Magdalena Heinrich ist wie Maria Lange und Erika Öchsner eine der ersten Bewohnerinnen von Oberwildflecken. Vor 60 Jahren wurden in der Muna unterhalb des Kreuzbergs, wo im Krieg Munition verpackt und gelagert worden war, die ersten Heimatvertriebenen angesiedelt.
Muna bedeutet ein ständiges Kommen und Gehen. Doch es gibt Familien, die geblieben sind, weil sie hier einen Ort zum Leben gefunden haben. „Heimat ist für mich Schlesien. Das hier ist mein Zuhause geworden“, sagt Magdalena Heinrich.
Die Menschen kamen mit nichts. In Blechdosen, an die sie Drahthenkel bastelten, holten sie sich Essen in der ehemaligen Heeresküche im Kreuzberghof. Dort treffen sie sich auch heute wieder, um am Nachmittag einen Kaffee zu trinken und von damals zu erzählen.
Wie im Haus von Rocky Docky
„Es konnte nur besser werden“, sagt Maria Lange. Mit knapp 15 Jahren kam sie in die Rhön. Der Vater war schon vorher da: „Er hat uns das alles in den schönsten Farben ausgemalt.“ Das war ein Schreck, als die Familie die Realität sah, die einfachen Wohnungen ohne Wasseranschluss, der weite Fußweg nach Wildflecken, um Lebensmittel zu holen. „Ich kam mir vor wie im Haus von Rocky Docky“, erzählt Magdalena Heinrich. Kein Bett, kein Herd. Ideen waren gefragt: Spinde – zwei senkrecht, einer waagrecht – „und wir hatten ein wunderschönes Buffet“. Und zwei Mullwindeln vom Baby dienten als Scheibengardinen. Trotz aller Entbehrungen war da das schöne Gefühl: „Zwei Zimmer, die uns gehörten.“
Die Menschen, an die 500 wurden es mit der Zeit, machten sich ans Werk, gründeten Firmen. „Lebenskünstler waren das alles. Aus nichts haben sie was gemacht“, sagt Roswitha Reder, die erst 1958 über die DDR hierher kam. In Oberwildflecken wurde bald alles mögliche hergestellt, von Töpfen über Gummibälle, Papierblumen, Bauklötze, Schnürsenkel, Gewehrschäfte und Kitt. Viele Firmen haben auf- und bald wieder zugemacht, doch einige etablierten sich, gaben den Menschen Arbeit und einen Grund, in Oberwildflecken zu bleiben.
Für die Frauen war es ganz normal, auch arbeiten zu gehen. Und doch blieb Zeit, ein gesellschaftliches Leben in Gang zu bringen. Sie gründeten eine Theatergruppe, einen Sportclub. „Wir sind auch mit dem Lkw nach Frankfurt in den Zoo und ins Kino gefahren.“ Klar mussten da einige Säcke Holz aufgeladen werden, damit der Holzvergaser auch in Frankfurt ankam.
„Wir waren immer ein lustiges Völkchen“, sagt Magdalena Heinrich. Dennoch war der Kontakt zu den Menschen der Region eher schwierig. Man blieb für sich. Das Schwimmbad im alten Feuerlöschteich war eine Attraktion und lockte auch Kinder aus Wildflecken an.
Erst das große Fest zum 50-jährigen Bestehen von Oberwildflecken habe die Rhöner näher gebracht. Und nach längerem Überlegen fallen den Oberwildfleckenern doch ein paar wenige Ehepaare ein, von denen ein Partner aus Wildflecken stammt und einer Heimatvertriebener ist. Hochzeiten in die Ferne gab es schon eher, so sind vier Schwestern von Maria Lange nach Amerika verheiratet.
Alle angenommen
Auch mit den Spaniern, die in den 50er Jahren als Gastarbeiter kamen, gab es Verbindungen und ein gutes Miteinander. Überhaupt haben die Menschen in Oberwildflecken weniger Probleme mit Zugezogenen: „Wir haben alle angenommen.“ Vielleicht liegt es an der eigenen Geschichte, weil sie wissen, wie es ist, die Heimat verlassen zu müssen. Vielleicht gibt das eine gewisse Gelassenheit. Roswitha Reder formuliert es so: „Wir sind in der Muna. Oberwildflecken. Es geht gut.“