb einfach überfordert.“
Doch käme es im heutigen Berufsleben gerade auf diese „weichen Faktoren“ an, bestätigt Sparkassenchef Roland Friedrich. Habe früher das reine Fachwissen ausgereicht, seien heute die Fähigkeit zur Kommunikation und Stressbewältigung von Bedeutung. „Bei uns spielt natürlich auch der richtige Umgang mit Geld eine wichtige Rolle.“
In früheren Generationen sei die soziale Bildung aus dem Zusammenleben innerhalb einer Großfamilie erwachsen, begründet Unternehmerin Christine Seger, Inhaberin eines Münnerstädter Transportunternehmens, den Nachholbedarf in sozialer Kompetenz. Heute gebe es überwiegend die Klein- oder Singlefamilie mit berufstätigen Erwachsenen. „Da werden Kommunikation und Beziehungspflege nicht mehr vermittelt.“ Doch gerade diese Fähigkeiten seien ein Mehrwert in der globalen Wirtschaft, ist Joachim Galuska überzeugt. „Fachwissen gibt es überall auf der Welt.“
Überdies käme die psychosoziale Kompetenz der Mitarbeiter dem Unternehmen zugute. Es gebe durch stärkere Identifikation mit der Firma weniger Krankheitsfälle, derart geschulte Arbeitnehmer seien kreativer und effektiver. Sie seien in der Lage, auf Veränderungen schneller zu reagieren, da sie besser mit Stress umgehen könnten.
Druck als Thema
Stress ist auch für Bürokaufmann-Azubi Michael Hugo (21) ein wichtiges Thema. „Ich bin relativ stressfrei ins Berufsleben eingestiegen, doch jetzt spüre ich den Druck“. Er gehe ganz offen in die Workshops: „Schaden tut's ja nicht.“ Beim Workshop „Umgang mit modernen Medien“ deckt sich allerdings die Erwartung des jungen Mannes noch nicht mit dem vorgesehenen Lehrinhalt. Während sich Hugo neue Erkenntnisse im Umgang mit Smartphones erhofft, soll der Kurs den Unterschied zwischen Facebook-Freunden und echten Freunden aufzeigen.
Wichtig sei auch zu lernen, die Medien zu beherrschen und sich nicht von den Medien beherrschen zulassen. Wie viel Zeit im Internet ist gesund und wann fängt die Sucht an? Galuska: „Der Nutzer muss der Souverän bleiben.“