Norbert Reiter ist dafür bekannt, dass er mit seinen Überzeugungen nicht hinterm Berg hält. Diesem Prinzip ist er stets gefolgt in den vergangenen 35 Jahren im Stadtrat als „Anwalt der Kommune“, wie er seine Rolle dort definiert. Ende dieser Wahlperiode ist Schluss. Reiter ist dann 59 Jahre alt, ein Alter, in dem andere kommunalpolitisch erst durchstarten.
3860 Stimmen hatte der im Berufsleben als Rechtsanwalt tätige Mürschter 2008 bei der Kommunalwahl erhalten. Ein Traumergebnis und das beste in seiner Stadtratslaufbahn. „Die Leute schätzen es, wenn ich meine Meinung sage und offensiv vertrete“, weiß Reiter und betont: „Ich drehe mein Fähnchen nicht mit dem Wind.“
Eine Einstellung, mit der es auch Parteifreunde nicht immer einfach haben mit ihm. Als heuer im Frühjahr der städtische Haushalt nach wenigen Vorberatungen im Finanzausschuss abgesegnet werden sollte, war Reiter damit nicht einverstanden, weil zu wenige Schulden abgebaut werden sollten. Keiner traute sich zu widersprechen.
Warum er aber jetzt gerade aufhört? „Ich hatte schon im Mai 2008 entschieden, dass das meine letzte Periode sein wird“, sagt er im Gespräch mit der Main-Post. Und selbst, wenn es nicht so wäre, Reiter würde niemals etwas Negatives über die CSU oder Mitstreiter sagen, wie er selbst bekennt. „Das ist meine politische Heimat“, betont er. Die hat er 1973 gefunden, als am Schönborn-Gymnasium das Willy-Brandt-Fieber grassierte und die Grundstimmung seiner Beobachtung eher links war.
Flagge zeigen
Da galt es dann Flagge zu zeigen für einen, der seine politischen Überzeugungen damals folgendermaßen charakterisierte: „Wenn ich mich im Kohlenkeller in die hinterste Ecke setze und das Licht ist aus, werfe ich immer noch Schatten.“ Zu diesem Spruch steht er heute noch. Mit so einem streitet der politische Gegner natürlich gerne – wenn er sich denn traut.
Denn Reiters Eloquenz ist ebenso gefürchtet wie sein gelegentlicher Spaß daran, anderen „auch mal eine drüberzubraten“. Das gehöre einfach mit dazu, sagt er und gibt zu, dass er in den vergangenen Jahren niveauvolle Diskussionen, wie früher mit Leuten vom Schlage eines Klaus-Dieter Guhling oder Karl Scharf, im Stadtrat schon vermisst. „Die konstruktive Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit fehlt“, räumt Reiter ein. Die Juristerei im Zivilverfahren funktioniere nach dem Prinzip, dass alles auf den Tisch müsse. Und so hätte es Reiter auch gerne im Stadtrat.
Wenn er so an die Sitzungen früher denkt, zu denen alle in Anzug und Krawatte erschienen und aufstanden, wenn sie etwas zu sagen hatten, da hat sich doch einiges geändert in Münnerstadt.
Mit Jesus-Latschen, kurzen Hosen und einem dreckigen T-Shirt zu kommen, wie bei einem Stadtrat in den vergangenen Jahren geschehen, das hätte damals keiner gemacht. Für Reiter stellt eine solche Kleiderordnung denn auch eine Missachtung des Gremiums und seiner Arbeit dar.
Wahltaktische Gründe
Manches andere, das derzeit diskutiert wird, gefällt ihm auch nicht, wie etwa das angeblich schlechte Verhältnis zwischen Stadt und Stadtteilen. Da werde versucht, aus wahltaktischen Gründen einen Keil zwischen etwas zu treiben, was längst zusammengewachsen sei. „Ich glaube nicht, dass Brünn oder Althausen gegen die Altstadt sind“, sagt er. Und: „In den Ortschaften ist viel gemacht worden, jetzt ist die Altstadt dran.“
Spaß hat ihm die politische Arbeit immer gemacht, das Streiten im positiven Sinne und das zielgerichtete Diskutieren. Nie war er ohne Zusatzfunktion im Stadtrat, seit er, 23 Jahre jung, 1978 erstmals gewählt worden war: Zweiter und Dritter Bürgermeister, Wirtschafts- und Kulturreferent und Fraktionsvorsitzender sowieso.
Zumindest einmal, da hat es weniger Spaß gemacht. Als er 2002 die Stichwahl um das Bürgermeisteramt gegen Amtsinhaber Eugen Albert verloren hatte. „Da hat es mein Herrgott mit mir gut gemeint“, bekennt der gläubige Mensch Norbert Reiter heute. Seine Kanzlei wäre durch die Doppelbelastung wohl kaputtgegangen. Und so gibt er sich denn auch versöhnt mit der Geschichte: „Als Bürgermeister wollten mich die Leute nicht, als Stadtrat schon.“