Vor 100 Jahren entstand in der Werkstatt des Holzbildhauers Josef Obletter (1873-1925) in St. Ullrich im Grödnertal in Südtirol die Krippe, die alljährlich vor Weihnachten in der Stadtpfarrkirche von Toni Hiller aufgebaut wird. Die aus gut 200 Figuren bestehende Krippe beschränkt sich allerdings nicht nur auf das Geschehen um die Geburt Christi, sondern bezieht auch die Passionszeit und Kreuzigung mit ein.
Die Krippenanlage beinhaltet nämlich neben den Figuren und Szenenbildern rund um Weihnachten auch eine Anzahl Figuren und Kulissen zur Passionszeit mit Ölberg, Kreuzweg, Kreuzigung, Kreuzabnahme und Grablegung. Sie wurde von dem ehemaligen Stadtpfarrer Pater Gabriel Schlachter OSA um 1938 für die Pfarrkirche gekauft. Sie stammt aus einer nicht näher bezeichneten Pfarrei in Oberbayern. Auch über den Kaufpreis ist nichts bekannt.
Der Name des Künstlers steht als Bleistift-Notiz auf der Sockel-Unterseite einiger Original-Figuren: „Josef Obletter, St. Ullrich, Gröden 1910“. Er ist teilweise auch ins Holz geschnitten, ein Beweis für die Identität der Figuren. Sie bestehen aus Zirbelkiefern-Holz, dem für die ladinische Region typischen Schnitzholz. Die Schnitzart der Figuren ist nach Einschätzung des Restaurators der Krippe, dem ehemaligen Klosterschreiner Josef Weiß, eine typische Grödner Schnitzerei.
Zu erkennen sei das am Ausdruck der Gesichter und am Faltenwurf der Gewänder, besonders der „höher gestellten Herrschaften“ im Gefolge der Könige. Sie tragen charakteristische Kopf- und Ausdrucksformen der Menschen in den Südtiroler Bergtälern, so Weiß. Die Figurengruppe „Die heilige Familie auf der Flucht“ sei wohl einige Zeit später entstanden, wohl als Zusatzauftrag für den Meister.
Die farbliche Fassung der Figuren ist sehr dezent und sei außerordentlich genau ausgeführt, stellt der Restaurator fest. Als Beispiele führt er die Ornamente auf den Gewändern der Könige und Engel an. Die Gesichter lassen in ihrem Ausdruck ein besonderes Ereignis erahnen. Die Menschen schauen erstaunt, erschreckt, demütig, verschämt oder verwundert hin zum Stall. Alle Figuren seien ausschließlich von Hand gefertigt, also nicht maschinell vorgearbeitet. Insofern seien die Figuren der Münnerstädter Krippe auch sehr wertvoll.
Da die Bedeutung des Kunstwerks wohl nicht erkannt worden war, hatte man früher die Behandlung der Figuren und deren sachgerechte Aufbewahrung während des Jahres über doch sehr vernachlässigt. Der Zustand hatte derart gelitten, dass man im Laufe der 60er Jahre das Interesse an der Krippe verloren hatte. Inzwischen waren an mehreren Figuren Arme und Hände, bei einigen Engeln die Flügelspitzen und bei manchen Tieren die Beine abgebrochen, erinnert sich der Betreuer der Krippe, Toni Hiller. Wie wenig Wertschätzung das Kleinod in dieser Zeit genoss, zeigt schon, dass Hiller als kleiner Junge, wie andere Kinder auch, ungehindert mit den Tieren der Krippe spielen konnte, weil sie nicht sicher aufbewahrt wurden und sich von den Erwachsenen nicht wirklich jemand dafür interessierte.
In dieser Zeit wurde Hiller zum Krippen-Fan. Stadtpfarrer Pater Wolfram Rosenkranz OSA, der auch nicht viel mit der Krippe anfangen konnte, beauftragte Hiller schließlich, sich ein wenig darum zu kümmern. Damals allerdings wurde das verkannte Kleinod schon jahrelang im teilweise durch Nässe verquollenen Archivschrank im Wandlungsturm mehr schlecht als recht aufbewahrt. Die Feuchtigkeit setzte den Figuren natürlich arg zu. Einige Schubfächer ließen sich nicht ganz verschließen, so dass die Figuren, teils offen liegend, zusätzlich unter den Hinterlassenschaften der Turmtauben litten, bedauert Hiller.
Unter dem späteren Stadtpfarrer, Bruder Hugolin Landvogt (1968-78), begeisterte man sich in dem Lauertal-Städtchen überdies mehr für eine Wachsfiguren-Krippe, die von einer Münnerstädter Ordensfrau hergestellt worden war.
Wegen der Innenrenovierung der Magdalenen-Kirche 1975 mit Restaurierung der Riemenschneider-Figuren und der Kirchenfenster im Hoch-Chor wurden die Obletter-Figuren vom Wandlungsturm auf den Pfarrhaus-Speicher gebracht. Doch erst anlässlich der ersten Krippenausstellung des ansässigen Rhönklub-Zweigvereins 1981 rückten die Figuren wieder in den Fokus des allgemeinen Interesses. Der verwahrloste Zustand ließ es aber nicht zu, die Krippe im Rathaussaal zu zeigen.
Krippenfreund Toni Hiller ist es zu verdanken, dass die Krippe heute wieder als Kostbarkeit angesehen werden kann. Er befreite die Figuren unter großem Aufwand mit Wasser, Bürste und Pinsel vom jahrzehntealten Staub und Taubenkot. Seit 1985 steht sie nun während der Weihnachts- und Passionszeit wieder in der Kirche, wenngleich einige Figuren beschädigt waren.
Im Herbst 1987 begann der Münnerstädter Holzschnitzer und Restaurator Josef Weiß mit der Restaurierung der gesamten Krippe. Er gab den Figuren die fehlenden Arme, Beine und Flügel zurück, schnitzte eine neue Maria-Kind-Gruppe und fertigte ein neues Stallgebäude. Da nur noch vier Schäfchen-Originale des Grödner Meisters vorhanden waren, ergänzte er die Schafherde vor dem Stall. Josef Weiß restaurierte auch die arg verwitterten und durch Taubenkot angegriffenen Farben der Figuren und vervollständigte das Krippenwerk in allen Details einschließlich eines neuen Tempelgebäudes. Seit dieser Zeit hat das Kunstwerk in Münnerstadt einen neuen Platz hinter einer Glasscheibe in der Ritterkapelle.
Toni Hiller rät allen Krippenfreunden der Obletter-Krippe in der Stadtpfarrkirche einen Besuch abzustatten, wann immer sich eine Möglichkeit dazu bietet. „Ein solches Kleinod bekommt man nicht alle Tage zu Gesicht“, sagt er mit glänzenden Augen.