Stefan ist der Star des Abends. 25 Zentimeter ist er groß, 36 Jahre alt und die sieht man ihm auch an. Fahle Gesichtsfarbe, stumpfe Augen, eingerissene Ohren – ganz klar ein Fall für den Arzt. Der Kuscheltierdoktor und lebenslange Kuschler Thomas Seuberling nimmt sich heute seinen Teddy aus Kindertagen vor: Mit feinem Nadelstich erweckt der 37-Jährige seine Kindheit wieder zum Leben. Im Lauf des Abends kann Teddy Stefan den Gesprächen wieder lauschen.
Hören kann er da so einiges in der adventlichen Stopfstube von Mia Hochrein. Im fünften Jahr veranstaltet die Künstlerin aus Leidenschaft heuer ihre wöchentlichen Mürschter Abende – für Fingerfertige genau so wie für Doppellinkshänder, für Alleinunterhalter wie für Zuhörer. Jeder ist willkommen. Niemand kennt alle, alle kennen Mia. Leute, die sich sonst nicht sprechen würden, kommen hier zusammen, beschreibt die Gastgeberin die Faszination. Manchmal ein Krankenpfleger, manchmal eine Ärztin. Das ist es, was die Künstlerin so mag: Alle kommen zusammen und tun, was allein nicht so gut von der Hand geht.
Mutterseelenallein stopfen, womöglich noch im Sommer auf dem Balkon? Es gibt kaum ein Bild, das Mia Hochrein noch absurder findet. Stopfen ist schrecklich. Übers Jahr bleibt darum alles Löchrige liegen. Dann kommt alle Jahre wieder die dunkle Zeit, die besinnliche Zeit, wie Mia Hochrein sagt. Und prompt findet sie Gefallen am Stopfen – aber auch nur in Gesellschaft. Schon im fünften Jahr stopft sie an ihrer 15 Jahre alten Lieblingsstrickjacke. Rosa- und orangefarbene Stopfflicken übersäen die Ellenbogen. An anderer Stelle könnte sie schon wieder ran, die graue Wolle ist dünn. Doch heute stopft Mia Hochrein nicht weiter an der Jacke. Heute schenkt sie lieber Sekt aus, heute schenkt ihr das Leben den 57. Geburtstag.
Gemütlich ist es in der Stube: Antiquitätenhändler Roland Schoch hat das Erdgeschoss seines Hauses am Marktplatz 16 zur Verfügung gestellt. Ein altes Kanapee steht an der Wand, ein Rattanstuhl an einem der beiden Tische, ein paar Klappstühle verstreut. Rote Christbaumkugeln spiegeln das Licht aus dem beleuchteten Schrank und das Feuer im Kamin.
Die Gespräche hüpfen hin und her wie manche Masche von der Stricknadel. Von alten Rhöner Spinnstuben ist die Rede, von schnödem Stoff, der nur durch die richtige Berührung zur Reliquie wird, vom umgekehrten Dreisatz und von Pistazienbäumen. Es gibt kein Thema, das es in der Stopfstube nicht gibt.
Gewerkelt, gestopft, genäht, gehäkelt, gemalt wird nebenbei – oder auch nicht. Gisela Derks hat ihre Holzhäuschen zu Hause vergessen. Dabei hat sie „g'sächt wie Sau“, um sie heute Abend bemalen zu können, erzählt sie noch außer Atem. Stattdessen einfach zwei Holzscheite vom Kamin mit Augen versehen? Nee, das ist ihr dann doch zu blöd. Zum Beschäftigen bleiben dann immer noch zwei Hunde, eine Schüssel Pistazien und ein Gläschen Eierlikör und zehn andere Menschen, die ihren Abend gern mit anderen verbringen.
Die öffentliche Stopfstube von Mia Hochrein findet noch am Donnerstag, 20. Dezember, statt. Von 19 bis 22 Uhr steht die Türe am Marktplatz 16 offen für jeden, der mitmachen will.